Eine unbesonnene Nacht mit einem Fremden

"Auf keinen Fall, Hazel Vance. Du kommst mit mir." Chloe packte meine Hände fest und sah mir durch unsere Masken direkt in die Augen. "Kein Verstecken mehr. Kein Weinen mehr über Menschen, die deine Tränen nicht verdienen."

Ich warf noch einen Blick auf mein Spiegelbild und erkannte mich kaum wieder in dem schimmernden roten Kleid. Die goldene Maske verwandelte mich in jemand anderen – jemanden mutigeren, jemanden, der nicht die Last des Verrats auf den Schultern trug.

"Eine Stunde," gab ich nach. "Dann komme ich zurück und ertränke meinen Kummer in Eiscreme."

"Klar, was auch immer du sagst." Chloes Lächeln verriet mir, dass sie nicht die Absicht hatte, sich an diesen Zeitplan zu halten.

Der Sterling-Maskenball war nichts weniger als großartig. Der historische Ballsaal des Hamilton Hotels funkelte mit tausenden von glitzernden Lichtern. Kristallleuchter warfen einen warmen Schein über die Menge maskierter Tänzer. Alle sahen geheimnisvoll und elegant aus, wie sie in Designerkleidern und maßgeschneiderten Anzügen umherwirbelten.

"Trink das," Chloe reichte mir ein Glas Champagner. "Und das auch," fügte sie hinzu und drückte mir ein weiteres in die freie Hand, nachdem ich das erste geleert hatte.

Die Bläschen kitzelten in meiner Kehle und schickten eine warme Welle durch meinen Körper. Zum ersten Mal seit Monaten spürte ich, wie die Anspannung in meinen Schultern nachließ.

"Da drüben ist Mark aus der Buchhaltung," Chloe winkte quer durch den Raum. "Ich muss Hallo sagen. Kommst du einen Moment allein klar?"

"Ich bin ein großes Mädchen," lachte ich, bereits leichter durch den Champagner. "Geh und knüpfe Kontakte."

Allein gelassen, schlenderte ich zur Tanzfläche. Die Musik umspülte mich, und ich schloss die Augen, wiegte mich leicht. Wann hatte ich mir zuletzt erlaubt, etwas zu genießen, ohne zu viel nachzudenken?

"Sie sehen aus, als könnten Sie einen Tanzpartner gebrauchen."

Die tiefe Stimme erschreckte mich. Ich öffnete die Augen und fand eine große Gestalt vor mir stehend. Seine schwarze Maske bedeckte die obere Hälfte seines Gesichts und enthüllte nur ein starkes Kinn und sinnliche Lippen. Was mir jedoch den Atem raubte, waren seine Augen – ein intensives Violettblau, das unter seiner Maske zu leuchten schien.

"Ich hatte nicht vor zu tanzen," antwortete ich und überraschte mich selbst mit meinem flirtenden Tonfall.

"Pläne ändern sich." Er streckte seine Hand aus, genau als das Orchester zu einem langsameren Lied überging. "Ein Tanz wird Sie nicht umbringen."

Etwas an seiner Selbstsicherheit ließ mich meine Hand in seine legen. Er zog mich nah an sich heran, eine große Hand ruhte am unteren Teil meines Rückens. Wärme strahlte durch den dünnen Stoff meines Kleides.

"Sie sind nicht von hier," sagte er und führte mich gekonnt über die Tanzfläche. "Ich würde mich an Sie erinnern."

"Ziemlich selbstsicher für jemanden, der nur die Hälfte meines Gesichts sehen kann."

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. "Die wichtige Hälfte."

Der Champagner hatte mich mutig gemacht. "Und welche Hälfte ist das?"

"Die Hälfte, die mich jetzt anlächelt."

Wir bewegten uns, als hätten wir schon tausendmal miteinander getanzt. Seine Hand brannte auf meinem Rücken und zog mich mit jeder Drehung unmerklich näher.

"Was führt Sie heute Abend hierher?" fragte er, sein Atem warm an meinem Ohr.

"Flucht," gab ich zu, das Wort entschlüpfte mir, bevor ich es aufhalten konnte.

"Wovor?"

"Meinem Leben." Der Champagner hatte meine Zunge gelockert. "Nur für heute Abend."

Seine Augen verdunkelten sich, die Pupillen weiteten sich hinter seiner Maske. "Ich verstehe Flucht."

Die Musik schwoll um uns herum an. Mein Kopf fühlte sich leicht an – vom Champagner, dem Drehen oder seiner Nähe, ich konnte es nicht sagen.

"Ich brauche etwas Luft," murmelte ich und legte eine Hand auf seine Brust, um mich zu stabilisieren.

Ohne zu zögern führte er mich von der Menge weg, einen schwach beleuchteten Korridor entlang. Wir hielten in der Nähe eines hohen Fensters, durch das Mondlicht strömte.

"Besser?" fragte er, seine Stimme tiefer als zuvor.

Ich nickte, meinen Rücken an die kühle Wand gelehnt. "Danke."

"Wofür?"

"Dass Sie mich vergessen lassen," flüsterte ich.

Etwas veränderte sich in seinem Ausdruck. In einer fließenden Bewegung trat er näher, drängte mich gegen die Wand. "Lass mich dir helfen, noch ein bisschen mehr zu vergessen."

Seine Lippen prallten auf meine. Der Kuss war hungrig, verzweifelt. Mein Körper reagierte sofort, Arme schlangen sich um seinen Nacken, zogen ihn näher. Seine Zunge glitt zwischen meine Lippen, schmeckte nach teurem Whiskey und Verlangen.

"Sag mir, dass ich aufhören soll," murmelte er gegen meinen Mund, große Hände umfassten meine Taille.

"Hör nicht auf," keuchte ich.

Das war all die Erlaubnis, die er brauchte. Sein Mund wanderte meinen Hals hinunter, Zähne streiften empfindlich über meinen Pulspunkt. Ich stöhnte, ohne mich darum zu kümmern, wer es hören könnte. Seine Hände glitten hinunter, um meinen Hintern zu umfassen, hoben mich gegen die Wand.

"Schlinge deine Beine um mich," befahl er.

Ich gehorchte, verschränkte meine Knöchel hinter seinem Rücken. Die neue Position brachte den harten Beweis seines Verlangens fest gegen mich, nur durch Stoffschichten getrennt. Er stöhnte und rieb seine Hüften nach vorne.

"Ist das okay?" fragte er, sein Atem unregelmäßig.

"Ja," zischte ich und grub meine Finger in seine Schultern. "Bitte."

Was als nächstes geschah, war ein Wirbel verzweifelter Bewegungen. Er schob mein Kleid um meine Taille hoch. Ich nestelte an seinem Gürtel. In wenigen Augenblicken war er an meinem Eingang positioniert und hielt nur kurz inne, um in meinen Augen nach einer letzten Bestätigung zu suchen.

Ich antwortete, indem ich ihn nach vorne zog, keuchend, als er mich vollständig ausfüllte. Das Gefühl war exquisit – dehnend, brennend, befriedigend auf eine Weise, die ich noch nie zuvor erlebt hatte. Er begann sich zu bewegen, setzte ein unerbittliches Tempo, das mich dazu brachte, auf meine Lippe zu beißen, um nicht zu schreien.

"Sieh mich an," verlangte er, eine Hand umfasste mein Gesicht. "Ich will dich sehen."

Ich zwang meine Augen auf, traf diesen intensiven violettblauen Blick, während er immer wieder in mich stieß. Die Verbindung war elektrisch, intimer als der physische Akt, in den wir verwickelt waren.

"Du bist so wunderschön," stöhnte er, sein Rhythmus geriet ins Stocken, als er sich seinem Höhepunkt näherte.

Sein Daumen fand das empfindliche Nervenbündel am Scheitelpunkt meiner Schenkel und kreiste mit präziser Expertise. Die doppelte Empfindung stieß mich über die Kante. Meine Sicht wurde weiß, als Wellen der Lust durch mich hindurchbrachen. Ich spürte, wie er Sekunden später folgte, sein Körper spannte sich an, als er sein Gesicht in meinem Nacken vergrub und seine Erlösung dämpfte.

Wir blieben ineinander verschlungen, schwer atmend, keiner bereit, den Zauber zu brechen. Langsam setzte er mich auf meine Füße und stützte mich, als meine Beine nachzugeben drohten.

"Das war..." begann er, schüttelte dann den Kopf, anscheinend sprachlos.

"Ja," stimmte ich zu und strich mein Kleid wieder glatt.

Er richtete seine Kleidung und steckte dann sanft eine Haarsträhne hinter mein Ohr. "Ich mache so etwas nicht. Niemals."

"Ich auch nicht," gab ich zu.

"Ich würde gerne deinen Namen wissen," sagte er leise.

Bevor ich antworten konnte, klingelte sein Telefon. Der harte Klang zerbrach unsere Blase. Er zog es heraus und blickte auf den Bildschirm. Seine gesamte Haltung änderte sich augenblicklich.

"Ich muss rangehen," sagte er und nahm bereits ab. "Hallo? Was? Wann?" Die Farbe wich aus seinem Gesicht. "Ich bin sofort da."

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und sprintete den Flur hinunter, verschwand um die Ecke. Einfach so war er weg.

Ich lehnte mich gegen die Wand, während die Realität langsam wieder einsickerte. Was hatte ich gerade getan? Ich hatte Sex mit einem völlig Fremden, dessen Namen ich nicht einmal kannte, gegen eine Wand bei einem Wohltätigkeitsball. Das war nicht ich. Ich tat nie solche Dinge.

Dennoch konnte ich es nicht bereuen.

Ich fand meinen Weg zurück in den Ballsaal und entdeckte Chloe sofort. Sie warf einen Blick auf mich und ihre Augen weiteten sich.

"Wo warst du? Und warum siehst du aus, als hättest du gerade..." Ihr Mund formte ein perfektes O. "Das hast du nicht!"

"Zeit zu gehen," murmelte ich und griff nach ihrem Arm.

Später in dieser Nacht, auf meiner Couch ausgestreckt mit Chloe, erzählte ich jedes Detail meiner Begegnung mit dem mysteriösen maskierten Mann.

"Seine Augen waren unglaublich, Chloe. Dieses intensive Violettblau, das ich noch nie gesehen habe. Und die Art, wie er mich berührte..." Ich seufzte, spürte noch immer den Geist seiner Hände auf meiner Haut.

"Klingt, als hättest du den perfekten Rache-Hookup gehabt," grinste Chloe und füllte unsere Weingläser nach. "Viel besser, als Jessica und Ethan beim Ehegelübde zuzusehen."

"Es war unglaublich," gab ich zu, spürte, wie meine Wangen erröteten. "Ich habe noch nie etwas so Leichtsinniges getan."

"Manchmal ist Leichtsinn genau das, was du brauchst." Chloe stieß ihr Glas gegen meines. "Auf Neuanfänge und mysteriöse Fremde!"

Ich lachte und nahm einen Schluck. "Auf eine perfekte Nacht."

Chloe neigte ihren Kopf und studierte meinen Gesichtsausdruck. "Warte, da ist nur eine Sache, die ich fragen muss... Ihr habt doch Verhütung benutzt, oder?"

Das Weinglas rutschte mir fast aus den Fingern, als die nackte Erkenntnis mich wie ein Lastwagen traf. Meine Gedanken rasten zurück durch die hitzige Begegnung – die Verzweiflung, die Leidenschaft, das vollständige Aufgeben der Vernunft.

"Oh mein Gott," flüsterte ich, während mein Blut zu Eis gefror. "Haben wir nicht."