Unerwartete Wendung

Rood saß in einem Wagen. Er war auf dem Weg in ein Dorf, in dem Untergebene des Goemuls erwartet wurden. Doch er war nicht allein. Rood hatte diesen Auftrag zusammen mit Natalie, Krahl und zwei anderen Xiongshou, zu erfüllen.

„Natalie …", sprach Rood. Aus seiner Stimme ließ sich seine Sorge erschließen.

„Was ist denn, Rood?"

„Glaubst du, den Kindern geht es gut? Ich frage mich, ob sie heute ihr Training machen."

Natalie seufzte, dann lachte sie. Sie wusste wie sehr Rood die Kinder mochte, doch gleichzeitig empfand sie Roods Sorgen als unnötig und übertrieben.

„Mach dir keine Sorgen.", beschwichtigte Natalie ihn. „Die Kinder sind zwar noch jung und dumm, aber sie wissen, dass sie dir vertrauen könne und hören auf dich. Sie sind sicher gerade dabei zu trainieren."

Rood war sich dabei nicht so sicher.

„Bist du dir da sicher? Die beiden Racker sind doch bestimmt nur in ihrem Zimmer und faulenzen."

Natalie lachte und wiederholte sich wieder. Sie erklärte ihm nochmal, dass er sich keine Sorgen machen sollte. Rood verstand das, denn der Auftrag war jetzt seine erste Priorität. Dabei geht es um die Leben von einer Menge Menschen. Wenn er da versagte, könnten all die, die er beschützen sollte, sterben.

„Genau, Rood!", mischte sich Krahl ein, die vorne die Pferdezügel hielt. „Ich wette, dass die Kinder sich gerade große Sorgen um dich machen."

Rood lachte nervös. Dann stand er auf und lief zu einem der Fässer in dem Wagen. Natalie fragte Rood, was los, doch er antwortete nicht. Als er vor einem dieser Fässer stand, öffnete er es und blickte hinein. In diesem Fass sah man nichts außer die Ausrüstung, die sie mitgenommen hatten – ein paar Schwerter, Schilde, Dolche und andere Waffen, die sie in einem Kampf verwenden könnten.

„Ich habe mich wohl geirrt. Werde ich etwa übervorsichtig? Bin ich verängstigt?", murmelte Rood seufzend. „Ich könnte schwören, dass ich Stimmen aus diesem Fass vernommen habe. Bin ich vielleicht einfach nur paranoid?"

Rood machte sich viele Gedanken um seine Gesundheit. Er war eigentlich noch ein starker Xiongshou, so stark, dass er diese Organisation nicht verlassen sollte, denn sonst würde ein Vakuum entstehen, das man nicht so einfach schließen könnte, selbst damals schon.

Als Rood merkte, dass er sich in seinen Gedanken verlor, schloss er das Fass wieder, setzte sich hin und seufzte, sein Gesicht in seinen Händen vergrabend.

„Ist alles in Ordnung, Rood?", sorgte sich Natalie.

„Ja, alles ist in bester Ordnung."

Rood wusste nicht, wie er Natalie erklären sollte, was er fühlte. Er spürte, dass das, was er gehört hatte, kein Fehler seinerseits war, doch er hatte es mit seinen eigenen Augen gesehen. In dem Fass war nichts. Gleichzeitig versuchte Rood sich selbst zu erklären, warum er gerade so aus dem Wind ist, aber es half nicht. Ihm blieb also nur übrig damit zu leben.

Natalie war jedoch nicht überzeugt von Roods Aussage. Sie glaubte ihm nicht, dass alles in Ordnung war. Sie hatte mit ihren eigenen zwei Augen mitbekommen, wie Rood gerade drauf ist.

„Ich sehe doch, dass irgendetwas mit dir ist. Wieso willst du mir nicht erzählen, was los ist, damit ich dir helfen kann und es dir besser geht."

Rood seufzte.

„Okay … Ich erzähle dir, was los ist.", stöhnte Rood. „Ich bin mir unsicher, wegen der Mission, denn ich habe das Gefühl, dass heute etwas schlimmes passieren wird. Ich habe das Gefühl, dass ich paranoid werde und euch heute verlieren könnte. Wenn das passiert … Wie soll ich das denn den Kindern erklären und wie soll ich damit bitte fertig werden?"

Rood wurde ein klein wenig emotional. Man merkte, wie seine Stimme zitterte. Doch Rood blieb stark und schüttete sein Herz voll und ganz aus. Natalie beruhigte ihn währenddessen.

Als Rood mit dem Erzählen fertig geworden ist, ermutigte Natalie ihn mit den Worten: „Wir werden das Packen, Rood! Wir sind ein starkes Team!". Dann stieg Krahl mit ein. Rood atmete erleichtert aus. Er fühlte sich, als wäre ein Gewicht, von unvorstellbarer Masse, von seinen Schultern genommen worden.

„Danke …", sprach Rood mit großer Aufrichtigkeit. „Danke euch, Natalie, Krahl. Ich glaube jetzt werde ich euch kein Klotz mehr am Bein sein."

Natalie und Krahl lachten darüber, doch sie freuten sich gleichzeitig sehr, dass sie Rood helfen konnte. Natalie und Krahl sahen das als Hilfe unter Freunden an. Da sie ihm noch dazu viel verdankten, denn ohne ihn wären die beiden als Xiongshou gar nicht so weit gekommen, hatte sich das alles für sie gelohnt.

Wer würde nicht einem Freund helfen wollen, dachte Natalie.

„Rood, ich kenne Euch zwar noch nicht, sondern habe nur von Euren großen Taten gehört, doch ich bin mir sicher, dass sie der Grund sein werden, warum wir diese Schlacht gewinnen werden, denn sie sind ausnahmslos einer der stärksten Xiongshou, die es im Moment gibt.", redete einer der Xiongshou Rood gut zu. Natalie bekräftigte die Aussage des Xiongshou.

„Dass ich eines Tages von jemandem ermutigt und aufgemuntert werden muss, der eigentlich neu bei den Xiongshou ist. Ich hätte nicht gedacht, dass das passieren könnte."

Daraufhin begannen die fünf Xiongshou ein reges Gespräch, das kaum Pausen hatte. Sie wechselten von einem zum anderen Thema, lachten gemeinsam, erzählten sich Witze und genossen die Stimmung. Das mussten sie auch, denn wenn die Schlacht begann, würde die Stimmung nur aus Angst, Schrecken und Grauen bestehen.

 

Nach einem langen Gespräch, das gefüllt mit Lachen und Freude war, hörte Rood wieder ein leises Flüstern. Diesmal wackelte auch eines der Fässer, woraufhin die Stimmen lauter wurden. Sie klangen wie zwei Kinder, die sich stritten. Rood kamen diese Stimme bekannt vor.

„Diese Stimmen kommen mir doch sehr bekannt vor!", kochte er vor Wut.

Rood stand auf, lief mit lauten Schritten, die seine Wut widerspiegelten, zu dem Fass und öffnete es.

„Scheiße!"

„Scheiße!"

In dem Fass sah man zwei Kinder, die Rood gut kannte. Zwei Kinder, die ihm in den letzten Jahren sehr ans Herz gewachsen sind. Diese beiden Kinder waren Luke und Delia.

„Anhalte, Krahl!", befahl Rood Krahl. Als er das sagte, schäumte er vor Wut.

Krahl hielt sofort an. Daraufhin kam sie nach hinten in den Wagen und sah die beiden Kinder. Dann hörte sie ein lautes Klatschen.

„Rood!", rief sie. „Wieso machst du so etwas?"

Natalie mischte sich sofort mit ein und konfrontierte Rood.

„Wieso schlägst du die Kinder? Was ist denn in dich gefahren? Bist du jetzt komplett übergeschnappt?"

Rood konnte nicht auf ihre Frage antworten. Er hörte sie nicht einmal, denn er war so wütend auf die Kinder, dass das das Einzige war, auf das er sich gerade konzentrieren konnte.

„Rood!", schrie Krahl, die ihn von hinten packte und zurückzog, damit er Abstand zu den Kindern hatte. „Was ist denn jetzt los, Rood? Schlag doch die Kinder nicht! Du weißt genauso gut wie ich, dass das keine gute Erziehungsmethode ist."

Dann hörte man ein leises Schluchzen, das sich schnell in ein lautes Weinen verwandelte. Dadurch fand Rood wieder zur Vernunft. Sein rot gewordenes Gesicht wechselte von rot zu seiner eigentlichen Hautfarbe. Krahl bemerkte auch, dass Rood sich beruhigt hatte und ließ ihn los. Währenddessen beruhigte Natalie die Kinder, die beiden Xiongshou schauten nur geschockt zu.

„Es tut mir leid …", entschuldigte Rood sich sofort. Er umarmte die Kinder, wobei man merkte wie groß die Schuldgefühle waren. Doch die Kinder hörten nicht einfach so auf mit dem Weinen. Sie weinten noch ein wenig weiter, bis sie sich beruhigten. Während all das passierte, hatte Krahl sich wieder nach vorne gesetzt, um weiterzufahren.

„Rood, wieso hast du die Kinder überhaupt geschlagen?", fragte Natalie Rood leise, damit Luke und Delia es nicht hörten.

Rood überlegte kurz, damit er die richtige Antwort finden konnte, doch egal, wie lange er rumgrübelte, keine Antwort schien die Richtige zu sein. Also sprach er sich einfach frei von der Seele, ohne darauf zu achten, was er sagte.

„Also, ich …", begann Rood, mit zitternder Stimme. „Ich war einfach so wütend, dass ich nicht wusste, was ich machen sollte. Ich weiß, dass ich das nicht hätte tun sollen, ich bin ja selbst so erzogen wurden und weiß, wie schlecht das ist, doch ich bin einfach einem Impuls nachgegangen. Statt zu denken, habe ich gehandelt."

Natalie hatte darauf geachtet, dass sie möglichst leise sprach. Sie dachte, die Kinder sollten nichts davon mitbekommen, doch Rood hatte das offensichtliche Signal, das sie durch das Flüstern zeigte, leise zu reden, nicht bemerkt. Wie dem auch sei, sie ignorierte es und führte ihr Gespräch fort.

Seufzend sagte Natalie: „Ich hoffe, dass du jetzt verstehst, wie du deine Wut kontrollieren kannst, denn so einen Ausrutscher darfst du niemals wieder geschehen lassen, verstehst du, Rood?"

Rood nickte bejahend. Man merkte allein an seinem Gesichtsausdruck, dass er seine Taten widergespiegelt hatte und sie bereute.

Dann drehte er sich zur Seite zu den Kindern, die neben ihm saßen. Sie waren nicht mehr so klein wie damals, doch sie mussten immer noch auf Rood hinaufschauen. Luke und Delia machten große, gespannte Augen, die darauf warteten, dass etwas Spannendes aus Roods Mund kam. Sie sahen zusammen aus wie eine kleine Familie – ein wenig süß.

„Luke, Delia … Ich habe einen großen Fehler begangen, und euch geschlagen. Ich habe nie damit gerechnet, jemals so einen Fehler zu machen, doch nun habe ich es getan. Deswegen…"

„Ist schon gut, Rood!"

Luke hatte gehofft Roods miserable Stimmung aufzumuntern, denn er konnte das nicht mehr aushalten und er konnte sich nicht mehr ansehen, wie Rood litt. Er kann sich gut vorstellen, was Rood gespürt hatte, als er verstand, was er tat. Er konnte genau spüren, wie seine Brust sich zu schnürte, seine Glieder ihn im Stich ließen und wie ihn die Schuldgefühle plagten.

„Wie bitte?!"

„Ich stimme Luke zu. Wir lieben dich trotzdem, auch wenn so etwas passiert. Es war ja nur ein kleiner Ausrutscher.", erzählte Delia. Damit schenkten Luke und Delia Rood wieder Hoffnung. Er dachte, dass er sie verloren hätte, denn er wusste selbst wie es sich anfühlte von der Person, die man liebt, geschlagen zu werden. Verrat – das war das beste Wort so eine Situation zu beschreiben. Man vertraut sein ganzes Leben dieser Person, liebt sie und wird dann geschlagen.

Rood war überrascht, dass sie ihm verziehen, denn er konnte seinen Eltern nie verzeihen, doch er war auch froh.

„Ich danke euch!"

Weinend umarmte er sie. Rood konnte einfach nicht glauben, dass sie ihm verziehen, statt ihn zu verachten oder zu hassen. Er hätte es Delia und Luke gar nicht böse genommen, wenn sie ihn hätten gehasst, doch das taten sie nicht. Rood empfand das als Grund dafür in Tränen auszubrechen und die Kinder zu umschließen.

Das erwärmte Natalies Herz.

„Ich liebe euch alle drei!"

Sie sagte das, die Köpfe der Kinder streichelnd. Die beiden Xiongshou, die auf die Mission mitgekommen waren, schauten sich das kichernd an, doch waren sie gleichzeitig gerührt, von dem Anblick dieser drei.

„Wir sind bald im Dorf.", unterbrach Krahl die gute Stimmung. „Ich sehe es schon!"

Als Krahl ihren Satz beendete, flog der Wagen, in dem sich alle befanden, in die Luft. Rood bemerkte das, doch er konnte nichts machen, bevor der Wagen wieder auf dem Boden aufkam und noch einige Meter weiter rollte. Alle Personen im Wagen wurden durchgeschüttelt und verletzt, außer die Kinder, denn Rood hatte das Einzige, was er in der kurzen Zeit tun konnte, getan, und zwar sich schützend um die Kinder Werfen und sie vor Verletzungen zu bewahren.

Rood machte dabei einen guten Job. Er wurde zwar reichlich verletzt, doch die Kinder waren unverletzt. Bis auf Kopfschmerzen fehlte den Kindern nichts.

„Wie geht es euch allen?", erkundigte Rood sich über das Wohlergehen seiner Kammeraden.

„Mir geht's relativ gesehen gut."

Den anderen beiden Xiongshou ging es auch so. Sie hatten zwar ein paar stellen, die wehtaten, doch nichts Lebensgefährliches, was sie vom Kämpfen abhalten könnte.

„Krahl?", rief Rood. „Krahl, antworte."

„Mir geht e…"

Krahl beendete ihren Satz nicht. Rood schaute zur Seite, woraufhin er durch das Fenster, des Fahrers Krahl sah, doch sie spucke Blut. Den Grund dafür entdeckte Rood sofort – ein Messer in ihrem Bauch.

„Krahl …!", schrie Rood. Seine Stimme zitterte. An dem Messer, dass Rood sah war eine Hand verbunden, die nicht an dem Körper einer Person zu sein scheint.

„Rood … Was passiert hier …?"

Die Kinder schauten langsam zu Rood. Sie hatten das Blut Krahls, das sie auf Luke und Delia gespuckt hatte, als sie das Messer in den Bauch gerammt bekam, im Gesicht und auf ihre Kleidung. Ihre Augen weiteten sich, doch nicht wie vorhin vor Freude, nein, sie verspürten eine große Angst. Eine so große, unbeschreibliche Angst.

„Ich gehe raus!", brüllte Natalie, ihre Stimme hasserfüllt und zornig.

„Nein, Natalie, warte auf mich!"

Rood versuchte sie zu stoppen, aber Natalie hatte sich schon in Bewegung gesetzt. Rood begann zu verzweifeln, befahl den Kindern in die Fässer zu gehen und wies dann die Xiongshou an mit ihm rauszugehen. 

Er zog sein Schwert, dass er an seiner Hüfte trug, und hielt es schützen vor sich. Dann sah er den Gegner vor sich. Es war ein Kämpfer mit einem besonderen Schwert, dass gerade mal fünfzig Zentimeter groß war. Es besaß eine künstlerische Klinge, die wunderschön war, doch keinesfalls der von Rood ähnelte. Sie war mehr ein Kunstwerk als eine Klinge, doch sie war scharf, das konnte Rood sehen. Er erkannte auch, dass dem Gegner eine Hand fehlte. Sein linker Ärmel war getränkt in dem Blut, dass aus seinem Arm lief. Dazu hatte er eine weiße Robe an.

Rood hatte all die Informationen aufgenommen und sich bereit auf den Kampf gemacht. Doch dann sah er Natalie. Sie war zerstückelt in kleine Teile, auf dem Boden vor ihm verteilt. Eine rote Pfütze aus Blut sammelte sich an derselben Stelle. Als Rood das sah, zerbrach eine Welt in ihm. Eine so gute Freundin wie Natali einfach so, zerstückelt vor ihm liegen zu sehen.

„Wie konntest du nur, du Monster?!", brüllte Rood, spuckend.