Der Motor schnurrte unter ihren Händen. Ihre Bewegungen waren ruhig, fast selbstverständlich. Ich sah zu ihr hinüber, zu Fenris – wie sie sich konzentrierte, die Augen fest auf die Straße gerichtet, die Finger fest am Lenkrad.
„Ich danke dir“, sagte ich leise.
Sie antwortete nicht sofort. Vielleicht war es ihr unangenehm, vielleicht war sie mit Gedanken woanders. Doch dann, als das Licht einer Laterne über die Scheibe flackerte, sah ich es.
Eine blutige Wunde an ihrem linken Arm. Frisch, tief, nicht natürlich.
„Fenris…“ Ich deutete auf die Stelle. „Du bist auch verletzt. War das… war das von mir? Als du mir dein Blut gabst?“
Sie sah kurz zu mir – und in diesem Blick lag alles: Schmerz, Stolz, Sorge.
„Ja“, sagte sie schließlich. „Es ist der Preis. Ich musste mich öffnen, um dir zu geben, was ich bin. Damit mein Blut dich heilt, musste ich dich beißen. Und mich zugleich verletzen. Der Austausch… ist nicht nur körperlich.“
Ich ließ mich zurücksinken, mein Atem zitterte.
„Warum hast du das getan? Ich bin nur ein Mensch. Jeder normale Mensch wäre weggelaufen. Ich… ich weiß selbst nicht, warum ich dir gefolgt bin.“
Fenris fuhr schweigend weiter. Die Straße vor uns war schwarz und endlos, wie ein Fluss aus Nacht.
„Vielleicht bist du nicht so normal, wie du glaubst“, sagte sie schließlich.
Sie schaltete einen Gang runter, bog in eine Nebenstraße ein, die sich durch dichter werdenden Wald wand.
„Die Nornir weben keine sinnlosen Fäden“, fuhr sie fort. „Ich weiß nicht, warum du mich gesehen hast – warum du mir gefolgt bist. Aber ich habe gespürt, dass es richtig war. Dass du… zu mir gehörst.“
Ich drehte langsam den Kopf zu ihr. „Zu dir?“
Sie nickte kaum merklich. „Du bist nicht einfach in mein Revier gestolpert. Du hast dein altes Leben hinter dir gelassen, weil etwas in dir gerufen hat. Vielleicht war’s ich. Vielleicht war’s das Blut in dir, das auf meins gewartet hat. Oder vielleicht…“
Sie sah mich direkt an, ihre goldenen Augen leuchteten im Halbdunkel.
„Vielleicht bist du schon lange ein Teil von mir – und hast dich nur erinnert, als du mich gesehen hast.“
Ich schluckte. Worte wollten nicht kommen.
Der Schmerz in meinem Arm war noch da. Aber darunter… lag etwas anderes.
Etwas, das pulsierte. Etwas Uraltes.
Und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl:
Ich war nicht mehr allein. Und ich war nicht mehr nur Mensch.
Ich lehnte mich gegen die kühle Fensterscheibe, während der Wagen weiter durch das nächtliche Norwegen rollte. Die Welt draußen war ruhig, fast ehrfürchtig.
Und drinnen, in diesem kleinen Auto mitten im Nirgendwo, sprach ich endlich aus, was mich überhaupt hierhergeführt hatte:
„Ich war in Deutschland unzufrieden. Mit allem. Mit der Arbeit, den Menschen… mit mir selbst. Ich wusste nicht mehr, wer ich bin. Ich war einfach leer. Also hab ich alles stehen lassen und bin losgefahren.
Aber… statt mir selbst, hab ich dich gefunden.“
Fenris schwieg.
Doch ich spürte, wie sich etwas in der Luft zwischen uns veränderte. Kein Urteil, kein Mitleid – nur Verständnis. Vielleicht hatte sie genau das gespürt, damals, als sie mich ansah. Dieses innere Vakuum, das nur jemand füllen konnte, der nicht von dieser Welt war.
Kurz darauf tauchten Lichter zwischen den Bäumen auf. Eine abgelegene Hütte, alt, aus Holz gebaut, mit einem handgeschnitzten Schild an der Tür: Lege Hånden – tradisjonell legekunst.
„Heilende Hände – traditionelle Heilerkunst.“
Fenris bremste langsam.
„Hier ist es?“
Ich nickte. „Wenn jemand uns nicht gleich in die Psychiatrie schickt, dann er.“
Ich stieg langsam aus. Mein Arm pochte, doch die Blutung war unter Kontrolle. Fenris stützte mich schweigend, ihre Kraft spürbar unter der Jacke, ihr Blick aufmerksam.
Wir klopften.
Nach einem Moment öffnete ein alter Mann die Tür – bärtig, wettergegerbt, mit klaren Augen, die sofort auf meinen Verband fielen… und dann auf Fenris.
Er sagte kein Wort. Sah nur.
Dann trat er zur Seite.
„Kom inn,“ sagte er mit tiefer Stimme. „Du blutest nicht nur aus Fleisch. Da ist mehr. Komm schnell.“
Ich taumelte hinein, Fenris an meiner Seite.
Der Raum roch nach Kräutern, Rauch, Erde. Runen waren in Balken geritzt, getrocknete Moose hingen von der Decke. Kein gewöhnlicher Arzt. Kein gewöhnlicher Ort.
Ich setzte mich schwer auf eine Bank. Der Alte tastete meine Stirn, sah mir in die Augen. Dann legte er mir die Hand auf die Brust, genau über dem Herzen.
„Du hast das Blut der Wölfin in dir“, murmelte er. „Und das Herz eines Suchenden. Du stehst an der Grenze beider Welten.“
Er sah zu Fenris. Und senkte dann leicht den Kopf – aus Respekt. Nicht aus Angst.
„Du hast etwas in Gang gesetzt, Wölfin. Und jetzt müssen wir beide hoffen, dass er stark genug ist, es zu tragen.“
Ich atmete tief ein.
Was auch immer jetzt kam – der Weg zurück war längst verschwunden.