Das gestohlene Gelübde

"Perfekt," flüsterte ich und trat zurück, um mein Werk zu bewundern.

Nach drei schlaflosen Nächten hatte ich endlich die letzte Perle an meinem Hochzeitskleid angebracht. Jeder Stich, jede Perle – von meinen eigenen Händen platziert. Die elfenbeinfarbene Seide fiel in sanften Wellen bis zum Boden und fing das Morgenlicht ein, das durch die Fenster meines Ateliers strömte.

Sechs Jahre mit Alistair hatten zu diesem Moment geführt. Sechs Jahre, in denen ich ihn liebte, ihn während seiner Krankheit unterstützte, meine seltene Blutgruppe spendete, die perfekt zu seiner passte. Sechs Jahre, in denen wir ein gemeinsames Leben aufgebaut hatten.

Die Hochzeit war nur noch drei Tage entfernt.

Mein Handy vibrierte auf der Werkbank. Alistairs Gesicht leuchtete auf meinem Bildschirm auf, und ich lächelte, als ich mit vor Aufregung sprudelnder Stimme antwortete.

"Hey! Ich habe gerade die letzten Handgriffe an meinem Kleid gemacht. Du wirst—"

"Hazel, wir müssen reden." Seine Stimme durchschnitt mein Glück wie Eiswasser.

Meine Finger erstarrten auf dem zarten Stoff. Etwas stimmte nicht. Schrecklich falsch. Ich hatte diesen Ton noch nie von ihm gehört – distanziert, erschöpft.

"Was ist los?" fragte ich, während mein Herz plötzlich hämmerte.

Er milderte den Schlag nicht ab. "Die Hochzeit ist abgesagt."

Der Raum neigte sich um mich herum. "Was? Ist das irgendein Scherz?"

"Ich meine es ernst, Hazel. Ich kann dich nicht heiraten."

Meine Knie wurden schwach, und ich sank auf meinen Arbeitshocker. "Warum? Was ist passiert? Habe ich etwas falsch gemacht?"

Eine lange Pause dehnte sich zwischen uns aus, bevor er wieder sprach. "Es ist Ivy. Sie stirbt."

Ivy. Meine Stiefschwester. Der Dorn in meiner Seite, seit mein Vater ihre Mutter heiratete, als ich zwölf war. Das Mädchen, das mir alles gestohlen hatte – die Aufmerksamkeit meines Vaters, den Schmuck meiner Mutter, meine Skizzen, meine Freunde. Und jetzt das?

"Was hat Ivy mit unserer Hochzeit zu tun?" Meine Stimme war kaum hörbar.

"Sie hat Krebs im Endstadium. Sechs Monate, vielleicht weniger." Seine Stimme brach mit einer Emotion, die ich selten gehört hatte. "Ihr letzter Wunsch ist, mich zu heiraten."

Die Absurdität seiner Worte traf mich wie ein physischer Schlag. "Und du wirst es tun? Einfach so? Sechs Jahre unserer Beziehung wegwerfen?"

"Versuch zu verstehen, Hazel. Sie stirbt. Sie ist deine Schwester—"

"Stiefschwester," korrigierte ich automatisch, während mein Verstand noch taumelte.

"Sie ist Familie," beharrte er. "Kannst du nicht in deinem Herzen Mitleid für sie finden? Ihr diesen einen Wunsch erfüllen, bevor sie stirbt?"

Mitleid. Er wollte, dass ich Mitleid mit dem Mädchen habe, das mich seit meiner Kindheit gequält hatte. Das Mädchen, das sich über meine Träume, Designerin zu werden, lustig gemacht hatte. Das Mädchen, das jetzt meinen Verlobten wollte.

"Das kann nicht dein Ernst sein," flüsterte ich.

"Ich habe bereits zugestimmt." Sein Ton wurde härter. "Hör zu, ich weiß, das ist schwierig. Deshalb biete ich dir fünfzig Prozent von Everett Enterprises als Entschädigung an."

"Entschädigung?" Das Wort fühlte sich schmutzig in meinem Mund an. "Du denkst, du kannst mich auszahlen?"

"Sei nicht so, Hazel. Ich versuche, das Richtige zu tun. Warum bist du so egoistisch? Es ist nur eine Hochzeit. Sie stirbt."

Nur eine Hochzeit. Sechs Jahre meines Lebens reduziert auf "nur eine Hochzeit." Der Raum drehte sich um mich, während ich versuchte, diesen Albtraum zu verstehen.

"Wo bist du jetzt?" fragte ich mit hohler Stimme.

"Im Krankenhaus. Sie bereiten eine kleine Zeremonie für morgen vor."

"Morgen?" wiederholte ich, mein Herz zerschmettert. "Das ist... das ist, wenn wir unser Probeessen haben sollten."

Alistair seufzte ungeduldig. "Es geht jetzt nicht um dich, Hazel. Kannst du nicht einmal an jemand anderen denken?"

Seine Worte trafen mich wie eine Ohrfeige. Ich, die ihm unzählige Male mein Blut gegeben hatte, wenn seine seltene Erkrankung Transfusionen erforderte. Ich, die seine Hand durch jede Behandlung, jeden Rückschlag gehalten hatte. Ich, die unser Unternehmen an seiner Seite aufgebaut hatte, während er sich erholte.

"Übrigens," fuhr er fort, "ich war gestern in deinem Atelier, als du weg warst, und habe dein Hochzeitskleid mitgenommen. Ivy liebte es. Sie sagte, es sei genau das, was sie gewählt hätte."

Mir stockte der Atem. "Du... hast mein Kleid genommen?"

"Sie hat die gleiche Größe wie du. Es passt perfekt." Er klang abgelenkt. "Hör zu, ich muss gehen. Die Ärzte rufen mich."

Der Raum verschwamm durch meine Tränen. "Alistair, bitte—"

"Ich lasse meinen Anwalt wegen der Unternehmensanteile Kontakt mit dir aufnehmen. Es tut mir wirklich leid, Hazel."

Die Leitung wurde unterbrochen.

Ich starrte auf die leere Schaufensterpuppe, wo noch gestern mein Kleid gestanden hatte – das Kleid, in das ich mein Herz gesteckt hatte, jede Perle und jeder Stich ein Zeugnis meiner Liebe zu ihm. Jetzt würde es Ivys Körper schmücken, während sie meinen Platz an Alistairs Seite einnahm.

Mein Handy glitt aus meinen tauben Fingern und klapperte auf den Boden. Draußen ging das morgendliche Treiben der Stadt weiter, ohne zu ahnen, dass meine Welt gerade implodiert war.

Ivy. Die Geißel meiner Existenz seit meiner Kindheit. Ich hätte wissen müssen, dass sie einen Weg finden würde, mir auch das zu stehlen – das Einzige, von dem ich dachte, es wäre sicher vor ihren gierigen Händen.

Wie lange ging das schon? Hatte Alistair sie im Krankenhaus besucht, während er mir erzählte, er würde spät arbeiten? Hatten sie zusammen über die arme, naive Hazel gelacht, die sich an einem Hochzeitskleid abmühte, das nie ihres sein würde?

Mein Blick fiel auf das kleine Kristallfläschchen auf meiner Werkbank – Alistairs Blutgruppe, selten und kostbar, die ich ihm seit unserer Teenagerzeit gespendet hatte. Das gleiche Blut, das ihn während seiner Krankheit am Leben erhalten hatte.

Mein Blut.

Mein Leben.

Mein Verlobter.

Alles gestohlen in einem einzigen Telefonat.

Ich schloss die Augen und spürte, wie sich etwas in mir veränderte. Der Schmerz war immer noch da, weißglühend und brennend, aber daneben wuchs etwas anderes. Etwas Kaltes und Scharfes und Unbekanntes.

Drei Tage vor meiner Hochzeit stand ich allein in einem Atelier voller zerbrochener Träume und einer ihrer Pracht beraubten Schaufensterpuppe. Aber als die Tränen auf meinen Wangen trockneten, legte ich ein stilles Gelübde ab.

Dies würde nicht das Ende meiner Geschichte sein. Dieser Verrat würde erst der Anfang sein.