Die Festungsstadt Velgath

Der Morgen dämmerte still. Das Lager lag noch im Halbschatten, nur einzelne Feuer glimmten schwach vor sich hin. Vögel begannen zu singen, zaghaft erst, dann mit wachsender Zuversicht. Ich öffnete langsam meine Augen, noch bevor die Müdigkeit von mir weichen konnte, spürte ich Wärme, Ruhe und Nähe. Celine lag neben mir, ihren Kopf auf meinen Ausgestreckten Arm ruhend. Ihr flacher, ruhiger und warmer Atem erfüllte mich mit einem Gefühl von Bestimmung, als wenn dies der Ort wäre an dem ich sein sollte. Ich konnte nicht anders als sie dabei zu beobachten, wie sie so friedlich neben mir schlief. Für diesen Moment schien die Welt da draußen so unglaublich fern.

Dann ertönte auf einmal das Signal zum Aufbruch und auch Celine wurde davon aus dem Schlaf gerissen. Ihr Augen öffneten sich ruckartig und sahen sich beinahe panisch um. Das ist nur das Signal zum zusammenpacken und aufbrechen. Sagte ich mit sicherem und ruhigem Ton. Als sie meine Stimme vernahm entspannte sie sich und drehte sich zu mir um. Ein glückliches Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. Guten Morgen, Liebster. Sagte sie leise und sah mich fast schon etwas verlegen, mit ihren kristallklaren blauen Augen, an. Guten Morgen. Entgegnete ich ihr. Ich streifte sanft ihr Haar hinter ihr Ohr und gab ihr dann einen kurzen aber liebevollen Kuss auf ihre Stirn. Für einen Augenblick lang sahen wir einander nur an ohne etwas zu sagen. Es wird Zeit. Sagte ich und brach das Schweigen zwischen uns. Widerwillig nickte Celine mir zu. Sie wollte gerne so verbleiben, wusste aber, dass dies ein Wunschdenken war, wir mussten in Kürze aufbrechen.

Wir machten uns am Waschfass in meinem Zelt frisch und legten danach unsere Ausrüstung an. Ich schob den Stoffvorhang beiseite und verließ das Zelt, Celine folge mir unauffällig. Während die Soldaten und Abenteurer das Lager genauso schnell und geschickt abbauten, wie sie es zuvor errichtet hatten, sorgte ich dafür, dass alles seine Richtigkeit hatte, nichts zurückgelassen wurde und Alle ihren Aufgaben nachgingen. Nach knapp einer Stunde waren wir bereit unseren Marsch, gen Norden, fortzusetzen.

Wir verbrachten ganze sechs Tage entlang des nördlichen Handelswegs. Er war gut ausgebaut und es drohten wenige Gefahren, da Abenteurer, Händler und Militär diesen Weg regelmäßig nutzten und von Monstern befreiten, dies erlaubte uns einen großen Teil der Strecke zügig und problemlos zu überwinden. Abgesehen von der ein oder anderen Begegnung mit wilden Tieren verlief dieser Teil unserer reise wie erwartet. Nach den ersten Tagen klangen die Gespräche in der Truppe ab und sie wurde immer fokussierter, effizienter und eingespielter. Celine begleitete mich meist schweigend, sie beobachtete Mich aufmerksam bei dem was ich tat, es schien mir so als wolle sie so viel wie möglich von mir lernen, wie man eine Truppe anführt, die Moral hoch hält, Aufgaben ein- und zuteilt, Streitigkeiten oder Uneinigkeit beilegt und eine klare Befehlsstruktur schafft. Dabei war sie meist still schweigend um nicht zu stören. Ganz anders in der Zeit, die wir privat verbrachten. Während wir Zeit für uns hatten, verbrachten wir diese nicht nur in kuscheliger Zweisamkeit, Celine löcherte mich auch mit all möglichen Fragen zu dem was sie den Tag über beobachtet hatte.

Am siebten Tag verließen wir die nördliche Straße und schlugen den Weg westwärts ein, der uns zum Ziel unserer Mission führen sollte. Der Übergang war unscheinbar, doch die Veränderung war deutlich zu spüren. Der Boden unter unseren Füßen wurde uneben und der alte Straße war nun von Gestrüpp verschluckt. Das Grün war dichter, die Bäume standen enger beieinander. Die Geräusche trugen nicht mehr weit und das Rascheln im Unterholz war nun ein stetiger Begleiter. Die Angespanntheit der ganzen Truppe, mir eingeschlossen, war ab diesem Tag deutlich erhöht. Wir begannen unterwegs Goblins, Orks und Wolfsmonstern zu begegnen. Aber anstatt dies als störendes Hindernis zu sehen, war ich mehr als erfreut darüber.

Ich nutzte diese Gelegenheiten um die Kampfaufstellungen und Befehlsstrukturen innerhalb unserer Truppe zu verfeinern und auszubauen. Außerdem gab es den einzelnen Leuten die Chance, die Fähigkeiten ihrer Begleiter einzuschätzen und als Gruppe besser zusammen zu arbeiten. Und ich konnte die Gelegenheit auch nutzen um Celine praktische Erfahrung im Kampf mit dem Bogen zu geben. Zusammen mit einigen der erfahrenen Schützen arbeiteten wir an ihrer Haltung, Atmung das Finden des richtigen Timings und dem Ausnutzen von örtlichen Gegebenheiten. Am Anfang war sie sehr nervös, zögerlich und hatte Bedenken. Aber je mehr sie mit mir und den Anderen kämpfte, desto sicherer wurde sie, ihre Entschlossenheit und Selbstsicherheit wuchsen mit jedem Kampf.

Den Rhythmus den wir in den ersten sechs Tagen unserer Reise aufgebaut hatten half uns hier wirklich aus, da jeder wusste was er zu tun hatte und was seine Aufgaben waren, wann und wie die Wachen rotieren. In der Nacht vom neunten auf den zehnten Tag wurden wir von einer Horde Orks angegriffen. Das war der erste und einzige ungeplante Kampf auf unserer Reise. Auch wenn ihre Anzahl, für einen spontanen Angriff, beeindruckend war, konnten wir sie ohne Verluste zurückschlagen. Es gab einige Verletzte und unserer Weiterreise wurde dadurch unwesentlich verzögert, aber es half uns auch unserer Aufmerksamkeit wieder zu schärfen und jederzeit für einen Notfall bereit zu sein.

Zwei Tage bevor wir unser Ziel erreichten veränderte sich das Wetter. Die Luft war drückend, der Himmel düster und unruhig. Der Storm kam über Nacht. Donnergrollen und prasselnder Regen fuhren den gesamten nächsten Tag über uns. Wir verzögerten unseren Marsch bis das Unwetter an uns vorbeigezogen war. Der nun durchweichte Boden und die schwere Feuchte Luft erschwerten das letzte Stück unserer Reise. Doch dies war nicht das schlimmste der Druck und die Spannung der Truppe stiegen mit jedem Schritt den wir unserem Ziel näher kamen. Niemand sprach darüber, wann wir ankommen würden. Jeder bereitete sich innerlich auf das vor was uns erwarten würde.

Am Vormittag des fünfzehnten Tages verließen wir das Waldgebiet und vor uns erstreckten sich die weiten ehemaligen Felder der alten Festungsstadt. Unsere Kleidung und Ausrüstung noch immer klamm vom Sturm und unsere Schritte im noch immer weichen Boden. Es war kein Anzeichen von Leben zu sehen. Selbst hier am Waldrand war es still, keine Vögel, kein Rascheln im Unterholz, nur der Wind, der gelegentlich durch die Bäume fuhr. In der Ferne konnten wir es sehen, unser Ziel, die verfluchte Stadt Velgath.

Sie Stand wie ein massives Monument, Ehrfurcht gebietend, in der Landschaft. Als äußerste westliche Stadt des Königreichs diente sie einst als Frontlinie gegen zwei feindliche Reiche, welche sich hinter dem Dickicht des sich im Westen erstreckenden Waldmeers befanden. Velgath, ein unbeugsames Relikt aus einer anderen Zeit. Eingebettet zwischen den schroffen Hängen eines ergiebigen Gebirges im Süden und den ruhigen Wassern eines gewaltigen Sees im Norden, wirkte sie weniger wie eine Stadt, denn wie ein Bollwerk gegen das Ende der Welt selbst. Der Fluss, der das Süßwasser aus dem Osten herantrug, glitt wie ein stählerner Faden durchs Land, schnitt durch das fruchtbare Farmland östlich der Mauern und versorgte die uralte Bastion ebenso wie das Herz der Reiches.

Die Mauern der Stadt, waren doppelt so dick wie alles, was sonst im Reich stand, sie waren ein Monument aus Stein, Schweiß und jahrhundertelanger Vorbereitung auf das Unvermeidliche. Vier gewaltige Haupttore, je eines für jede Himmelsrichtung, öffneten sich träge wie die Kiefer einer riesigen Biestes. Dahinter lagen drei weiter, kleinere Tore, verbunden durch dicke Quermauern, wie ein Käfig der jedem Eindringling ungeschützt einsperrte. Auf den Türmen und gewaltigen Haupttorhäusern wachten Ballisten wie Hungrige Bestien, in Bereitschaft, Tod in alle Richtungen zu speien.

Im Zentrum, wo andere Städte Platz für Prunk und Schönheit ließen, stand hier die Burg: ein grobes, uneinnehmbares Herz aus Stein, gebaut für das Letzte aller Gefechte. Rundherum verliefen breite Straßen wie pulsierende Adern durch den geordneten Leib der Stadt, am Marktplatz kreuzten sie sich, nahe dem ehrwürdigen Tempel der Götter. Die Kaserne nahe der westlichen Mauer, bereit, bei jedem Alarm ihre Faust gegen den Feind zu schleudern. Drei mächtige Warenlager, klobig wie steinerne Truhen, wachten im Schutz der Mauern über die Vorräte, die selbst Jahre der Belagerung überstehen sollten.

Hier gab es keinen Platz für Schönheit, nur für Sinn. Keine Fassaden, nur Funktion. Keine Träumerei, nur Vorbereitung.

Und da standen wir, am anderen Ende des Farmlands und blickten mit Ehrfurcht und einer gewissen Nervosität auf diesen Giganten der Vergangenheit, denn unser Ziel war es ihn aus seinem langen und dunklen Schlaf zu erwecken. Wir alle standen zögernd am Waldrand, keiner wagte es den nächsten Schritt zu tun. Ich sah durch die Reihen meiner Männer, ich sah ihre Furcht und ihre Bedenken. Sie kannten die Geschichten und Gerüchte um diesen Ort, doch sie alle sahen ihn das erste mal in ihrem Leben. Okay! Bewegung! Rief ich laut mit starker Stimme. Ich ging allen voran, zögerlich folgten sie mir.