Kapitel 3

Angelika konnte die neidischen Blicke ihrer Freundinnen erkennen, als sie von dem König von der Feier weggeleitet wurde. Hilde sah aus, als wollte sie sich mit ihr anlegen. Ihre Augen blitzten vor Zorn und Hass. Angelika wurde klar, dass ihre Freundinnen sie nun noch mehr aus ihrem Kreis ausgrenzen würden. Sie waren schon immer eifersüchtig auf Angelikas Fähigkeit, Männer anzuziehen, aber da Angelika kein Interesse an einer Hochzeit hatte, hatten sie sich keine Sorgen gemacht. Jetzt würden sie zweifellos beunruhigt sein.

Doch Angelika hatte neben dem Neid ihrer Freundinnen noch andere Sorgen. Wie etwa, warum der König unter vier Augen mit ihr sprechen wollte? Was beabsichtigte er zu tun? Wie konnte sie fliehen? Oder was sollte sie sagen oder tun, damit er das Interesse an ihr verlor?

Während sie durch die weitläufigen Säle des Schlosses gingen, überschwemmten viele Gedanken Angelikas Geist. Sie schritt neben dem König einher und zwei der sechs Männer, die ihm nahestanden, folgten ihnen - darunter der Mann mit den Narben.

Angelika spürte deren dunkle Aura, die sie umgab. Ihr Gehirn sendete ihr Warnsignale, als ob sie in ein Feuer treten würde. Sie konnte nicht verstehen, weshalb, doch irgendwas an ihnen rief Gefahr hervor.

"Du musst keine Angst haben, Angelika", sprach der König.

Wie wusste er, dass sie Angst hatte?

"Ich möchte nur mit dir sprechen", versicherte er.

Seine Stimme war so ruhig und beruhigend, dass sie ihm beinahe glaubte.

Sie betraten einen Raum, der offenbar ein Salon war. Ein großer Raum mit prachtvollen Kronleuchtern, die von der Decke hingen, mehrere Gemälde schmückten die Wände, und ein dicker Teppich bedeckte den Boden. In der Mitte befand sich ein rechteckiger Tisch, umgeben von zwei Sofas und zwei Sesseln, jeweils auf gegenüberliegenden Seiten.

"Nimm Platz", wies der König sie an, sich auf ein Sofa zu setzen.

Angelika tat wie geheißen, und der König setzte sich auf einen Sessel zu ihrer Linken. Sie hatte angenommen, dass sie allein sein würden, doch die anderen beiden Männer gesellten sich zu ihnen. Sie nahmen am anderen Ende des Tisches Platz.

Angelikas Blick fiel unbeabsichtigt auf den Mann, der direkt vor ihr saß, und sie erstarrte fast vor Entsetzen. Aus der Nähe wirkte sein Gesicht noch erschreckender. Die rechte Gesichtshälfte war schwer gezeichnet. An einigen Stellen war die Haut ab, und rohes Fleisch kam zum Vorschein.

Die Narben schienen tief und Angelika fragte sich, ob sie in seinen Mund hineinreichten. Doch mehr noch als sein vernarbtes Gesicht waren es seine dunklen Augen, die ihr Angst einflößten, als sich ihre Blicke trafen. Augen, die sie herausforderten weiterzusehen. Er wusste, dass sie von seinem Gesicht abgestoßen war, doch sie konnte nichts dagegen tun. Sie wollte ihn nicht beleidigen.

Angelika versuchte, ihn freundlich anzulächeln, doch ihre Lippen weigerten sich zu lächeln. Sie schaffte es auch nicht, den Blick abzuwenden. Er hielt ihren Blick fest.

"Angelika."

"Ja?" Angelika rief erschrocken. Die Stimme des Königs holte sie aus dem dunklen Blick des narbigen Mannes zurück, und sie wandte sich ihm zu. "Eure Majestät", fügte sie schnell hinzu.

Er lächelte sie an. "Das ist Lord Rayven", stellte er den Mann mit den Narben vor. "Und dies ist Lord Quintus." Er deutete auf den Mann, der neben ihm saß.

Angelika vermied es, Lord Rayven anzusehen und richtete statt dessen ihren Blick auf Lord Quintus. Lord Quintus war ebenso attraktiv wie der König, aber Angelika schaute ihn nicht lange an. Sie war immer noch beunruhigt von Lord Rayvens Blick und spürte seine Augen auf sich ruhen.

"Beide sind ledig", fügte der König hinzu.

Angelika lächelte und fühlte sich unbehaglich. Versuchte er sie mit einem von ihnen zu verkuppeln? Sie hatte gedacht, er selbst sei an ihr interessiert.

"Warum ist eine junge, schöne Dame wie Sie noch unverheiratet?" fragte er dann.Angelika wusste nicht, wie sie reagieren sollte. "Ich neige dazu, Männer zu verscheuchen", antwortete sie schließlich. Sie würde ihn dazu bringen, das Interesse an ihr zu verlieren, wie sie es schon bei vielen anderen Männern getan hatte.

Der König neigte seinen Kopf zur Seite und betrachtete sie neugierig. "Wie das?" fragte er.

Es war an der Zeit, ihre Trümpfe auszuspielen. "Männer mögen keine frei denkenden, gebildeten Frauen mit Ehrgeiz und Träumen", erklärte Angelika. "Ich habe über dreihundert Bücher aus mehr als einem hundert unterschiedlichen Themenbereichen gelesen. Mein Traum ist es, eine Schule für junge Mädchen zu gründen und ihnen das Schreiben und Lesen beizubringen, Eure Majestät", sagte sie.

Sie hoffte, dies würde ausreichen, um ihn abzuschrecken.

Der König lehnte sich mit einem amüsierten Lächeln auf seiner Couch zurück. "Interessant", sagte er und wendete sich anschließend den beiden anderen Männern im Raum zu.

Angelikas Herz machte einen Sprung. Sie konnte den durchdringenden Blick des Mannes mit der Narbe erneut auf sich spüren, wagte es jedoch nicht, ihn anzusehen. Sie wollte nichts tun, was ihn wieder verärgerte. Sie fühlte sich bereits schlecht wegen ihrer früheren Reaktion.

"Du suchst also einen Mann, der es dir ermöglicht, deinen Träumen nachzugehen?" fragte der König.

"Ich suche einen Mann, der mich als ebenbürtig ansieht, Eure Majestät", sagte sie, im Wissen, dass Männer solche Aussagen oft negativ aufnahmen.

Aber der König schien noch mehr von ihr angetan zu sein.

"Und was wirst du tun, falls du einen solchen Mann nicht findest?"

Angelika war sich bewusst, dass sie in dieser Welt, in der Frauen kaum eine Stimme hatten, nicht alleine existieren konnte. Ihr Vater könnte jederzeit im Kampf fallen, und dann wäre sie allein mit ihrem jüngeren Bruder zurück. Das Leben wäre sehr schwierig ohne einen Mann an ihrer Seite.

"Ich bin zuversichtlich, Eure Majestät", antwortete sie mit einem Lächeln.

Der König nickte nachdenklich. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, dass er sie mochte, jedoch nicht auf die Art, wie es ein Mann normalerweise tat.

"Sie wäre eine gute Königin", sagte Lord Quintus, der bisher geschwiegen hatte.

Nein! Das war nicht das, was sie erwartet hatte.

Der König gab ein leises Lachen von sich. "Sie ist nicht 'die Eine'."

Die Eine?

War er auf der Suche nach einer ganz bestimmten Person?

"Aber sie ist etwas Besonderes", fügte er hinzu und drehte sich zu ihr um.

Aus irgendeinem seltsamen Grund hatte Angelika den Eindruck, dass seine eisblauen Augen funkelten. Und dann neigte er sich näher zu ihr, fesselte sie mit seinem Blick. "Sag mir, Angelika. Was bist du?" fragte er.