Vergifteter Wein für eine vergiftete Zunge

"Eine Begrüßung an den König", sagte Eugene sogleich mit einer Verbeugung.

Atticus neigte nur minimal seinen Kopf. Er gab sich wie ein schlecht erzogener Wachmann.

"Das hat ja gedauert." Daphne zischte es leise vor sich hin. Ihr Gesicht verzog sich in Missfallen; sie konnte den Duft anderer Frauen an ihm riechen. Aus irgendeinem Grund brachte sie das enorm auf.

Wie konnte er es wagen, nur so von Parfüm durchtränkt zurückzukehren?

"Oh, du hast auf mich gewartet?" erkundigte sich Atticus hoffnungsvoll.

Als Antwort trat Daphne ihm unauffällig auf die Zehen, dabei empfand sie eine rachsüchtige Freude, als er sich mühte, nicht zusammenzuzucken.

"Ich bitte um Entschuldigung, Sonnenschein. Ich musste erst den geeignetsten Wein für dich aussuchen", erklärte Atticus und sah dabei aufrichtig reuevoll aus. Er nahm das Glas aus Daphnes Hand und tauschte es gegen sein eigenes aus.

Daphne hätte ihn vor dem Getränk warnen sollen, aber vielleicht wusste er es bereits. Atticus war vieles, jedoch kein Dummkopf. Wäre er einer, dann hätte ihr Fluchtplan beim ersten Mal funktioniert.

Über Dummköpfe gesprochen, sie ließ sich auch nicht von seinem Schauspiel täuschen, aber zumindest wurde sie nicht von Eugene in eine Ecke gedrängt.

Daraufhin warf Atticus Eugene einen abschätzigen Blick zu, als hätte er Dreck an der Unterseite seines Schuhs gefunden.

"Ich bin ein eifersüchtiger Mann, Lord Attonson. Ich schätze es nicht, wenn jemand anderes meiner Frau Getränke spendiert."

"Eifersucht ist ein Laster, König Atticus", entgegnete Eugene gelassen, aber Daphne sah, wie sein Blick von Atticus' Gesicht zum Ring an dessen Finger wechselte. Noch nie hatte Obsidian so unheilvoll gefunkelt.

"Dann mögen die Götter urteilen, wie sie es für angemessen halten", erwiderte Atticus spöttisch, und ehe Daphne reagieren konnte, stürzte er den gesamten Becher Wein hinunter.

"Atticus! Mach das nicht! Spuck es aus!" schrie Daphne entsetzt auf, und der gesamte Ballsaal erstarb in schockierter Stille, als sich alle umwandten, um sie anzustarren.

Die neue Königin sorgte für Aufsehen, genauso wie der Mann neben ihr, dessen Ruf so schlecht war, dass verurteilte Verbrecher im Vergleich dazu wie Heilige erschienen. Hatte Lord Eugene bereits das Königspaar von Vramid beleidigt? Oder verlor die neue Königin schon ihren Verstand?

Wie dem auch sei, es war ein Skandal, der nur darauf wartete, zu passieren. Die Menge sah gespannt zu.

"Was?" Atticus tat unwissend und blinzelte unschuldig, während Daphne sich bemühte, nicht zu hyperventilieren. "Sonnenschein, du hast doch dein eigenes Glas. Ich habe es dir gerade gegeben. Trink, du siehst ganz errötet aus."

Eugene kicherte düster. "Hoheit, Eure Gemahlin vermutet, ich hätte Euch vergiftet. Ich muss sagen, das trifft einen Mann schon in seinem Stolz."

Daphne stammelte verzweifelt. "Du―"

Atticus lachte, als fände er es äußerst amüsant. "Was bevorzugst du, dass sie deine Gefühle verletzt oder dass ich dich verletze?"

Eugene lachte vorsichtig und verneigte sich leicht. "Ich werde jede Entscheidung, die Ihr für angebracht haltet, akzeptieren."

"Ein weiser Mann", sagte Atticus fröhlich, aber das harte Blitzen in seinen Augen verschwand nicht. "Bemühen Sie sich nicht länger um meine Frau mit Ihrem unsinnigen Gerede und verschwinden Sie."

Zorn blitzte für einen Moment in Eugenes Augen auf, als er weggewiesen wurde, als sei er ein bloßer Diener. Daphne erschauderte bei seinem Anblick innerlich. Sie traute ihm zu, sich zu einem späteren Zeitpunkt zu rächen.

Doch Eugene Attonson sagte nichts. Er verneigte sich nur widerwillig ein letztes Mal, bevor er sich davonmachte, vermutlich um andere junge Damen zu bedrängen.Daphne atmete erleichtert auf, als Atticus sich zurückzog, und beobachtete ihn aus dem Augenwinkel.

"Das war unhöflich. Machst du dir keine Sorgen, dass er Rache für diese Beleidigung sucht?"

"Er muss sich hinten anstellen. Ich habe bereits so viele Feinde, die sich um die Ehre streiten werden, mich zu enthaupten", entgegnete er sachlich und musterte Daphne besorgt. "Hat er irgendetwas zu dir gesagt oder getan?"

Dann schenkte er ihr ein unbekümmertes Grinsen.

"Und wenn schon, ich würde ihn ohne zu zögern in den Kerker werfen", versprach er.

Daphne blickte ihn ungläubig an. "Ich bin nicht diejenige, die seinen Wein getrunken hat! Er könnte vergiftet sein!"

Ihr neuer Gatte strahlte nur noch heller anstelle besorgt zu sein, was bei Daphne die Frage aufwarf, ob er wohl als Baby auf den Kopf gefallen sei.

"Du machst dir Sorgen um mich? Wie rührend, Liebste. Es freut mich zu hören, dass dir mein Wohl so am Herzen liegt."

"Ich mache mir keine Sorgen um dich", erwiderte Daphne trotzig. "Es erschreckt mich vielmehr, dass mein neuer Gatte so wenig Selbsterhaltungstrieb beweist, dass er vergifteten Wein trinkt. Vielleicht bin ich ja schon nächste Woche Witwe, wenn der Himmel gnädig ist."

"Du zeigst wieder einmal, dass du kein Vertrauen in mich hast. Ich wäre gekränkt, wenn ich dein Misstrauen nicht so charmant fände."

Daphne schnaubte ungläubig. "So charmant, dass du erstaunlich lang für ein Glas Wein gebraucht hast? Nicht mal ein Krüstchen oder Scone hast du mir mitgebracht."

Atticus schenkte ihr ein neckisches Grinsen und fuhr beiläufig mit der Hand über ihren Rücken. "Du hast mich also beobachtet. Warst du eifersüchtig, weil dieser gutaussehende Gatte von dir Frauen anzieht wie Bienen den Honig?"

Daphne stotterte, ihr Gesicht lief rot an. Eifersüchtig? Das würde wohl nur in seinen wildesten Träumen vorkommen. Um sich die Blamage einer Antwort zu ersparen, trank sie ihren Wein fast wie Wasser herunter.

"Sonnenschein, habe ich dich zum Alkoholismus verführt?" fragte Atticus und sah sie leicht besorgt an.

"Sei dankbar, dass du mich nicht zum Mord getrieben hast", konterte Daphne vornehm und trat ihm "versehentlich" auf den Fuß.

Er zuckte zusammen, aber das fröhliche Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht. Es brachte viele Frauen dazu, kichernd ihre Hände vor den Mund zu halten, ihm begehrliche Blicke zuzuwerfen und Daphne abschätzige Blicke zu schicken.

König Atticus war schon immer ein attraktiver Mann gewesen, aber wenn er lächelte, raubte er einem den Atem. Es war schade, dass er mit einer solch unbegabten Prinzessin vorliebnehmen musste! Das dachten jedenfalls die anderen Frauen, selbst die verheirateten.

"Ich hasse sie, ich hasse sie so sehr!" Ein bitteres Flüstern kam aus einer Ecke des Raums.

Es kam von Lady Veronica, der jüngsten Tochter des Grafen Yarrowood. Sie war vor Freude außer sich gewesen, zum Ball eingeladen zu werden, aber dann hatte diese Frau es gewagt, ihr vor König Atticus einen schlechten Eindruck zu machen!

Sie hatte ja nicht gelogen. Prinzessin Daphne von Reaweth konnte nicht zaubern. Was gab ihr das Recht, sich vor dem König als bemitleidenswert aufzuspielen und dann auch noch Beleidigungen auszustoßen?

"Sie hat ihn nicht verdient! Schau sie dir an – sie trampelt ihm frech auf den Fuß!" Veronica schimpfte und stampfte aus Ärger mit dem Fuß auf.

"So ungehobelt. Wurde sie in einem Stall großgezogen?" Ihre Freundin, Lady Penelope, Tochter des Baron Huntington, pflichtete ihr bei. Sie beobachteten, wie König Atticus die Reaweth-Prinzessin zu einer weiteren Tanzfolge führte, und ihre Eifersucht machte sie fast blind. "Schau nur, sie lächelt nicht einmal, obwohl er ihr so viel Aufmerksamkeit schenkt. Was bildet sie sich eigentlich ein?"

"Dann erteile ihr doch eine Lektion", schlug die Freundin vor.