Mein Körper war taub.
Schwärze umhüllte mich, schwer wie eine zweite Haut. Nur der pochende Schmerz in meinem Arm erinnerte mich daran, dass ich lebte – und dass etwas passiert war, das ich nicht begreifen konnte.
Dann kam Licht.
Ein scharfes, kühles Flackern durch meine Lider.
Ich schlug die Augen auf. Die Decke über mir war kein Wald, kein Himmel. Es war das Dach meines Autos.
Ich lag zurückgelehnt auf dem Fahrersitz, halb zusammengesackt, der Sicherheitsgurt lose über meiner Brust. Die Wunde am Arm brannte höllisch.
Und da war sie.
Fenris.
Nicht als Wölfin, nicht als Erscheinung aus dem Nebel. Sondern ganz real. Ganz da.
Sie kniete auf dem Beifahrersitz, den Erste-Hilfe-Kasten auf dem Schoß, blätterte unsicher durch Pflaster, Mullbinden, sterile Tücher. Ihre silbrig-blonden Haare waren wirr, einzelne Strähnen klebten an ihrer Wange. Ihre Hände zitterten leicht – nicht aus Angst, sondern aus Sorge.
„Du… du bist wach“, sagte sie mit rauer Stimme.
Ich versuchte zu sprechen, aber mein Hals war trocken. Ich schluckte mühsam. „Wie…?“
„Du bist ohnmächtig geworden. Blutverlust. Ich… habe dich zurückgebracht.“
Sie zögerte. „Auf zwei Beinen. Nicht als Wölfin. Ich wollte nicht, dass du wieder Angst bekommst.“
Ich sah an mir herunter. Ein improvisierter Verband – nicht perfekt, aber fest genug. Ein Verband von einer Wölfin, die wahrscheinlich noch nie einen benutzt hatte.
„Du hast mir das Leben gerettet“, flüsterte ich.
Sie sah mich an, lange. Ihre goldenen Augen flackerten wie schwaches Feuer.
„Du hast deins riskiert, um mir zu folgen. Das tut kein dummer Mensch. Nur einer mit Herz. Oder Wahnsinn.“
Ich lächelte schwach. „Beides vielleicht.“
Ein kurzer Moment der Stille. Der Regen begann leise auf die Scheibe zu trommeln.
Fenris legte vorsichtig eine Hand auf meine Schulter. Ihre Berührung war warm – menschlich, aber in ihr lag ein Puls, der tiefer ging als Haut.
„Ich bin nicht wie ihr“, sagte sie leise. „Ich weiß nicht, ob ich… hier reinpasse.“
„Dann passen wir beide nicht rein“, murmelte ich. „Aber vielleicht… passen wir genau deshalb zusammen.“
Sie lächelte nicht. Aber sie blieb. Und das sagte mehr als tausend Worte.
Ich lag da, den Kopf an die Scheibe gelehnt, die Augen halb geschlossen. Der Schmerz war noch da – dumpf, pochend –, aber nicht mehr alles beherrschend. Ich konnte klar denken. Und genau das machte mir Angst.
„Warum…?“, flüsterte ich. „Wie kann ich noch leben? Ich… ich hab so viel Blut verloren…“
Fenris sah mich lange an, dann ließ sie langsam die Mullbinde sinken. Ihre Stimme war leise, fast vorsichtig – als würde sie etwas zugeben, das sie bisher selbst verdrängt hatte.
„Du solltest tot sein“, sagte sie schlicht.
Ich erstarrte.
„Aber ich konnte dich nicht verlieren. Nicht dich. Nicht jetzt, wo sich unser Schicksal gekreuzt hat.“
Sie holte zögernd Luft – und was sie als Nächstes sagte, ließ mein Herz schneller schlagen als je zuvor:
„Ich habe dir mein Blut gegeben.“
Ich starrte sie an. „Was meinst du… dein Blut?“
Sie senkte den Blick, sprach langsam, als würde jedes Wort einen Bann brechen:
„Als du am Boden lagst und der Tod schon nach dir griff, habe ich dich gebissen. Nicht wie ein Feind. Sondern… wie ein Rudelmitglied. Ich habe meine Macht, mein Wesen, mein Erbe mit dir geteilt. Ein alter Instinkt – gefährlich, nicht kontrollierbar. Ich habe gehofft, dass dein Körper es annimmt… und nicht zerstört wird.“
Ich schluckte. Konnte kaum glauben, was ich da hörte.
„Was… passiert jetzt mit mir?“
„Das weiß ich nicht.“ Ihre Stimme war ehrlich, nackt. „Vielleicht heilt es dich. Vielleicht verändert es dich. Oder… vielleicht zerreißt es dich innerlich. Ich weiß nur, dass du noch hier bist. Und das bedeutet etwas.“
Stille senkte sich zwischen uns. Nur der Regen sprach noch.
Dann sah sie mich ernst an, zum ersten Mal fast… unsicher.
„Habt ihr hier einen Heiler? Einen Schamanen? Einen… Menschen, der helfen kann? Ich kenne eure Medizin nicht. Und wenn etwas schiefläuft…“
Ich nickte langsam. Mein Herz hämmerte noch, doch mein Verstand war wieder da.
„Es gibt ein kleines Dorf – etwa eine Stunde von hier. Da lebt ein alter Arzt. Ruhig, vertrauenswürdig. Wenn jemand nicht fragt, sondern einfach hilft… dann er.“
Fenris sah mich prüfend an, dann griff sie nach dem Schlüsselbund.
„Dann fahren wir. Du stirbst mir jetzt nicht. Noch nicht.“
Sie startete den Wagen.
Und ich lehnte mich zurück, fragte mich, was in meinem Innersten nun wuchs.
War ich noch ich selbst?
Oder war ich nun etwas dazwischen – zwischen Mensch und Wolf, zwischen zwei Welten?