Praxiserfahrung

„Du hast gegen Zhong Yilan gewettet?" Qi Lian staunte nicht schlecht, als ich mich für das Turnier eingetragen hatte und später am Tag in deren Halle eintraf. „Du willst sie im Turnier herausfordern?"

Ich seufzte. „Es war wahrscheinlich keine brillante Idee… Aber ich konnte ihre Provokationen nicht einfach auf mir sitzen lassen."

„Seid ihr beide vom gleichen Rang? Kann man von einem fairen Kampf sprechen?"

Ich nickte. „Zhong Yilan ist bereits seit sechs Jahren auf dem Berg Hua. Nicht viel länger als ich."

Das Turnier ließ Schüler aller Stufen gegeneinander antreten. Um den Unterschied in der Erfahrung auszugleichen, bekamen jüngere Schüler bestimmte Vorzüge, wenn sie gegen ältere kämpften: sie durften zuerst ziehen oder Talismane und Artefakte nutzen, die normalerweise verboten waren, oder bei einem Unentschieden als Sieger erklärt werden und so weiter. In meinem Fall gegen Zhong Yilan kam jedoch nichts davon infrage, da der Erfahrungsunterschied nur ein Jahr betrug.

„Das ist eine harte Nuss… Ich habe gehört, sie gehört zu den besten ihres Jahrgangs", murmelte Qi Lian. „Sie war doch letztes Jahr die Meisterin, oder?" Er wandte sich an Xie Lun.

„Nur weil die meisten ihrer Gegner ihre Verehrer waren und sich zurückgehalten haben", erwiderte Xie Lun spöttisch. „Sie wird ihrem Ruf nicht gerecht. Die Wette mag im Moment unfair erscheinen, Yun Qing-er, aber wenn du dich weiter so rasant verbesserst, würde es mich nicht wundern, wenn es ein Kopf-an-Kopf-Rennen wird. Was hat Meister Bai Ye dazu gesagt?"

„Er ist momentan unterwegs", entgegnete ich und hoffte, dass meine Sehnsucht in meiner Stimme nicht allzu offensichtlich war. Ich wünschte mir, Bai Ye könnte sofort zurück sein. „Ich werde seine Meinung wohl erst in einer Woche einholen können."

„Das ist eine ganze Woche von dem einen Monat, den du hast!", merkte Qi Lian an. „Kannst du das Training alleine durchziehen?"

„Ich … ich hoffe es."

Ich hatte mich das ebenfalls gefragt. Bis vor Kurzem hatte ich mich fast ausschließlich auf Medizin konzentriert, was deutlich weniger persönliche Anleitung erforderte als das Erlernen von Kampffertigkeiten. Ich war es gewohnt, Dinge selbstständig zu lernen, aber ob das auch beim Schwertkampf klappen würde?

„Echte Kampferfahrung würde dir am meisten bringen", schlug Xie Lun vor. „Sie ist der beste Weg, um deine Fähigkeiten gegen einen Gegner zu schärfen, effektiver als jedes Übungsgefecht." Er machte eine Pause. „Wäre nur Meister Bai Ye hier, um dir die Erlaubnis zu erteilen... Einige von uns machen sich morgen auf nach East Village, um einen Dämonenangriff von letzter Woche zu untersuchen. Es wäre eine sehr nützliche Erfahrung für dich, wenn du mitkommen könntest."

„East Village?" Ich kannte den Namen. Das war der Ort, an dem Bai Ye letztens war. Doch nach seiner Rückkehr hatte er mir nicht viel über den Dämonenangriff erzählt. War das Problem dort immer noch nicht gelöst?

„Es ist nicht weit von hier. Es wäre großartig, wenn du mitkommen könntest!" rief Qi Lian, der meine Frage wahrscheinlich als Interesse deutete. „Han Shu kommt auch mit. Sie ist das einzige Mädchen unter den Schülern unseres Meisters, und sie würde sich sicher über deine Gesellschaft freuen. Kannst du deinem Meister nicht einfach eine Nachricht hinterlassen und ihm mitteilen, wohin du gehst? Ich bin mir sicher, er würde dein Engagement, dich besser auf das Turnier vorzubereiten, befürworten."

„Qi Lian hat Recht", pflichtete Xie Lun bei. „Ich leite die Reise, es ist also nicht so, dass du unbemerkt vom Berg Hua weggehst. Normalerweise zeigen sich Meister sehr verständnisvoll, wenn es um praktische Ausflüge wie diesen geht."

Ich war auf so eine herzliche Einladung nicht vorbereitet. Der Gedanke an die Reise war in der Tat verführerisch, denn ich brauchte dringend einen Weg, um meine Fertigkeiten innerhalb eines Monats stark zu verbessern. Und Bai Ye kennend, war ich mir sicher, dass er mir die Erlaubnis erteilen würde, wenn ich danach fragen würde.Aber er würde sich um mich sorgen, wenn er zurückkehren würde, selbst wenn ich ihm eine Nachricht hinterlassen hätte.

"Wie lange wird die Reise dauern?" fragte ich und rang mit mir selbst.

"Drei bis fünf Tage, schätze ich", antwortete Xie Lun. "Wir könnten sogar vor deinem Meister zurück sein."

Das brachte mich zum Nachdenken. Die Eisberge, zu denen Bai Ye unterwegs war, lagen fern und waren schwierig zu durchqueren. Ich wusste nicht, welches Kraut er suchte, aber es musste so selten sein, dass er sich so viel Mühe machte – es würde sicherlich längere Zeit in Anspruch nehmen, es zu beschaffen. Es war sehr wahrscheinlich, dass er länger als drei bis fünf Tage abwesend sein würde, und ich könnte vielleicht zurück sein, bevor er es bemerkte.

Ich entschied mich. "Ich würde mich gerne anschließen, wenn ihr mich aufnehmen würdet."

~ ~

Bai Ye hatte mich gewarnt, nicht zu oft mit den Zwillingsternen zu töten, also packte ich mein altes Langschwert zusammen mit den Zwillingsklingen für die Reise. Am Abend hinterließ ich eine ausführliche Notiz auf seinem Schreibtisch und versicherte ihm, dass ich in guter Gesellschaft wäre. Sein Zimmer duftete noch immer nach seinem Kuss, und ich stand eine Weile an der Schwelle, unfähig mich davon zu lösen.

Es war kaum ein Tag vergangen, und ich begann ihn bereits zu vermissen. Vielleicht wäre ein Tapetenwechsel gar nicht so schlecht. Zumindest würde es mir helfen, abgelenkt zu bleiben.

Die Gruppe, die ich am nächsten Morgen traf, war klein. Neben Xie Lun und Qi Lian gab es nur zwei weitere, die ich flüchtig kennengelernt hatte: Han Shu, ein aufgeschlossenes Mädchen mit einem süßen Lächeln und entzückenden Grübchen, und Zhou Ziyang, ein ernster junger Mann, der auf unserem Weg ins Dorf schweigsam blieb.

Ich war dankbar, dass meine geistigen Kräfte nun stark genug waren, ein fliegendes Schwert zu führen – sonst wäre ich der Einzige gewesen, der gezwungen wäre, sich ein Schwert mit jemand anderem zu teilen. Obwohl meine Flugkünste noch etwas ungelenk waren, konnte ich mich zumindest in der Luft halten.

"Letzte Woche gab es hier einen Dämonenangriff", erklärte Xie Lun, als wir uns unserem Ziel näherten. "Das ist dir vielleicht bekannt, Yun Qing-er. Meister Bai Ye wurde entsandt, um sich darum zu kümmern, aber die Dämonen spürten seine Kraft und zogen sich zurück, sobald er eintraf, also mussten diesmal andere Aufgaben verteilt werden."

Kein Wunder, dass die Gruppe damals hauptsächlich aus Novizen bestand. Wer hätte gedacht, dass schwächere Kultivierende in solchen Situationen von Vorteil sein können?

"Meister Bai Ye hat keine Unterschlupfe oder Verstecke gefunden", fuhr Xie Lun fort, "das deutet darauf hin, dass diese Dämonen wahrscheinlich woanders leben und weite Strecken zurücklegen können. Wir müssen mit den Dorfbewohnern sprechen, um herauszufinden, was sie angezogen hat."

"Aber wie sollen wir angreifen, wenn wir nicht wissen, wo diese Dämonen stecken?" fragte Han Shu.

"Das werden wir nicht", sagte Xie Lun. "Wir locken sie an, um uns anzugreifen."