Tsuyoi und Utopius waren eine halbe Stunde nach dem Gespräch mit Alexander, Wolfy und Rood fertig. Sie standen schon vor dem Tor und waren bereit, sich auf den Weg zu machen. Doch sie mussten warten, da Delia noch fehlte. Außerdem durften sie nicht ohne die Erlaubnis von Rood losgehen.
Tsuyoi, der gerade erst von den Fesseln des Krankenhausbettes befreit wurde, trug nun sein Schwert, das all die Zeit, die er ans Bett gefesselt war, in seinem Schrank lag. Utopius schaute auf Tsuyoi herunter. Tsuyoi, hatte neue Kleidung an. Er trug einen dünnen, smaragdgrünen Mantel, der ungewöhnlich für Tsuyoi war. Seine Hose, die so schwarz wie die Nacht war, war breit und komfortabel und passte dazu noch perfekt zu Tsuyois Mantel. Seine Schuhe waren ebenfalls so schwarz wie die Hose, was man jedoch nicht sah, da sie noch leichte goldene Akzente in Form von kleinen Drachen hatte. Zu all dem kam dann sein schönes schwarzes und doch so gewöhnliches Haar, das sein Outfit jedoch perfektionierte, und seine gewöhnliche Schönheit unterstrich.
“Du siehst so anders aus.”, sagte Utopius.
“Soll das ein Lob sein?”
“Du siehst irgendwie gut aus, Tsuyoi.”, lobte Utopius.
Tsuyoi wollte es als Lob sehen, doch das “irgendwie” störte ihn. Wie soll er das denn als Lob sehen?
“Irgendwie? Ich kriege langsam das Gefühl, dass du mich beleidigen willst, Rood.”
“Beleidigen? Nein, ich finde dein Outfit doch großartig. Es fällt mir aber schwer, mich daran zu gewöhnen, da du sonst mit so normalen Sachen rumläufst.”
“Hm … Ich werte das jetzt einfach mal als Lob.”, sagte Tsuyoi fast schon überheblich. “Aber mal was anderes. Wann kommt Rood endlich? Und Delia auch!”
Tsuyoi verschränkte seine Arme vor der Brust, als er das sagte. Als er seinen Satz beendete, sah er Delia in der Ferne. Sie kam gerade aus dem Gebäude der Yezhu Nanhai. Tsuyoi war erstaunt.
“Ist das Delia?”, fragte Tsuyoi Utopius.
“Scheint so.”
Tsuyoi war verblüfft. Sie war so anders und doch so gleich. Sie trug ihre alte Kleidung nicht mehr. Nun trug sie einen grünen Poncho, die Farbe war fast dieselbe wie die, die Tsuyoi trug. Beim Laufen blitzte unter Delias Poncho ein Hemd hervor. Es hatte eine hellblaue Farbe, die zu ihrer engen und doch komfortablen dunklen Hose perfekt passte. Blaue Rosen, die Delias Hose emporklimmen, bewiesen, dass Delia einen Sinn für Mode besaß und unterstrichen die Schönheit ihres Outfits gleichzeitig.
“Hallo.”
Delia begrüßte Tsuyoi und Utopius. Auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Emotion, während sie das sagte. Sie tat so, als sei es ihr gleichgültig. Dann fuhr sie fort, ihre Arme vor ihrer Brust verschränkt.
“Rood ist also noch nicht hier? Die Stunde müsste doch eigentlich um sein.”
Delia griff in ihre Tasche. Daraus holte sie eine alte Taschenuhr. Als Tsuyoi das sah, ging er auf Delia zu, um sich die Uhr anzuschauen.
Älter, als ich dachte
Als Tsuyoi sich die Uhr ansah, sah er, dass sie ziemlich verbraucht war. Auf dem Zifferblatt waren Zahlen, die man fast nicht mehr erkennen konnte. Wäre all das nicht genug, hatte das Glas auch noch Risse und Kratzer, die das Lesen erschwerten. Tsuyoi observation wurde durch Delias Gemurmel gestört.
“Eins … Zwei … Drei … Vier …”
“Was machst du da, Delia?”, fragte Tsuyoi.
“Ich zähle, wie viele Sekunden Rood zu spät ist.”
Die Gleichgültigkeit auf ihrem Gesicht erschreckte Tsuyoi. Er fragte sich, wie jemand so kalt und gleichzeitig so nett sein konnte. Wobei sie die nette Seite im Moment nicht zeigte. Dann hörte man laute Schritte, die stetig näher kamen. Tsuyoi und Delia drehten sich um.
“Hi!”
“Rood! Endlich bist du hier. Wir haben Ewigkeiten gewartet.”, schrien Tsuyoi und Delia gleichzeitig.
“Zwanzig Sekunde zu spät.”, sagte Delia, als sie sich an ihre Aufgabe erinnerte.
“?”
“Du hast dich um zwanzig Sekunden verspätet, Rood. Wie willst du das wieder gut machen. Wir könnten jetzt schon auf dem Weg sein, doch du hältst uns hier fest.”
Rood entschuldigte sich - ein verwirrter Unterton überquerte seine Lippen.
“Ähm …. Also, ich bin hier ja eigentlich nur, um euch das Go für diese Mission zu geben. Aber als erstes erkläre ich euch lieber nochmal, worum es eigentlich geht und was ihr alles wissen müsst.”
“Was müssen wir denn wissen, um diese Mission erfolgreich auszuführen, Rood?”, fragte Tsuyoi neugierig sein Kinn streichelnd.
Daraufhin setzte Rood an. Er atmete langsam ein und wieder aus: “In Utara befindet sich ja ein hochrangiger Untergebener des Goemuls. Er terrorisiert Utara nun schon seit einigen Wochen. Er wird wahrscheinlich wissen, dass ihr kommt, weshalb ihr nicht wie sonst mit Goblins, sondern mit stärkeren Monstern rechnen solltet. Wir wissen nicht, ob er kämpfen kann, also wissen wir auch nicht über seine Stärke bescheid. Das bedeutet für euch, dass er schwach oder sehr stark sein könnte. In jedem Fall solltet ihr euch in Acht nehmen. Schließt nicht einfach so Freundschaften mit irgendwelchen Leuten in dem Dorf. Vertraut nur euch. Wir können es uns nicht leisten, so starke Xiongshou, wie euch zu verlieren. Mehr habe ich nicht zu sagen. Ihr wisst den Rest. Gefahren werdet ihr in dieser Kutsche.”
Hinter Rood rollte eine Kutsche, die von zwei Pferden, die wieherten, gezogen und von dem Kutscher gefahren wurde. Als sie Roods Höhe erreichte, hielt die Kutsche an.
“Das ist Herr Kampke. Er wird euch bis zu Utara fahren. Hab ich noch irgendwas vergessen?”
“Ja, hast du!”, sagte Delia. “Was ist mit Luke? Was macht die Yezhu Nanhai mit ihm gerade?”
Rood überlegte kurz, was er auf diese Frage antworten sollte, doch dann fiel ihm eine grandiose Antwort ein, die ihm eine einfache Lösung versprach.
“Frag einfach Herr Kampke. Er weiß, was los ist und kann dir alle deine Sorgen von deinen Schultern nehmen.”
Delia nickte. Dann fragte Rood, ob irgendwer noch Fragen hätte, die er beantworten müsse, doch keiner sagte etwas.
“Okay,”, Rood klatschte in die Hände, “wenn keiner Fragen hat, kann es ja losgehen."
Utopius’, Tsuyois und Delias Lippen zierten ein ähnliches Lächeln wie das, das Alexanders Lippen zierte, als er die Drei fragte, ob sie nach Utara gehen wollten. Als Rood das sah, überkam ihn ein Gefühl, das er nicht beschreiben konnte und ihm gleichzeitig ein Grinsen auf die Lippen zwängte. Wieder klatschte er in die Hände.
“Ihr seid bereit, also geht los. Fahrt nach Utara und besiegt den Untergeben, um die Menschen in Utara zu befreien. Doch falls ihr dafür sorgen könnt, ihn zurück zur Yezhu Nanhai zu bringen, dann werden wir ihn von dem Fluch, der auf ihm liegt, befreien."
Die Drei stiegen in die Kutsche ein. Als die letzte Person einstieg, fuhr die Kutsche los in den fernen Norden, Rood rief ihnen noch Glückwünsche hinterher.
Die Kutsche entfernte sich langsam von der Yezhu Nanhai. Der Himmel wurde langsam dunkel, weshalb es auch in der Kutsche dunkel wurde. Es war aber nicht nur dunkel, sondern auch still. Es war so still, dass man Utopius leise atmen hörte, sowie die Grillen und Zikaden, die draußen zirpten. Die Kutsche fuhr auf einem unebenen Weg, weshalb die Passagiere immer wieder durchgeschüttelt wurden.
“Herr Kampke?”, brach Delia die Stille. Herr Kampke öffnete daraufhin eine Klappe, die Kutscher und Passagiere voneinander trennte.
“Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, meine Dame?”, sprach der Kutscher mit sanfter und ruhiger Stimme.
“Rood sagte, dass ich Sie fragen soll, wenn ich Antworten zu der momentanen Situation meines Bruders haben will. Also, könnten Sie mir bitte erzählen, was mit meinem Bruder passiert?”
Delia sprach nicht mehr mit demselben gleichgültigen Ton, den sie aufsetzte, als sie mit Tsuyoi sprach. Ihre Stimme klang ernst und hatte einen Hauch von Sorge, der mitschwang. Als Delia das fragte, verzogen sich die Mundwinkel des Schaffners zu einem Lächeln, das jede traurige Seele wieder erhellen könnte.
“Ich werde Ihnen so viel erzählen, wie ich weiß.”, sagte der Kutscher, seinen Blick wieder nach vorne gewendet. “Ich entschuldige mich schon im Voraus, dass ich Ihnen nicht ins Gesicht blicken kann, während ich das sage. Also, Ihr Bruder, Luke heißt er, wenn ich mich recht entsinne. Ich habe gehört, dass er im Moment therapiert wird. Sein geistiger Zustand war wohl sehr schlecht, weshalb man ihn nicht auf eine Mission schicken konnte. Zudem muss man immer noch überprüfen, ob er dem Goemul noch treu untersteht. Im Gegensatz zu Ihnen, hatte er unter diesem Fluch gelitten, weshalb er sich dem Goemul nicht widersetzen konnte. Sie folgten jedoch nur Luke, weshalb Sie nun hier sind. In ein paar Tagen wird sich zeigen, ob der Fluch seinen Körper verlassen hat oder nicht. Falls sich herausstellt, dass er von dem Fluch befreit wurde, dann wird es noch einige Wochen dauern, bis er der Yezhu Nanhai beitreten kann, da Lukes Psyche zu wünschen übrig lässt.”, der Kutscher seufzte kurz. “Habe ich alle Ihre Fragen beantwortet.”
Delia nickte dem Kutscher zu, obwohl er sie gar nicht sah. Daraufhin sagte sie: “Ich danke Ihnen. Wenn ich noch Fragen habe, ... dann werde ich mich an sie wenden.”
Delia zögerte kurz, als sie das sagte. Eigentlich hatte sie noch eine Frage, auf die sie eine Antwort brauchte, doch sie wollte den Kutscher nicht mit zu vielen Fragen löchern. Während Delia nachdachte, schloss der Kutscher langsam die Klappe. Sie zögerte noch immer, doch schließlich fragte sie.
“Entschuldi…”
“Entschuldi…”
Tsuyoi und Delia wollten im selben Moment eine Frage stellen und unterbrachen sich gegenseitig. Der Kutscher öffnete die Klappe wieder genauso langsam, wie er sie gerade noch schloss.
“Was kann ich denn für Sie beide tun?”
“Tsuyoi, stell deine Frage zuerst."
“Danke, Delia.”
Tsuyoi kratzte sich kurz am Kopf, bevor er seine Frage stellte.
“Was ist eigentlich dieser Fluch, von dem Sie die ganze Zeit reden?”
Das wollte ich gerade auch fragen, dachte Delia.
Der Kutscher lachte nur, woraufhin er fragte, ob sie es nicht selbst wüssten. Sie sagten, dass sie es nicht wüssten, denn sonst hätten sie diese Frage nicht gestellt.
“Ich bin überrascht, dass sogar Sie, Frau Delia, Lukes Schwester, es nicht wissen. Ich habe gehört, dass Sie sehr schlau seien. Kommen sie vielleicht sogar selbst drauf?”, daraufhin sprach der Kutscher Utopius an. “Herr Utopius, wie ist es mit Ihnen? Wissen Sie, was dieser Fluch sein könnte?”
“Ich bin mir nicht sicher, aber es ist wahrscheinlich eine Art Magie. Ich kenne jedoch den Mechanismus dahinter nicht.”
“Du weißt, was dieser Fluch ist, Utopius?”
“Wie ich schon sagte, ich bin mir nicht sicher. Aber wahrscheinlich geht es dabei um Fesselmagie. Dabei wird der Körper des Opfers an die Seele des Anwender gebunden. Damit kann man das Opfer, das man ausgewählt hat, kontrollieren, lokalisieren und sogar umbringen, ohne sich in der Nähe des Opfer zu befinden.”
Der Kutscher nickte.
“Ganz genau. Diese Art von Magie ist selten und gefährlich. Wer sie einsetzt, ist ein Monster.”
Damit endete das Gespräch zwischen Kutscher und den Dreien. Stille füllte wieder den Zug. Jedoch begann Tsuyoi ein Gespräch, um die Stille zu brechen und mehr über seine Freunde zu erfahren. Sie redeten bis tief in die Nacht, bis sie schließlich einschliefen. Doch einer blieb immer wach, um für Sicherheit zu sorgen. So arbeiteten sie im Schichtbetrieb, bis sie zehn Tage später in der Stadt ankamen.