Der Himmel über Norwegen lag wolkenverhangen, als Fenris und ich das Tal verließen.
Der Wind war scharf und trug den Geruch von Schnee mit sich – ein Zeichen dafür, dass der Winter bald kommen würde.
Doch der Frost in der Luft war nicht das Einzige, was uns frösteln ließ.
Eirik hatte Spuren hinterlassen, nicht nur auf dem moosigen Pfad, den er gegangen war, sondern auch in unseren Gedanken.
Seine Warnungen hallten nach, und mit jedem Schritt tiefer in den Wald spürte ich: Etwas Altes war erwacht.
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Fenris ging vor mir her, ihre Schritte leise und doch entschlossen.
Ich konnte sehen, wie angespannt ihre Schultern waren.
Sie war eine Alpha, geboren aus Blut und Feuer, doch selbst sie war nicht unverwundbar.
> „Was denkst du?“ fragte ich nach einer Weile, als der Pfad schmaler wurde und sich ein Fluss zu unserer Linken öffnete.
Das Wasser war wild, sein Rauschen wie eine Stimme, die uralte Geschichten erzählte.
> Fenris blieb stehen, ohne sich umzudrehen.
„Ich glaube, dass Eirik die Wahrheit gesagt hat. Zumindest einen Teil davon.“
> „Und der andere Teil?“
> Sie drehte sich nun zu mir um. Ihre silbrig-blonden Haare hingen feucht von der Gischt des nahen Wassers, ihre Augen durchbohrten mich.
„Er weiß mehr, als er preisgibt. Und er hat Angst.“
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Wir beschlossen, zum alten Steinkreis zurückzukehren – ein Ort, der in den Erzählungen des Rudels als Feuerherz bekannt war.
Ein heiliger Ort. Ein gefährlicher Ort. Und vielleicht der Schlüssel zu allem.
Der Weg dorthin war steil, führte durch Felsspalten, über knorrige Wurzeln und durch dichten Nebel.
Doch je näher wir kamen, desto mehr veränderte sich die Luft.
Sie wurde schwer, fast elektrisch – als würde sie Erinnerungen in sich tragen.
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> „Dieser Ort kennt unser Blut,“ murmelte Fenris, als sie die ersten Steine berührte.
Sie sank auf die Knie, legte ihre Hand auf den Boden – und plötzlich zuckte ein Flammenkranz über die Ränder des Steinkreises.
Ich wich erschrocken zurück.
Die Runen auf den Steinen begannen zu leuchten.
Nicht grell – aber lebendig, uralt, auf eine Weise, die nicht menschlich war.
> „Was ist das?“ fragte ich, während Fenris langsam aufstand.
> Sie war blass. Ihre Stimme war kaum ein Flüstern.
„Der Kreis erkennt, was wir sind... und was wir sein könnten.“
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Plötzlich durchfuhr mich ein stechender Schmerz.
Ein brennendes Gefühl kroch durch meine Adern, begann in der Brust und breitete sich aus wie flüssiges Feuer.
Fenris schrie meinen Namen, ihre Finger umfassten meine Hände, hielten mich fest, als meine Knie nachgaben.
> „Das ist dein Blut“, keuchte sie. „Es antwortet... es rebelliert!“
> „Warum...?“ Ich keuchte, rang nach Luft.
Doch tief in meinem Inneren wusste ich: Der Kreis prüfte mich. Er prüfte uns.
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Dann wurde alles schwarz.
Doch bevor ich die Besinnung verlor, hörte ich eine Stimme.
Nicht Fenris. Nicht Eirik. Nicht mein eigenes Ich.
Etwas anderes.
Etwas Tieferes.
Etwas, das sprach:
> „Du trägst nicht nur das Erbe der Wölfe… sondern auch das der Flamme. Entscheide, wofür du brennst.“
Als ich wieder zu mir kam, war der Himmel vom rötlichen Schein der Dämmerung erfüllt.
Ich lag in der Mitte des Steinkreises.
Der Boden unter mir war warm – nicht von der Sonne, sondern von etwas Tieferem, als ob die Erde selbst atmete.
Fenris kniete neben mir, ihre Hand auf meiner Brust.
Sie hatte die Augen geschlossen, murmelte Worte in einer alten Sprache, die ich nicht verstand – Worte, die sich anfühlten wie Schutz, wie Magie.
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„Was... ist passiert?“ krächzte ich.
Fenris öffnete die Augen.
Ihre Pupillen waren schmal geworden, fast vollständig von hellem Silber überzogen.
Ein Zeichen, dass sie tief mit ihrer Wölfin verbunden war.
> „Du wurdest geprüft“, sagte sie leise.
„Nicht von mir, nicht vom Rudel – sondern von der Kraft, die in dir erwacht ist.“
> „Ich habe nichts verstanden… außer einer Stimme.“
Fenris' Miene versteinerte.
> „Du hast sie gehört?“
> Ich nickte.
„Sie sagte, ich trüge auch das Erbe der Flamme… und müsse entscheiden, wofür ich brenne.“
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Fenris erhob sich langsam.
Sie ging einen Schritt zurück und starrte auf den Steinkreis, als würde er sich jeden Moment in etwas anderes verwandeln.
> „Das verändert alles“, murmelte sie.
„Nicht nur dein Blut... sondern auch unsere Verbindung.“
Ich richtete mich auf, noch immer wacklig, doch klarer im Kopf.
> „Was bedeutet das? Was ist das Erbe der Flamme?“
Sie zögerte, dann begann sie zu erzählen.
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> „Es gab einmal eine Linie unter uns – eine Linie, geboren aus einem alten Ritual, das Feuer mit dem Tier verband.
Die Flammenwölfe. Krieger, die nicht nur die Stärke des Rudels trugen, sondern auch das Elementarfeuer.
Aber sie verschwanden. Die Macht war zu groß. Die Gefahr... unkontrollierbar.“
> Ich verstand.
„Du meinst... ich bin einer von ihnen?“
> Fenris nickte.
„Oder du bist es geworden, durch das, was ich dir gab... durch unser Band.“
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Ein leises Jaulen ertönte aus der Ferne.
Nicht ängstlich – rufend.
Das Rudel hatte gespürt, dass etwas passiert war.
Dass sich etwas verändert hatte.
Vielleicht sogar erschüttert.
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„Komm“, sagte Fenris schließlich.
„Du brauchst Zeit. Aber das Rudel muss dich sehen. Muss wissen, dass du dich noch kontrollieren kannst. Dass du du bist.“
Ich stand auf, spürte die Hitze noch in mir glimmen – wie eine Glut, tief in meinem Innersten.
Doch ich wusste: Ich würde diesen Weg nicht allein gehen.
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Als wir durch den herbstlichen Wald zurückkehrten, brannte in mir kein Zweifel mehr – sondern eine leise, aber unaufhaltsame Flamme.
Und an meiner Seite ging Fenris, mit einer Haltung, die nicht nur Stolz zeigte, sondern auch die Gewissheit:
Was auch kommen mochte – wir würden ihm gemeinsam entgegentreten.
Der Wald öffnete sich vor uns, als wir das Lager des Rudels erreichten.
Es war nicht wie sonst – kein aufgeregtes Bellen, kein freudiges Heraneilen.
Stille lag über der Lichtung, gespannt und lauernd, als hielten alle den Atem an.
Die Wölfe standen in einem weiten Kreis. Ihre Augen ruhten auf mir – prüfend, forschend, ängstlich.
Fenris stellte sich nicht zwischen mich und das Rudel.
Nein – sie trat neben mich, aufrecht und stolz, als Zeichen: Ich stehe bei ihm. Ich stehe hinter ihm.
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Ein älterer Wolf, fast vollständig grau, trat vor.
Er war der Beta – der Zweite nach Fenris.
Sein Blick war ernst, seine Stimme tief und rau:
> „Was ist in dir erwacht, Menschenblut?“
Ich wollte antworten, doch Fenris legte ihre Hand auf meinen Arm.
> „Er muss es zeigen, nicht erklären.“
Ein Raunen ging durch die Wölfe.
Zeigen? Die alten Regeln verlangten einen Beweis.
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Ich trat in den Kreis, atmete tief.
Ich wusste nicht genau, was ich tat – nur, dass tief in mir etwas auf die Stimme der Natur, auf die Gesänge des Waldes antworten wollte.
Ich schloss die Augen.
Stille.
Dann spürte ich es wieder.
Nicht Hitze.
Nicht Zorn.
Sondern eine Energie, warm und alt – wie das Flackern eines Feuers in einer sturmgepeitschten Höhle.
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Und dann – geschah es.
Mein Körper spannte sich, mein Atem wurde schwer.
Mein Herzschlag hallte in meinem Schädel wie Donnerschläge.
Und plötzlich – flackerte es um mich herum.
Keine Flammen, die verbrannten.
Sondern Licht. Bewegung. Wärme.
Ein rötlicher Schein begann, meine Haut zu umspielen – kaum sichtbar, doch jeder Wolf im Kreis sah es.
Der Schimmer wurde stärker, flüssiger, als würde mein Blut selbst leuchten.
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Die Ältesten fielen auf die Knie.
Nicht aus Angst.
Sondern aus Anerkennung.
> „Feuerträger“, murmelte der Beta.
„Nach all den Generationen... er lebt.“
Ich öffnete die Augen.
Die Energie verebbte, das Licht verschwand – aber etwas in mir war verändert.
Nicht zerstört. Nicht überfordert.
Vollständig.
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Fenris trat zu mir, legte eine Hand auf meine Brust.
> „Du bist nicht nur Mensch. Nicht nur Wolf.
Du bist das Dazwischen. Das Feuer zwischen den Welten.“
> „Ist das gut?“ fragte ich leise.
Sie lächelte.
> „Es ist genau das, was wir brauchen.“
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Später, in der Nacht, saßen wir wieder am Feuer.
Fenris lag an meiner Seite, ihr Kopf auf meiner Schulter, während das Rudel in einem Halbkreis um uns ruhte.
Der Wind flüsterte Geschichten durch die Baumwipfel, und das Knistern der Flammen klang wie das Atmen alter Götter.
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> „Wirst du mich führen, wenn ich die Kontrolle verliere?“ fragte ich.
> „Ich werde dich daran erinnern, wer du bist“, flüsterte sie.
> „Und wenn ich brenne?“
> „Dann tanze ich mit dir im Feuer, Geliebter.“
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So endete dieser Tag – nicht mit einem Triumph, sondern mit einem Erwachen.
Ein neues Kapitel hatte begonnen.
Und tief in mir wusste ich: Das Feuer würde uns nicht zerstören.
Es würde uns formen. Zusammen.