Sophies Weg

Sophie war schon länger bereit dazu, ein Teil der Jugendrebellen zu werden, doch Lirien hatte sich einfach direkt in den Vordergrund gedrängt. Wohin gingen die beiden jetzt nur?

Nachdem das Gespräch zwischen Elaran und Lirien beendet war, wollte Elaran ihr wohl noch etwas zeigen. Sophie stand daneben, unklar darüber, was genau die beiden gerade noch vor ihren eigenen Augen und Ohren besprochen hatte. Es war nicht viel Zeit vergangen, seit das Gespräch geendet hatte, doch Sophie stand noch immer im selben Raum.

Sophie blickte um sich. Niemand war da. Akio und Auron waren sonst wo, und Lirien ging gerade nach einem kurzen, aber intensiven Gespräch mit Elaran in einen Trainingsraum oder sonst wohin. Worauf hatte sich Sophie nur konzentriert, dass alle jetzt weg waren? Haben sie Sophie hier vergessen?

Sie ging weiter umher und schaute sich alles an, was sie auf ihrem Weg zu sehen bekam. Ein paar Schritte weiter entdeckte sie ein merkwürdiges Bild an der Wand und betrachtete es genauer. Es war ein kleiner Mann zu sehen, der nackt mit dem Rücken zugewandt seine Hände auf Hüfthöhe hielt und scheinbar in den Sonnenaufgang hineinblickte. Sophie war niemand, der Kunst so gut verstand, aber versuchte es irgendwie zu begreifen. Konnte man das schon als Abstrakte Kunst bezeichnen?

S: „Was soll das sein? Was macht der mit seinen Händen? Hält der dort seinen…? Ah… Ich sehe mir was anderes an."

Nach nur wenigen Sekunden wandte sie ihren Blick wieder von dem Gemälde ab und hörte mehr auf die Geräusche in ihrer Umgebung.

S: „Ich muss die anderen wiederfinden. Wo sind die nur hingegangen? Vielleicht kann ich ja hören, wo sie sind, wenn ich mich konzentriere."

Plötzlich hörte sie ein lautes Schreien, das nicht von weit weg zu kommen schien.

?: „WAH…"

S: „War das Lirien? Hat der ihr was angetan? Ich muss schnell dahin."

Sophie rannte los, direkt zur Quelle des Geräusches. Der Schrei wiederholte sich, doch diesmal war er noch lauter.

?: „WOHH…Nein…"

Lirien war doch zuletzt noch mit Elaran unterwegs. Wenn Lirien nun mit ihm weg war, dann musste dieser Schrei doch von ihr sein.

S: „Ich komme, Lirien! Er kann dir nichts antun."

Unwahrscheinlich, aber wohl nicht unmöglich, das es zu einer Meinungsverschiedenheit kam und Elaran ihr nun irgendetwas antat. Er wirkte zwar nicht so, aber das musste doch nichts heißen. Vielleicht spielte er sich nur auf, damit er nicht verdächtigt wird.

Sophie stand mit großen Augen und gerötetem Kopf, schwer atmend am Durchgang zum Hinter Garten, wo sie Lirien neben Elaran stehen sah.

S: „Ich bin da, Li…rien…?"

Elaran und Lirien blickten zeitgleich über ihre Schultern, wo sie die erschöpfte Sophie direkt anstarrten. Liriens Augen waren weit geöffnet, und ein großes Grinsen lag auf ihrem Gesicht.

L: „Hast du das gesehen, Sophie? Er hat einfach alles hier levitieren lassen."

S: „Levitieren? Also schweben?"

E: „Ja, meine Fähigkeit Levitation."

S: „Magie?"

L: „Ja, einfach so. Ich hatte keine Ahnung, dass Magie so cool aussehen kann."

E: „Das war doch nur ein kleiner Partytrick."

L: „WIE? Was kannst du noch?"

E: „Ich kann Dinge rotieren lassen, das Gewicht von Objekten verändern, Gegenstände zu mir heranziehen, Impulse aussenden, Schutzräume und bewegliche Bereiche erschaffen und kontrollieren. Und noch einiges mehr."

L: „Du kannst die Gewichtung eines physikalischen Objekts anpassen? Was meinst du mit beweglichen Bereichen?"

E: „Ich kann jedes noch so schwere Objekt unfassbar leicht machen und jedes leichte Objekt unglaublich schwer – und alles dazwischen. Der bewegliche Raum ist ein Bereich, den ich frei nach meinem Willen deplatzieren kann. Sei es ein Baum, eine Hütte, eine Landschaft oder gar eine Bergspitze. Ich kann sie neu platzieren, indem ich den Raum aus seinen Fugen nehme."

L: „Nicht wahr… Dann kannst du also auch dich neu platzieren? Dann kannst du ja sogar reisen, ohne einen einzigen Schritt machen zu müssen."

S: „Ähm… Ich glaube, ich bin hier nicht nötig…"

E: „Wie soll ich das denn anstellen?"

L: „Na, ich dachte, du könntest dich selbst in diesem beweglichen Raum platzieren und diesen dann frei nach deinem Willen bewegen."

E: „Tatsächlich. Es wäre wohl möglich. Ich habe das nie in Erwägung gezogen."

L: „Ich habe gerne noch mehr solcher toller Ideen."

E: „Gerne, deine Gedanken sind sehr weitreichend. Aber willst du nicht selbst erfahren, was deine eigene Magie ist?"

L: „Meine Magie? Ich habe eine eigene?"

E: „Weißt du das nicht? Es gibt keine Garantie, dass du Magie besitzt, aber wir können es gerne überprüfen."

S: „Magie? Kann ich auch prüfen, was meine Magie ist?"

L: „…"

E: „Sicher."

L: „Komm mit, Sophie. Wir gucken, was meine Magie ist, dann gucken wir, was du so kannst."

S: „Lirien? Was ist los mit dir?"

L: „HAHA! Was soll schon sein? Vielleicht kann ich dann auch so etwas Cooles machen. Was denkst du, was für eine Magie ich habe?"

S: „Weiß nicht, vielleicht eine Streber-Magie? Oder die Magie eines Nerds?"

L: „Haha, ja, sehr gut. So kenne ich dich doch."

S: „So kenne ich dich nicht."

Sophie wirkte betrübt und fühlte sich leicht ausgegrenzt. Die Worte von Lirien klangen freundlich und auch energisch, aber das was Sophie dabei spürte war wie eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. Wie viel gab es noch, was sie von ihrer Freundin nicht kannte oder nicht verstand?

L: „BOAH… Stell dir vor, ich habe so eine Magie wie mein Vater und kann dann einfach Waffen machen aus dem Nichts."

S: „Ja, sehr toll. Waffen…Du warst ja leicht zu überzeugen..."

E: „Du interessierst dich für Waffen, Lirien?"

L: „Ja klar. Mein Vater schmiedet diese selbst. Waffen sind ein Metallhandwerk und dienen dem Schutz und der Verteidigung der Bevölkerung."

S: „Ist das dann nicht auch verbotene Magie?"

L: „Nein, was redest du denn da? Mein Vater hat eine Lizenz dafür. Er arbeitet für die Regierung und produziert Metallwaffen. Metallwaffen sind eine unnachahmliche Kunst. Keine Klinge, kein Speer oder Stab sind gleich. Sie alle haben eine einzigartige Form, Dynamik und Handhabung. Durch die unterschiedlichen Schwerpunkte und Gewichte der einzelnen Bauteile sind sie auch unterschiedlich anwendbar. Ein Speer mit einer schweren Spitze ist besser fürs Stechen geeignet, während ein anderer Speer eine bessere Gesamtverteilung des Gewichts hat, was es ermöglicht, besser mit diesem zu schwingen. Bei genauerer Betrachtung gibt es dann auch noch…"

S: „Wieso seid ihr vorhin einfach so abgehauen? Ihr hätte doch was sagen können."

L: "Wir haben dich angesprochen, aber du warst wohl gerade ein wenig... distanziert. Du warst wohl sehr in Gedanken vertieft, also haben wir nach 3 Versuchen aufgehört."

S: "Was? Ich habe gar nichts mitbekommen und auf einmal wart ihr alle Weg. Wohin wolltet ihr gehen? Was wollte er dir noch zeigen?"

E: "Ich wollte Lirien den Test der Vase unterziehen. Die Vase kann bestimmen ob und wenn ja welche Magie jemand hat."

S: "Ah...Eine Vase also."

Sophie verstand die Worte, doch der Sinn dahinter schien sich ihr nicht zu offenbaren. Die gesamte Zeit seit die beiden nun hier bei den Rebellen waren und auf Elaran trafen behielt Lirien die Oberhand und war die Interessantere Person von beiden. Sie war auch die Einzige von beiden, die sich wirklich mit Elaran unterhielt. Wenn dieser Test mit der Vase wirklich so etwas wie Magie feststellen konnte, dann musste Sophie in diesem Fall die erste sein, die diesen Test durchzieht. Und wer konnte schon sagen, was danach passiert? Vielleicht stellte sich ja plötzlich und ganz unerwartet heraus, das Sophie die mächtigste Magierin des Jahrhunderts ist.

Bei der Vase angekommen, standen die beiden Mädchen und Elaran im Raum. Sophie fühlte sich unsicher, während Lirien mit leuchtenden Augen die Vase betrachtete.

S: „Ich will aber zuerst!"

L: „Du weißt doch gar nicht, was du machen musst. Aber von mir aus, mach zuerst."

S: „Gut, mach ich… Was muss ich machen?"

E: „Du musst nur deine Hand auf die Vase legen."

S: „Das wars?"

E: „Ja. Ganz einfach."

S: „Oh, okay."

Sophie streckte ihre Hand aus und berührte die Vase, ohne zu zögern.

E: „Was siehst du?"

S: „Ich sehe die Vase."

E: „Hast du kein genaues Bild vor Augen? Hörst du nichts Besonderes? Keine Stimme, die zu dir spricht? Keine Vorhersehung oder Impulse, die du wahrnimmst?"

S: „Nein, ich bemerke nichts. Was ist das?"

Elaran wirkte nachdenklich, beinahe enttäuscht.

E: „Das ist merkwürdig. Ich habe das anders eingeschätzt."

S: „Was hast du denn eingeschätzt?"

E: „Ich habe gedacht, dass du als Teil dieser besonderen Gruppe auf jeden Fall viel Mana und eine tolle Magie besitzen würdest."

S: „Das klingt nach einem großen Aber…"

E: „Nun, es besteht die Möglichkeit, dass du keine Magie besitzt oder sie zu schwach ist, um von der Vase erkannt zu werden. Es tut mir leid."

Sophie zog ihre Hand zurück. Sie wollte nicht, dass man ihr Mitleid zeigte, und hielt den Kopf hoch.

S: „Ist die Vase vielleicht kaputt? Ich habe doch alles richtig gemacht, oder?"

E: „Ich habe keinen Fehler in der simplen Ausführung bemerkt. Wir können es nur überprüfen, indem wir Lirien denselben Test machen lassen."

Lirien trat vor, voller Enthusiasmus.

L: „Okay, gut. Ich mach's."

Lirien berührte die Vase. Plötzlich begann sie zu zittern, ihre Augen weiteten sich, und sie sank auf die Knie. Ihre Hand blieb weiterhin an der Vase.

S: „Lirien, was ist los?"

L: „Ich habe mich noch nie so gut gefühlt. Was war das? Ich will die Vase nie wieder loslassen."

E: „Das ist interessant. Du kannst die Vase jetzt loslassen, Lirien."

L: „Nein, die Vase und ich sind eins. Wir lieben uns."

S: „Geht's dir gut, Lirien? Lass das Ding los."

Sophie zog vorsichtig an Liriens ausgestrecktem Arm, bis ihre Hand von der Vase gelöst wurde.

L: „Wo bin ich hier? Was war los?"

Lirien sah sich um und bemerkte Sophie und Elaran, die sie besorgt ansahen.

L: „Seid ihr immer noch hier? Habt ihr nichts anderes zu tun gehabt?"

S: „Was soll das heißen Immer noch? Es waren keine 30 Sekunden!"

L: „Keine… Was? Das waren doch bestimmt zwei Monate."

E: „Es ist wie ein Gefängnis der Zeit."

L: „Gefängnis? Das war der freiste Ort der Welt. Ich will da wieder hin."

E: „Es heißt Gefängnis der Zeit, weil es einen in der Zeit gefangen hält und nicht an einen Ort. Es kann ein schöner Ort sein, der dich trotzdem dort festhält – mit oder ohne deinen Willen."

Sophie verschränkte die Arme und sah zu Boden.

S: „Was hast du jetzt daraus erfahren, Elaran? Hat sie jetzt doch Magie? War die Vase doch nicht kaputt?"

E: „Die Vase scheint in Ordnung zu sein. Und meiner Meinung nach besitzt Lirien Magie. Aber welche Magie, ist unklar. Ich vermute, es könnte Geist- oder Liebesmagie sein."

Wie genau wollte Elaran das nun festgestellt haben? Er war doch gar nicht dabei gewesen. Wie kann er so etwas mit nur einem Blick feststellen. Die Mädchen blieben leise, ihre Gedanken waren laut. Was genau sollte das bedeuten?

S: „Geistmagie?"

L: „Liebesmagie?"