Das Dorf East lag malerisch in einem friedlichen Tal am Fuße des Berges Hua, umgeben von dichten Wäldern. Über die sanften Hügel erstreckten sich Reisterrassen, schwer beladen mit ihrer Ernte, die sich im Wind wie ein goldenes Meer bewegten, während wir uns auf den Weg zum Haus des Dorfältesten machten.
In den letzten fünf Jahren war ich nur selten vom Berg Hua heruntergekommen, meistens, um in abgelegenen Gebirgen Kräuter zu sammeln. Das Leben eines einfachen Bürgers kam mir vor wie eine ferne Erinnerung, eingefroren seit meinem dreizehnten Lebensjahr, und es war wohltuend, eine Landschaft zu sehen, die mich an meine alte Heimat erinnerte. Bai Ye hatte recht – das war eine wunderbare Abwechslung.
Im Gegensatz zu meiner aufgehellen Stimmung empfing uns der Dorfälteste mit besorgter Miene. „Normalerweise würde ich euch alle mit einem Festmahl willkommen heißen, wie es hier unsere Tradition ist ...", begann er mit rauer Stimme, „aber nur wenige Jäger trauen sich heutzutage in den Wald, wo Dämonen lauern. Ich bitte vielmals um Verzeihung."
„Wir schätzen den Gedanken, Ältester", entgegnete Xie Lun mit einer Verbeugung. „Aber wir sind gekommen, um zu helfen, nicht um förmlich empfangen zu werden. Hat sich die Situation seit letzter Woche verschlimmert?"
Der Älteste seufzte tief und seine Stirn faltete sich noch weiter. „Die Bestien sind zurückgekehrt, sobald der unsterbliche Kultivator das letzte Mal fortging. Sie sind stärker, hungriger. Mehr von ihnen. Wir haben Glück, dass sie bisher im Wald geblieben sind, aber wenn ihr Hunger wächst …" Er schloss die Augen, als könnte er die schlimmsten Möglichkeiten nicht ertragen.
„Weiß jemand, was sie anlockt?", fragte Xie Lun. „Einen bestimmten Ort oder bestimmte Tiere?"
Der Älteste schüttelte den Kopf. „Unsere Jäger haben überall im Wald verstreut liegende tote Wölfe und Bären gefunden. Ausgewachsene Bären und Wölfe, größer als Menschen. Diese Dämonen sind grausam … und machen keinen Unterschied."
Ein Blickaustausch folgte untereinander. Ungezielte Angriffe dieser Art waren unüblich. „Wir sollten wohl den Wald untersuchen", schlug Qi Lian vor.
„Seid bitte vorsichtig", mahnte der Älteste. „Ich wünschte, ich könnte euch einen Führer mitgeben … aber niemand wagt sich mehr dorthin. Mein einziger Rat ist, dass ihr am Bach entlang auf der Westseite bleibt; bald solltet ihr sehen, was von dem kleinen Wolfsrudel von letzter Woche übrig ist."
„Ich danke euch für euren Rat, Ältester", sagte Xie Lun. „Seien Sie versichert, dass wir eine Lösung für diese Angelegenheit finden werden."
~ ~
Der Wald war weitläufig. Wir befolgten den Rat des Ältesten und folgten dem Bach, doch nach zwei Stunden gab es immer noch keine Spur von den Dämonen oder ihren Verwüstungen.
„Sollen wir aufteilen und in verschiedene Richtungen suchen?" fragte Zhou Ziyang, der endlich sein Schweigen brach. „Es sollte nicht so lange dauern, die toten Wölfe zu finden. Vielleicht hat sich der Älteste geirrt."
„Und ich spüre nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend", fügte Qi Lian hinzu. „Keine Schwankungen in der spirituellen Kraft, keine Störungen im Yin und Yang oder—"
Er verstummte bei einem Rascheln hinter uns. Wir drehten uns alle um, die Hände griffen nach unseren Schwertern.Ein Dorfbewohner trat aus dem Schatten einer großen Eiche hervor, die von wilden Ranken umwuchert war. Er hatte einen mächtigen Bogen und einen voll bestückten Köcher dabei und war in dunkles Braun gekleidet, sodass er fast mit dem Baum verschmolz. „Ganz ruhig, ganz ruhig...", sagte er, als er uns sah und erhob in einer geste der Unterwerfung beide Hände. „Ich bin nur ein Jäger, ihr Schwertträger."
„Kommt ihr aus dem Ost-Dorf?", fragte Xie Lun und hielt dabei die Hand am Griff seines Schwertes. Wir verstanden den Sinn seiner Frage: Das Dorf lag bereits zwei Stunden hinter uns, und der Älteste hatte uns berichtet, dass heutzutage nur noch wenige sich in den Wald wagten. So tief in den gefährlichen Wäldern auf einen Jäger zu treffen, schien ungewöhnlich.
„Ich lebe hier", erwiderte der Jäger. „Im Wald. Ich habe eine Hütte auf einer der Lichtungen gebaut, verkaufe aber meine Felle am Marktag im Ost-Dorf."
Der skeptische Blick von Xie Lun glitt über den Jäger. „Wenn ihr im Wald lebt... Seid ihr in den letzten Wochen auf etwas Beunruhigendes gestoßen?"
„Ihr meint die Dämonen, von denen die Dorfbewohner sprechen?", der Jäger schüttelte den Kopf. „In den letzten Wochen bin ich öfter als üblich auf tote Wölfe gestoßen, ja, aber so läuft es nun mal in der Wildnis. Ich glaube nicht an Dämonen. Wenn es solche Kreaturen hier gäbe, wäre ich längst nicht mehr am Leben."
Ich beobachtete den Jäger genau, während er sprach. Seine Worte klangen schlüssig und seine Geschichte passend zu den Gegebenheiten. Doch an ihm war etwas, das ich nicht in Worte fassen konnte.
„Ihr habt diese toten Wölfe gefunden?", hakte Xie Lun nach. „Wisst ihr noch, wo das war?"
„Die neuesten Funde sind nicht weit von hier", sagte der Jäger. „Wenn ihr wollt, kann ich euch dorthin führen."
Xie Lun zögerte. Seine Vorsicht war begründet – es war bekannt, dass bestimmte hochrangige Dämonen in menschliche Gestalten schlüpfen konnten, und wenn dies einer von ihnen war, der uns in sein Versteck locken wollte …
Ich musterte den Jäger erneut. Gelassen wartete er auf unsere Antwort, die Arme verschränkt, den Blick fest auf Xie Lun gerichtet. Und plötzlich wurde mir bewusst, was mich beunruhigte: Auch wenn ich keine Bosheit in ihm spürte, so passte seine Ausstrahlung doch nicht zu der eines Dorfbewohners. Er war zu beherrscht, zeigte keine Spur von Unbehagen, als er mit fünf schwerttragenden Fremden über Dämonen sprach. Die Art, wie er uns gegenübertrat, war zu lässig, ohne den üblichen Respekt und die leichte Angst, die das einfache Volk gegenüber Kultivierenden hegt.
Und seine Bewegungen waren zu gekonnt. Zu … anmutig.
Der Gedanke ließ mich plötzlich aufschrecken. Das konnte nicht sein …
Als hätte er meine Verdachtsmomente wahrgenommen, warf der Jäger einen schnellen Blick zu mir herüber. Als sich unsere Blicke trafen, sah ich in seinen dunklen Pupillen etwas, das mir nur allzu gut bekannt war.
Es war Bai Ye.