Verräterischer Geist

Atticus prustete, als er eine Mundvoll Schnee ausspuckte, und kaum hatte er sich gefasst, packte Daphne eine weitere Ladung und stopfte sie ihm unter sein Hemd. Die Kälte entlockte ihm ein unwürdiges Kreischen; unverzüglich leitete er seine Kräfte durch den Sonnenstein in seiner Tasche, sein Körper wurde mit Wärme durchflutet, die den unangenehmen Schnee dahinschmelzen ließ.

Er fletschte die Zähne, kampfbereit. Selbst wenn es seine Frau war, die ihm gegenüberstand, er würde keine Gnade zeigen!

Doch als er gerade zum Schlag ausholen wollte, wurde er durch ihr Gelächter wie versteinert. Seine Frau, die ihn seit ihrer Ankunft in Vramid mit finsteren Blicken und knurrend überhäuft hatte, neigte nun ihr Gesicht himmelwärts und lachte schallend - sie keuchte fast vor Vergnügen.

Seine Hand erstarrte, als hätte ein Zauber ihn in den Bann geschlagen.

Sie sah umwerfend liebenswert aus, ihre Wangen von Anstrengung gerötet, ihr Atem in kleinen Wölkchen, während sie schnappte und lachte. All die Zeit hatte Atticus sie nur als einen Teil seines Vorhabens gesehen, als Mittel zum Zweck. Sie war nicht wirklich eine Person für ihn gewesen, sondern eher ein Werkzeug, genau wie die Steine, die sie führten – hübsch anzusehen, mehr nicht.

Doch jetzt... jetzt war er ganz gefangen von ihrem Charme. Wie hatte er das nur früher übersehen können?

Man munkelte immer, Prinzessin Daphne von Reaweth sei schön. Als Atticus sie endlich mit eigenen Augen sah, war er weder überrascht noch enttäuscht gewesen. Aber jetzt... jedes Lachen, das ihre Lippen verließ, klang wie ein Perlenspiel im Wind. Ihr Lächeln war strahlend und schien die Wärme des Sonnenlichts in sich zu tragen. Und ihre Augen, wenn sie ihn nicht gerade mit der Hitze der Hölle durchbohrten, erinnerten Atticus an die wirbelnden Tiefen des Ozeans – er war bereit, für immer darin zu versinken.

Sie beugte sich erneut vor und schleuderte eine weitere Handvoll Schnee auf ihn.

Atticus blinzelte, riss sich aus dem Bann, und sein Herz härtete wieder. Was spielte es für eine Rolle, dass seine Frau schön und bezaubernd war, und dass ihr Lachen sich anfühlte, als käme der Frühling in sein Herz? Das war nicht bedeutend und würde seine Pläne für sie keineswegs entgleisen lassen.

Das durfte es einfach nicht.

Er sammelte sich, sammelte Schnee auf und formte mit seinen Kräften rasch und unbemerkt einen perfekten Schneeball. Daphne hatte ihn vielleicht überrascht, doch weil er unvorbereitet gewesen war. Aufgewachsen in den schweren Schneefällen von Vramid, konnte ihn sicherlich keine behütete Prinzessin aus dem sonnigen Reaweth in einer Schneeballschlacht besiegen!

Er warf ihn geradewegs auf sie. Jetzt war es Daphnes Reihe zu schreien, als sie sich im letzten Augenblick duckte und den Kopf mit den Händen schützte.

"Mein lieber Sonnenschein, beginne keine Schlachten, die du nicht gewinnen kannst", sagte Atticus spöttisch und funkelte schelmisch mit den Augen, als er seine nächste 'Waffe' auf sie richtete.

Daphne sammelte fieberhaft Schnee, um daraus Kugeln zu formen, ihr gefiel der Ausdruck in seinen Augen nicht. Sie würde die Konsequenzen für ihre Wagemutigkeit spüren, doch der erste Schlag war bereits ausgeführt. Da die Strafe so oder so auf sie zukommen würde, wollte sie wenigstens kämpfend untergehen.

"Ich lasse mich nicht lebend von dir erwischen!", rief sie hitzig und schleuderte, was sie hatte, auf ihn.

Ohne Zauberei waren Daphnes hastig geformte Schneebälle alles andere als perfekt. Sie waren kaum rund und eher oval. Einige Schneebälle brachen auf dem Weg zu ihm auseinander, andere waren so fest gedrückt, dass sie zweifellos wehgetan hätten, wäre ihr Ziel getroffen worden.

Zum Glück hatte Atticus den unfairen Vorteil, dass er seine Magie nutzen konnte, um ihre Geschoße zu zerschlagen. Wären die Schneebälle wirklich bis zu ihm gelangt, hätten sie sicherlich einen Bluterguss verursacht.

"Wirst du etwa schon müde?", bemerkte Atticus lachend, während er eine Schneeball nach dem anderen in Daphnes Richtung schleuderte. Er konnte die kleinen Atemwolken sehen, die bei jedem Atemzug ihren Lippen entwichen. Ihre Ausdauer ließ rapide nach. "Du kannst dich jederzeit ergeben, weißt du? Vielleicht mit einer netten Entschuldigung, wo du doch diesen Krieg begonnen hast."Daphne presste die Zähne zusammen, ihr Maß war voll. "Nie im Leben!"

Mit einem Kriegsschrei tat sie etwas, bei dem ihre Eltern und der Rest ihrer Familie in Ohnmacht gefallen wären, wenn sie es gesehen hätten. Sie nahm Anlauf und stürmte auf Atticus zu. Sie sprintete auf ihn zu und streckte ihre Arme aus, um ihn zu packen.

Zunächst war Atticus verwirrt über die Absichten seiner neuen Frau. Doch als er das Gesicht sah – das einem wild gewordenen Tier in der Arena glich – weiteten sich seine Augen in Schrecken.

"Warte... Liebling... Nein..."

Es war zu spät. Normalerweise hätte Daphnes Körpergewicht und Kraft nicht ausreichen dürfen, um den riesigen Atticus zu Fall zu bringen, immerhin war er 1,90 Meter groß. Aber als der Schopf aus strahlend goldenem Haar auf ihn zuraste, wusste er nicht, was über ihn kam.

In dem Moment, als sie ihre Hände um seinen Oberkörper legte, fiel Atticus rückwärts mit Daphne, die sich an ihn klammerte. Die Schwerkraft brachte sie beide zu Boden, wobei die Schicht aus Pulverschnee ihren Sturz abfing – den größten Teil des Aufpralls nahm jedoch Atticus auf sich.

Seine Hand hielt Daphnes Kopf sicher und stellte sicher, dass sie auf dem Weg nach unten nicht auf etwas Hartes stieß – abgesehen von noch mehr Schnee, der ihnen durch den Sturz ins Gesicht wehte.

"Du bist verrückt," zischte Atticus und zuckte zusammen. Es war nichts Ernstes passiert, aber es war ganz und gar kein angenehmes Gefühl, so zu Boden geworfen zu werden.

"Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen", murrte Daphne.

"Liebling, es gibt bessere Wege, einen Kampf zu gewinnen", erwiderte Atticus. "Zum Beispiel..."

Er brach ab, als Daphne aufblickte und ihren Blick endlich von seiner Brust auf sein Gesicht hob. Ihre Blicke trafen sich und für einen Moment vergaß Atticus zu atmen. Er hatte nicht bemerkt, wie nahe sie einander waren. In diesem Augenblick wurde ihm plötzlich alles bewusst – wie ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren, wie seine Hand an ihrem Hinterkopf und ihrer Taille lag, wie ihre Handflächen gegen seine Brust gedrückt waren.

Atticus' Kehlkopf bewegte sich auf und ab. Sein Herz schien für eine Sekunde auszusetzen.

"Wie?" fragte sie, ihre Stimme plötzlich weicher und sanfter als zuvor.

"Wie..." setzte er an. Sein Blick wanderte von ihren rehaugen Augen hinunter zu ihren weichen, rosafarbenen Lippen und schnellte wieder hoch, um ihren Blick zu treffen. "Wie einen Waffenstillstand vereinbaren", brachte er schließlich hervor. "Du frierst."

Eilig stand Atticus auf und zog Daphne mit sich hoch. Als sie wieder richtig standen, wich er von ihr zurück, als hätte sie die Pest. Er wusste selbst nicht, warum er so reagierte, ihm war nur klar, dass er ihr nicht mehr auf solche Weise nah sein konnte. Wer wusste schon, was sonst noch mit seinem verräterischen Geist passieren könnte?

"Lass uns zurückgehen", sagte er. "Du musst dich aufwärmen."

Mit diesen Worten machten sich Atticus und Daphne auf den Rückweg zum Schloss. Doch anders als bei ihrem Aufbruch zuvor, waren auf dem Rückweg mehr ungesagte als ausgesprochene Worte zu vernehmen.