Ich rannte ihr hinterher.
Zweige peitschten mir ins Gesicht, Moos sog meine Schritte auf, als wollte der Wald mich verschlucken. Doch ich konnte nicht anders. Ich musste ihr folgen. Musste wissen, was sie war – oder was das mit mir machte.
Vor mir nur Stille. Kein Laut. Kein Rascheln. Nur Nebel und Bäume, schwarz wie Schatten.
„Fenris!“, rief ich. „Warte doch!“
Keine Antwort.
Sie war riesig. Und trotzdem so schnell, als sei der Wald selbst ihr Blut. Ich hatte keine Chance, aber mein Herz trieb mich weiter, gegen jede Vernunft.
Dann – nichts.
Ich stand allein inmitten von Kiefern, das Licht der Mitternachtssonne längst von Nebel geschluckt. Meine Lunge brannte, mein T-Shirt war zerrissen, meine Hände blutig von Dornen.
Ich drehte mich im Kreis. Kein Pfad. Kein Geräusch. Nur mein eigener, viel zu lauter Atem.
Dann…
Ein Heulen.
Nicht eins. Viele.
Es kam von überall. Von allen Seiten.
Ein uraltes, langgezogenes Jaulen, das die Luft zerschnitt wie eine scharfe Klinge.
Mein Blut gefror.
Ich wollte rufen – doch meine Stimme war weg. Mein Instinkt schrie: Lauf! Doch meine Beine waren wie Wachs.
Dann hörte ich das Knacken von Ästen. Rechte Seite. Dann links. Dann hinter mir.
Ich war nicht mehr allein.
„Fenris…?“ flüsterte ich. „Bitte… wo bist du…?“
Ein Schatten huschte zwischen den Bäumen. Dann noch einer. Gelbe Augen im Zwielicht. Zähne im Nebel.
Ich wich zurück, stolperte, fiel fast, griff nach einem Ast.
Dann – ein weiteres Heulen. Tiefer. Mächtiger.
Anders.
Es durchbrach das Jaulen der anderen, beherrschte es, erstickte es.
Die Geräusche verstummten.
Ein dunkles Knurren. Und dann trat sie hervor.
Nicht die Frau. Die Wölfin.
Größer als je zuvor. Ihre goldenen Augen glühten, ihr Blick war auf mich gerichtet. Nicht zornig. Nicht wild. Aber… ernst.
Ein Rudel trat hinter ihr aus dem Nebel. Graue Wölfe, schwarze Wölfe, mit zerrissenen Ohren, Narben auf den Schnauzen – alle warteten. Auf sie.
Und sie – sah mich an.
Langsam trat sie näher. Kein Laut. Nur ihr Blick, der mich durchbohrte.
Ich stand wie versteinert. Und dann… neigte sie leicht den Kopf.
Sie hatte mich gehört. Sie war zurückgekommen.
Aber ich wusste nun:
Ich war nicht mehr nur ihr Begleiter. Ich war ein Mensch mitten unter Wölfen.
Und diese Welt hatte Regeln, die ich erst lernen musste – oder nicht überleben würde.
Der Moment, in dem der erste Wolf losstürmte, war wie ein Stromschlag.
Ich hörte das Knurren – tief, feindselig, kein Vergleich zu Fenris’ Präsenz. Dieser Wolf war nicht neugierig, nicht prüfend. Er war hungrig auf Angst. Und ich war der Fremde, das schwächste Glied, fehl am Platz.
Ich drehte mich um und rannte.
Keine Richtung. Nur weg.
Äste schlugen mir ins Gesicht, Dornen rissen mir die Haut auf. Ich rutschte über nasses Laub, stolperte, kämpfte mich auf die Beine – keuchend, tastend, fluchend.
Aber ich wusste: Keine Chance.
Der Wolf kannte den Wald. Ich nicht. Seine Schritte waren lautlos, seine Augen überall.
Dann hörte ich ihn – direkt hinter mir. Ein kehliges Keuchen, schwer und heiß. Ich stolperte ein letztes Mal, fiel vornüber, rollte mich ab – und spürte den Aufprall, als er gegen mich sprang.
Ich lag auf dem Rücken. Der Wolf über mir.
Sein Maul geöffnet, seine Reißzähne blitzten.
Er holte aus. Ziel: mein Hals.
Ich hob instinktiv den Arm – und spürte die Zähne, wie sie sich in mein Fleisch gruben.
Ich schrie.
Der Schmerz war weiß und brennend, die Welt verschwamm – und dann, ein Brüllen. Kein Knurren. Kein Jaulen. Ein uraltes, grollendes Brüllen, das selbst die Bäume erzittern ließ.
Fenris.
Sie war auf ihn gestürzt, wie ein Blitz aus Fleisch und Zorn. Der Wolf wurde von mir gerissen, sie schleuderte ihn gegen einen Baum, dass es krachte.
Die anderen Wölfe wichen zurück. Nicht aus Angst. Aus Respekt.
Fenris stellte sich zwischen mich und das Rudel, riesig, bedrohlich, ihre Zähne entblößt, die Ohren flach an den Schädel gelegt. Kein Zweifel:
Sie war die Alpha.
Der Wolf, der mich gebissen hatte, jaulte, rappelte sich auf – und kroch davon, den Schweif eingeklemmt.
Ich spürte Blut an meinem Arm. Warm. Viel.
Der Schmerz ließ mich zittern, mein Kopf dröhnte, meine Sicht flackerte.
Dann stand Fenris plötzlich wieder als Frau vor mir, nackt, blutverschmiert, das silbrige Haar wild zerzaust.
Sie kniete sich zu mir. Ihre Stimme war weich.
„Ich habe dir gesagt, diese Welt ist gefährlich. Doch du bist geblieben.“
Ich nickte matt.
„Dann gehörst du jetzt zu mir“, flüsterte sie.
Sie legte ihre Hand auf meine Wunde. Ihre Augen leuchteten goldener als je zuvor.
Und ich wusste nicht, ob ich sterben würde –
oder gerade neu geboren wurde.