Gott

Stöhnend steckte Tsuyoi sein Schwert in seine blaue Scheide. Seine Erleichterung, dass der Kampf zu ende war, sah man ihm an. Er hatte ein ehrliches Lächeln auf dem Gesicht, das sich über beide Backen erstreckte. Neben Tsuyoi hörte man Utopius und die anderen jubeln. Sie umarmten sich, gaben sich High-Fives oder schlugen sich in die Hände. Emma schlug Cayman auf die Wangen, um ihn aufzuwecken. Sie hörte nicht auf, bis Cayman aufwachte.

Er reagierte ungefähr so, als er aufwachte: „Wah!", rief er erschrocken. „Warum schlägst du mich, Emma?" Emma zeigte daraufhin mit ihrem Finger auf Tsuyoi und Tosin.

„Haben wir gewonnen? Haben Tosin und Tsuyoi gewonnen? Ist diese Frau besiegt?"

Emma nickte.

Tsuyoi sah das und lachte leicht. Danach lief er auf die bewusstlose Delia zu. Bei ihr angekommen, schaute er sie an, um sie auf schwere Verletzungen zu überprüfen. Davon hatte sie keine, also trug er sie zu Cayman und Emma.

„Emma, Cayman, könnte ihr Heilmagie anwenden?", fragte Tsuyoi ruhig. Emma und Cayman nickten. Daraufhin legte er Delia vor die beiden auf den Boden.

„Sagt mir bitte,", bat er Cayman und Emma. „Wenn etwas los ist, okay?"

„Ja! Aber lass uns erstmal in Ruhe. Fortgeschrittenere Heilmagie als Zhiyu funktioniert nur, wenn ich meine Ruhe habe und mich konzentrieren kann."

Cayman nickte zustimmend und konzentrierte sich dann auf Delia. Sie wirkten ihren Heilungszauber. Dabei erzeugten sie kleine, sternenähnliche Partikel, die widerstandslos in Delias Körper drangen. Diese Technik, dachte Tsuyoi, ist wunderschön. Dann sah Tsuyoi, wie die Partikel aus ihren Wunden herauskamen, während sie sich langsam schlossen, selbst Narben, die aus vergangenen Verletzungen entstanden, verschwanden.

„Ich geh dann mal …", säuselte Tsuyoi.

Sein nächstes Ziel war Tosin. Tosin hatte sich nach dem Ende des Kampfes an den Rand gesetzt und mit Asha geplaudert.

„Tsuyoi!", winkte Tosin aus der Ferne.

„Hallo, Tosin, Asha!", begrüßte er die Beiden. „Wie geht es euch? Seid ihr verletzt? Soll ich euch heilen?"

Tsuyoi machte sich sorgen, dass irgendwer verletzt sei oder sogar sterben könnte. Doch er sollte sich eigentlich um sich selbst kümmern. Sein ganzer Arm war noch immer mit Blut übersät.

„Tsuyoi, geh mal lieber zu Emma, oder so. Dein gesamter Arm blutet. Du solltest dich als aller erstes heilen."

„Wie bitte? Mein Arm?", sagte er auf seinen Arm blickend. „Agh, Fuck! Ich hab es irgendwann einfach nicht mehr gemer…"

Tsuyoi zuckte zusammen, sein Gesicht gequält. Dann schrie er plötzlich auf und viel zu Boden, gleichzeitig verlor er sein Bewusstsein. Er konnte nur noch einen Gedanken formen: Endet es etwa so?

 

Währenddessen hatte Rood Luke ins Gebäude hineingetragen. Er trug Luke auf seiner Schulter in das erste Zimmer, das er finden konnte, und legte ihn dann auf das Bett. Die restlichen Xiongshou, die mitgekämpft hatten, heilten sich gegenseitig.

„Wieso hast du dich denn auch dem Goemul angeschlossen, Luke?"

Rood verspürte Mitleid für Luke, aber gleichzeitig verspürte er auch eine Art Reue. Er fühlt sich mitschuldig, dass die Kinder sich damals dem Geomul anschlossen. Er hatte sie unfair behandelt, weil er dachte, dass sie dann mit dem Gedanken, Xiongshou zu sein, aufhören würden und er hatte sie nicht vor X gerettet. Als er sie später wieder traf, dachte er nicht daran, sie zu überreden. Er hatte einfach seine Wut und Trauer an ihnen ausgelassen. Er fühlte sich erbärmlich.

„Ich wünschte, ich wäre besser mit euch umgegangen, dann hätte das nicht passieren müssen."

„Hust, hust…"

Luke hustete schwach. Blut trat dabei aus seinem Mund und seinen Wunden aus. Rood war erschrocken, dass er so schnell wieder zu Bewusstsein gekommen war. Seine Augen weiteten sich, als Luke ihn daraufhin am Arm packte. Dann sagte er mit zitternder und zorniger Stimme: „Du findest also unser Weg war der Falsche? Wie lächerlich! Der Goemul und seine Untergebenen haben uns den richtigen Weg gewiesen und uns gezeigt, wie man die Welt retten kann. Du verstehst das einfach nicht. Dein Kopf ist korrumpiert von den Falschinformation des Staates. Er erzählt dir, der Goemul sei böse und eine Gefahr, doch dem ist nicht so. Er will die Menschheit retten. So gütig und rechtschaffend ist niemand, nicht mal du, Rood!"

Als er seinen letzten Satz beendete, hustete er nochmal. Weiteres Blut trat heraus, während das alte in seinen Mundwinkeln trocknete. Seine gequälten Augen zeigten, was für einen Schmerz er aushalten muss.

„Luke, das ist doch alles Unsinn. Der Goemul ist kein Heiliger. Nur ein Gott kann so sein, doch den gibt es nicht. Gott haben wir schon vor Jahrhunderten, mit dem Zerfall aller Kirchen, umgebracht. Gott war nämlich ein Sündiger, der Teufel selbst. Er sagte, dass wir uns an seine Regeln halten sollen, weil wir sonst in der Hölle landen würden. Doch ist er nicht der Grund, warum der Goemul existiert? Und ist er nicht für die unendlichen Genozide, Ethnischen Säuberungen und korrupten Monarchen und Staatsoberhäupter verantwortlich?"

 

 

Das war ein ernstes Thema für Rood. Damals hatte Rood eifrig an einen Gott geglaubt, obwohl die Menschen Gott umgebracht haben sollen. Das war nur ein Spruch, den die Menschen damals sagten, um das Ende aller Kirchen zu beschreiben. Die Religiösen lebten weiter. Sie wurden nie unterdrückt oder verstoßen, zumindest nicht vom Staat. In manchen Dörfern sah es anders aus. Man lebte jedoch ein ziemlich friedliches Leben als Religiöser, so einer wie Rood.

Er glaubte an Gott, weil seine Mutter, sein Vater und jeder den er kannte. Er betete jeden Tag zu Gott und bat ihn auch sehr oft um Hilfe. Antwort bekam er aber nie. Deshalb weinte er manchmal, denn er war nur ein kleines Kind, das sich mit Eifer an ein Märchen klammerte. Wenige Jahre später kamen Händler ins Dorf, so wie es üblich ist. Seine Mutter gab ihm die Aufgabe, zu den Händlern zu gehen und ihre Ressourcen aufzufrischen. Im Hopser lauf, hüpfte er zu den Händlern. Sein Lächeln so breit, dass es andere zum Lachen animierte, er war nun mal ein Kind.

„Guten Morgen!", begrüßte er die Händler. „Ich hätte gern zehn Kilo Karotten, zehn Kilo Radieschen und fünf Kilo Äpfel, bitte!"

Der Händler lächelte und gab Rood, was er wollte. Dann nannte er ihm einen Preis, den Rood bezahlte. Mit 25 Kilogramm auf den Schultern, die ziemlich beeindruckend für ein kleines Kind, wie ihm sind, spazierte er nach Hause. Von weitem konnte er schon sein Häuschen sehen. Etwas war jedoch komisch, und zwar, dass die Tür auf war. Normalerweise würde seine Mutter sie doch zu machen. Das machte ihn nervös. Er betet zu Gott und wiederholte die Worte, die er schon vor Wochen sprach: „Oh großer Herr im Himmel. Ich liebe meine Mutter. Ich frage Dich deswegen, ob Du meine Mutter beschützen kannst. Sie soll nicht für immer leben, doch sie soll ein ehrenvolles Ende finden und ein langes Leben haben. Deswegen, Oh Herr, beschütze sie mit allem, was Du hast. Ich werde, falls das Dein Wunsch ist, noch mehr beten, doch gib mir Zeichen, ich flehe Dich an."

Er bekam nie ein Zeichen. Weder für das Gebet vor Wochen noch für die anderen davor. Er dachte Gott war zufrieden mit ihm, er würde ihn nicht enttäuschen und all seine Wünsche erfüllen.

„Mama …?"

Rood's Stimme zitterte, sein Atem stockte und seine Muskeln erstarrten. Daraufhin begann Rood ungewöhnlich zu atmen, fast so, als würde er keine Luft bekommen. Er packte sich an den eigenen Hals, kratzte daran, in der Hoffnung, dass er wieder normal atmete. Leider half nichts.

Als nächstes folgten die Tränen, die seine Wange hinunterliefen und dann auf den Boden fielen. Seine erstarrten Muskeln tauten wieder auf, woraufhin Rood sein Gleichgewicht verlor. Zuerst fiel er auf sein Knie und dann schließlich auf sein Gesicht.

Der Grund dafür war seine Mutter. Sie lag nackt vor ihm, ihre Kehle, sowie ihr Mund, aufgeschlitzt. Als Rood wieder auf seine Mutter schaute, liefen ihm noch mehr Tränen die Wangen herunter. Dann wurde es schwarz vor seinen Augen.

Damals war er natürlich zu jung, um zu verstehen, was geschehen war. Er sah nur, dass seine Mutter gestorben war. Nicht wieso sie nackt da lag. Doch das, was der Tag, an dem er Gott verlor. Er erhörte Roods Gebete nicht, also betete er auch nicht mehr. Ein Gott, der so etwas grausames zulässt, ist es nicht würdig angebetet zu werden.

 

„Wie kannst du es bitte wagen, den Goemul mit einem Gott zu vergleichen. Der Goemul ist ein viel Humaneres und …", ächzte Luke.

Rood musste kurz lachen. Luke hatte immerhin recht. Der Gott, an den Rood geglaubt hatte, war um einiges inhumaner als der Goemul. Doch so einen Gott meinte Rood nicht. Den Gott den Rood meint gibt es gar nicht, denn dann wäre unsere Welt friedlich. Das ist sie jedoch nicht, weshalb es diesen Gott gar nicht gab.

„Ja, du hast recht, Luke. Gott ist inhumaner als der Goemul, doch das heißt nicht, dass der Goemul gut ist. Nur weil Gott für das Leid, das der Goemul anrichtet, verantwortlich ist, ist der Goemul nicht gleich ein Engel."

„Lügen! Ich weiß nicht, wie du auf so etwas kommst, doch du lügst! Der Goemul ist ein Engel. Er will die Menschheit retten und sie zusammenführen. Wir könnten unter der Führung des Goemul zusammenleben, doch ihr und vor allem die Reichen wollen das nicht."

Rood dachte kurz über das nach, was Luke sagte. Es war kein schlechter Gedanke, die Menschen zusammenzuführen, aber unter der Führung des Goemuls würde es…

„Warte … Was ist das?"

Rood lachte, während er erstaunt schaute. Er hatte etwas interessantes gespürt. Während er Luke heilte, führte er die ganze Zeit Magie in seinen Körper. Dabei spürte er einige Partikel, die reflektiert wurden. Er verwendete mehr Magie und spürte, dass mehr Partikel von derselben Stelle reflektiert wurden. Er aktivierte „Kan", um in Lukes Körper zu sehen. Darin sah er eine Barriere, die sich um ein Objekt, das er nicht definieren konnte, aufbaute.

„Luke!"

„Ja?"

„Vielleicht wirst du bald von deiner Goemul-Obsession befreit. Dann können wir endlich wieder wie damals reden können!"