Ein lautes und unangenehmes Quietschen, das durch die rote Tür, die sich langsam vor Tsuyoi, Delia, Utopius, Herr Kampke und dem Butler öffnete, verursacht wurde, hallte durch den Gang, der hinter ihnen lag.
“Willkommen bei der Utara Familie, verehrte Gäste.” , hieß der Butler die Gäste willkommen. “Tretet ruhig ein.”
Einer nach dem anderen traten Delia, Tsuyoi und Utopius ein. Als Herr Kampke versuchte, einzutreten, hielt der Butler ihn auf. Der Butler sagte, dass Herr Kampke nicht rein dürfte, weil dieses Gespräch nur zwischen den Xiongshou, die hierher bestellt wurden, geführt werden soll.
“Aber…”, klagte Tsuyoi ohne Erfolg, da der Butler ihn nur mit einem Kopfschütteln abwies.
“Wir sollten es einfach akzeptieren, Tsuyoi.”, sagte Utopius mit ruhiger Stimme.
“Stimmt! Wir können das Gespräch auch alleine führen.”, pflichtete Delia Utopius bei.
Tsuyoi nickte und kehrte Herr Kampke den Rücken zu. Daraufhin schloss sich die Tür hinter ihnen.
“Ihr seid also die Xiongshou? Ihr seid doch nur Kinder. Wie wollt ihr diese Stadt davor bewahren, zerstört zu werden? Diese verdammte Yezhu Nanhai hat wohl kein brauchbares Personal mehr.”, sprach ein Junge aus der Utara Familie mit arroganter Stimme.
Die Person, die so überheblich sprach, war der Sohn der Utara Familie. Er hieß Felix. Er sah schrecklich aus. Der Butler hatte gesagt, dass die Schönheit der Familie erhalten blieb, aber Tsuyoi wusste jetzt, dass er das nur sagte, weil das seine Pflicht war. Der Junge hatte gelbe Zähne, die an manchen Stellen schon braun wurden. Seine Nase war so unförmig, dass man glauben könnte, sie wurde ihm schon einige Male gebrochen. Doch das Allerschlimmste war sein Haar. Ungebürstet, ungewaschen und ungepflegt. Tsuyoi konnte den Sohn riechen, obwohl der Sohn am Ende des langen Tisches saß. Und dann war da noch seine Haarfarbe. Ein dreckiges Gelb zierte seine Haare, die nur noch vom Sonnenlicht, das einen schönen, hellen gelblichen Schimmer über seine Haare warf, gerettet wurden. Selbst das Sonnenlicht konnte sein Äußeres nicht retten.
“Ich kann dir nur zustimmen, Felix.”, pflichtete eine helle Stimme Felix bei. “Dass sie uns Kinder schicken, ist eine Schmach für die Yezhu Nanhai. Wie viele Städte und Dörfer des Landes Zero sollen denn noch zerstört werden, bevor die Yezhu Nanhai es endlich versteht?”
Die helle Stimme war dem zweiten Kind der Familie Utara zuzuordnen - Giovanna. Giovanna hatte ein ähnliches Aussehen wie Felix. Sie war ungepflegt und ungewaschen. Ihre Zähne waren jedoch weiß wie die Wolken, was Tsuyoi überraschte. Giovannas langes, nicht gebürstetes und blondes Haar hatte einen braunen Schimmer. Ihre Kleidung war nobel und teuer. Giovanna trug ein weißes Kleid, das von kleinen Sonnen geziert wird, während Felix eine schwarze Jacke, bestückt mit Goldstickereien an Saum und Kragen, und eine dunkle Hose gepaart mit einem Rock, der mit der Jacke verbunden war und einen schönen Übergang von der unteren Körperhälfte auf die obere schuf.
“Ich bin davon überzeugt, dass die Yezhu Nanhai gute Krieger schicken würde, doch mit Kindern habe ich nicht gerechnet. Ich werde mir noch eine Meinung über euch bilden.”, erklärte eine raue, weibliche Stimme auf der linken Seite des Tisches.
Die raue Stimme gehörte der Mutter, die von Falten nur so übersät war. In ihrer Hand hielt sie eine Zigarre, deren Spitze leicht rot-orange glühte, weshalb blasser Rauch empor stieg. Sie führte die Zigarre an ihren Mund, zog kurz daran und genoss die Aromen des Rauches, bevor sie den Rauch herausblies. Die Zigarre, die die Mutter in ihrer Hand hielt, erklärte, warum ihre Stimme so rau war. Unter ihren Augen waren riesige schwarze Balken. Die Mutter band ihr Haar zu einem Dutt, doch man erkannte, wie ungepflegt es war. Sie roch ebenfalls unerträglich. Ihr Geruch war noch schlimmer als der, den Felix abgab. Nichtsdestotrotz war ihre Kleidung genauso pompös und schick wie die ihrer Kinder.
In dieser Stadt gab es gesellschaftliche Kleiderordnungen. Frauen waren durch den Druck in der Gesellschaft dazu verpflichtet, Kleider zu tragen. Wenn man als Frau mal keines trug, wurde man verachtet, Leute redeten über einen. Frauen wurden als Schlampen oder Flittchen bezeichnet oder ihnen wurde unterstellt, dass sie Männer sein wollen. So kam es dazu, dass Mädchen von klein auf eingetrichtert wurde, dass sie Kleider tragen müssen. Eine ungesunde und toxische Gesellschaft, die Männer aufbauten, wurde geboren. So war es schon immer in der Geschichte. Männer unterdrückten Frauen, bis sie es einfach akzeptierten.
Männer dominierten, weil sie sich für stärker hielten und ihr fragiles Ego ihnen erzählte, sie hätten das Recht dazu, Menschen zu unterdrücken, da sie stärker sind. Schließlich kam noch dazu, dass Menschen Hierarchien als etwas Gutes ansehen. Da Männer in dieser Hierarchie immer über Frauen standen, konnten sie sich besser fühlen.
Die Mutter der Familie Utara sah dies aber anders. Sie kleidete sich typisch männlich, um sich gegen dieses System zu wehren. Die Frauen in Utara sahen dies und verehrten sie. Die Mutter bekam sogar den Namen Alagbara, was so viel wie “die Starke” bedeutete. Ihr Widerstand half nicht, die Gesellschaft zu befreien. Die Frauen versuchten es und liefen mit der Kleidung ihrer Männer auf der Straße herum, doch sie erhielten nur böse Blicke und Beleidigungen. Die Angst, die Männer schürten, war vorher schon tief in der Gesellschaft verwurzelt, doch nach diesem Aufstand wurde es nur schlimmer. Trotzdem wehrte sich die Mutter - die Emilia hieß - weiter. Bis heute gab es jedoch keinen weiteren Versuch, gegen diese gesellschaftliche Ungleichheit anzukämpfen.
“Ich bitte dich, Emilia. Das sind doch keine Kämpfer! Diese Kinder können doch nicht mal einen unserer Krieger besiegen!”
Das war die Stimme des Vaters - das Oberhaupt der Familie. Sie passte nicht zu ihm, dachte Tsuyoi. Sie war hell und ziemlich hoch. Doch bei genauerem Hinschauen bemerkte Tsuyoi, dass sie eigentlich doch passte. Der Vater, mit vollem Namen Atticus van Utara, hatte eine schmächtige Statur und sah schwach aus. Seine Kleidung war aus Seide und schien in einem wunderschönen Purpur. Seine Haare schienen in einem Grün, das unbeschreiblich hässlich war. Seine Nase und sein Gesicht sahen aus, als wäre man mit einer Kutsche darüber gefahren.
Tsuyoi verachtete diese Menschen jetzt schon, obwohl er sie seit gerade einmal einer Minute kannte.
“Ihr meint, wir könnten keinen Eurer Krieger besiegen? Dann werdet Ihr ihr blaues Wunder erleben. Jeder von uns kann Eure Krieger mit Leichtigkeit besiegen. “
Tsuyoi platzte vor Wut. Diese Adligen zogen die ganze Zeit über die Drei her, ohne zu wissen, wie stark sie eigentlich sind. Tsuyoi konnte einige Beleidigungen einstecken, doch das war ein Grad zu viel. Delia und Utopius waren davon nicht ganz so erfreut, weshalb sie ihn mit einem Blick ansahen, der ihre Wut widerspiegelte.
“Tsuyoi …”, murmelte Delia, “Wie kommst du darauf, so einen Stuss zu labern?”, fragte Delia.
“Ich bitte darum, dass Ihr ihm verzeiht. Er kennt sich leider nicht mit den Gepflogenheiten des Hofes aus.”
Utopius verbeugte sich tief, als er das sagte. Seine Stimme und sein Herz rasten, da er Angst davor hatte, was die Adligen Tsuyoi antun würden. Adlige sind unberechenbar. Man sollte nie einen Streit mit ihnen anfangen.
“Utopius…”, begann Tsuyoi zu sprechen, bevor ein stechender Blick von Utopius ihn traf, der ihn dazu zwang, den Mund zu halten.
“Wie heißt du, Junge?”, fragte Atticus, der Vater der Familie, mit bedrohlicher Stimme.
“Tsuyoi!”
“Du wirst nun gegen einen meiner Krieger kämpfen.”
Atticus sprach mit fester Stimme, während er langsam aufstand. Auf Tsuyois Gesicht breitete sich Verwirrung aus. Delia und Utopius waren ebenso sprachlos. Doch als sie merkten, dass Atticus das ernst meinte, nickten sie nur leicht mit ihren Köpfen und folgten ihm.
Die meisten adligen Familien besitzen eine kleine Armee, die aus Rittern der Königsfamilie besteht. Diese Ritter schützen die Städte und vor allem die einzelnen Familienmitglieder. Gefahren wie aufständische Bürger oder die Untergebenen des Goemuls bedrohen die Familien täglich. Die Ritter schüren Furcht, was der Unterdrückung der Gesellschaft hilft.
Das Schloss der Familie ist eingezäunt. Rund um das Haus befinden sich hohe Zäune, die das persönliche Land der Familie von dem der einfachen Bürger abgrenzen. Im Norden liegt der Eingang, wo Tsuyoi und die anderen ins Schloss eintraten.
Im südlichen Teil befand sich ein Trainingsplatz ähnlich dem, der in der Yezhu Nanhai stand. Er diente den Rittern des Königs als Trainingsplatz. Sie stärkten ihre Muskeln, ihre Kampfkunst und bereiteten sich darauf vor, die Stadt im Notfall zu verteidigen.
Der östliche Teil war ausschließlich zur Vergnügung da. Dort konnte man schwimmen oder Spiele wie Golf oder Bowling spielen. Im Westen des Hofs erstreckte sich eine wunderschöne Landschaft, geprägt von Blumen und Bäumen und Statuen jeglicher Art. Blumen wie Rosen oder Lilien, die in allen möglichen Farben glänzen, erstrecken sich über diesen Teil. Die Blumen waren zwar wunderschön, aber die Crème de la Crème waren die Bäume, die sich wie schöne Tänzer über den Hof verteilten. Goldregen, Kirschbäume und Tulpenmagnolien waren ohne Zweifel die schönsten Bäume, die die Familie pflanzen lassen hatte. Doch auch Apfelbäume und Eichen waren nicht zu unterschätzen.
Tsuyoi, Delia, Utopius und auch Herr Kampke folgten Atticus zum südlichen Teil des Hofes. Auf dem Weg dahin schwärmte der Adlige vom Hof und wie schön er doch sei, während Herr Kampke Tsuyoi leise anmeckerte. Von den Statuen bis zum Eingang und dem Vergnügungsort, alles war perfekt. Atticus stoppte erst mit dem Schwärmen, als sie den südlichen Teil erreichten.
Auf dem Trainingsplatz befanden sich viele Ritter in Rüstungen, die edel aussahen und gleichzeitig von früheren Erlebnissen, die positiv oder negativ gewesen sein konnten, gezeichnet waren. In ihren Händen hielten viele Waffen wie Schwerter, Morgensterne oder Äxte.
“Guten Tag, meine Krieger!”, rief Atticus.
Als die Ritter diese Stimme hörten, stellten sie sich hastig in Reih und Glied, um sich dann zu verbeugen.
“Guten Tag, verehrter Herr Atticus!”, riefen die Ritter im Chor.
“Beeindruckend koordiniert.”, murmelte Tsuyoi, damit ihn keiner versteht.
Als die Ritter sich wieder erhoben, trat einer aus der Mitte hervor. Er schlug seine Rechte fest an seine Brust und hielt seine Linke am Rücken. Daraufhin stellte er sich als Lihua Wang vor und verbeugte sich ein zweites Mal.
“Mein Herr, was ist der Grund, dass Ihr uns mit Eurem Besuch beehrt?”
“Lihua. Wer ist der stärkste Krieger in euren Reihen?”
In Lihua breitete sich Verwirrung aus. Er fragte sich, warum sein Herr so etwas wissen wollte und warum sein Herr diese Gäste mitgebracht hatte. Ohne viel nachzudenken, drehte er sich um und fragte die Ritter, die sich versammelt hatten, wer der Stärkste sei. Alle Ritter waren sich einig, dass Lihua der Stärkste sei.
“Mein Herr, alle hier sind sich einig, dass ich der Stärkste bin. Ich sehe dies zwar anders, aber wenn sie sich mit mir zufriedengeben, dann erfülle ich gerne ihren Befehl.”
“Nein, das ist scho…”
“Wie bitte?! Du sollst der Stärkste sein?”
Hinter dem Adligen ertönte eine ungewöhnlich coole Stimme. Atticus schäumte sofort vor Wut. Der Adlige wollte gerade beginnen, mit dem Ritter zu schimpfen, als er sah, wer es war. Ein Mann mit roten Haaren, dessen Frisur dem Sichelmond ähnelte, trat hinter dem Adligen hervor, ohne Atticus nur eines Blickes zu würdigen. Ähnlich wie die anderen Ritter trug er eine silberne Rüstung, doch im Gegensatz zu den anderen Rittern sah seine noch brandneu aus. Seine Rüstung war nicht gezeichnet von früheren Ereignissen und glänzte in einem wunderschönen Silber.
Atticus, der gerade von einem seiner Untergebenen ignoriert wurde, brodelte wie ein Vulkan.
“Wie kanns…”
“Lihua, du bist weder stark noch intelligent. Wie kannst du dich da also als den Stärksten bezeichnen?”
Atticus wurde schon wieder unterbrochen. Während er noch darüber nachdachte, was er als nächstes sagen würde, begann die Gruppe aus Rittern aufgeregt zu tuscheln. “Das ist doch Marx” oder “Das wird einen großen Streit geben”, wurde von den Rittern gesagt. Sie tuschelten leise weiter, bis sie ein scharfer Blick von Marx traf.
“Marx, seit wann bist du denn wieder zurück? Ich dachte, du bist auf deiner letzten Mission elendig verreckt. Wie schade, dass du lebend zurückgekommen bist.”
Lihuas Stimmung veränderte sich vollständig. Seine bedingungslose Loyalität verschwand sofort. Auf seinem Gesicht bildete sich ein Lächeln, das seinem zynischen Satz Ausdruck verlieh.
Tsuyoi spürte schon vorher, dass die Spannung in der Luft anstieg, doch jetzt war ihm klar, dass irgendetwas in der Vergangenheit vorgefallen sein muss. Er wagte es aber nicht nachzufragen, denn ein kleiner Fehler und er würde mit in den Streit hineingezogen werden.
Währenddessen brodelte es weiter in Atticus. Er wurde rot vor Wut. In einigen Sekunden würde er wohl explodieren, dachte Tsuyoi. Die zwei Streithähne bemerkten das aber nicht und rauften sich weiter.
“Flor, hol mir bitte meine Waffe.”, befahl Lihua einem der Ritter.
Sofort lief ein Ritter los, um Lihuas Waffe zu holen.
Marx verstand, was Lihua wollte und zückte sein Schwert, das auf seiner rechten Seite war. Entschlossenheit, diesen Kampf zu gewinnen, breitete sich in beiden aus.
Flor übergab Lihua schnell seine Waffe.
“Schluss!”, schrie Atticus. “Wenn ihr kämpfen wollt, dann dürft ihr das machen. Aber wagt es nie wieder, mich zu unterbrechen. Ihr solltet froh sein, dass ich euch vom König habe, weshalb ich nur bedingte Kompetenzen habe.”
Atticus explodierte wie ein Vulkan, der schon lange bereit war, eine Stadt zu zerstören. Marx und Lihua verstanden den Ernst der Situation und verbeugten sich.
“Wir bitten demütig um Verzeihung.", sagte Luhua. Marx plapperte ihm schnell nach.
“Falls wir Euch zu viel Ärger bereitet haben, bieten wir Euch unsere Köpfe an, damit wir für unsere Taten büßen können.”, fügte Lihua noch schnell hinzu.
Atticus rollte seine Augen, bevor er sagte: “Ihr werdet nun gegeneinander kämpfen!”
“Was?!”
Verblüffung lief durch jeden, der das hörte, während Atticus seinen Blick über alle schweifen ließ.
“Das war ein Befehl! Ihr werdet gegeneinander kämpfen und wer gewinnt, wird dann gegen diesen Jungen kämpfen.”
“Ha ha ha! Das heißt, wenn ich den hier besiege, muss ich ein Kind besiegen? Das wird ja einfacher, als ich dachte.”, lachte Marx.
Lihua ignorierte diesen Kommentar.
“Geht alle vom Platz runter!”, befahl Atticus mit fester Stimme.
Als alle vom Platz runter gingen, standen sich die beiden Ritter gegenüber.
“Ich werde dich besiegen!”, sagte Marx siegessicher.
“Ich bezweifle das!”, antwortete Lihua.
Beide hielten ihre Waffen fest in der Hand. Dann kam das Signal.
“Los!”, rief Atticus.