277 spürte das kalte Metall unter seinen zitternden Fingern, als er durch den zerstörten Türspalt kletterte. Jeder Schritt war eine Qual – das Fleisch an seiner Seite brannte, warmes Blut sickerte in den Stoff seiner zerrissenen Hose und klebte an seiner Haut. Aber das war jetzt egal. Er war draußen.
Der Korridor wirkte endlos, ein finsterer Tunnel voller Schatten, Risse im Beton, herunterhängende Kabel wie tote Schlangen an der Decke. Die Luft war abgestanden, träge, getränkt von einem fauligen Gestank, den er nicht genau zuordnen konnte. Verwesung. Blut. Etwas anderes, etwas Schlimmeres.
Der Boden war übersät mit Dingen, die er nicht genauer betrachten wollte – Fleischstücke, zersplitterte Knochen, ein einzelnes, verkrüppeltes Bein ohne Besitzer. Blut klebte in dicken Lachen an den Wänden. Es war nicht nur von Menschen. Hier hatte ein Kampf stattgefunden.
Er unterdrückte das Zittern in seinen Fingern.
Irgendwo in der Ferne schabte etwas über den Boden. Schwer, schleifend. Kein Muster, kein Rhythmus – wie ein Körper, der sich in unkontrollierten Stößen fortbewegte.
277 spürte seinen Herzschlag bis in den Schädel pochen. Instinktiv zog er sich in den Schatten einer umgestürzten Liege zurück, legte eine Hand auf den Mund, um seinen keuchenden Atem zu dämpfen.
Das Geräusch wurde lauter.
Ein Schatten glitt über die Decke.
Er wagte es nicht, sich zu bewegen.
Dann, mit einem dumpfen Schlag, fiel es vor ihm zu Boden.
Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als sich die Kreatur aus ihrer geduckten Haltung erhob. Sie war groß – größer als ein Mensch – aber schlaksig, fast ausgehungert. Die Rippen stachen aus dem blassgrauen Fleisch heraus, das so dünn war, dass er die zuckenden Muskeln darunter sehen konnte. Die Arme waren lang, knochig, mit viel zu vielen Gelenken, die sich falsch bogen. Die Finger endeten in splittrigen, schartigen Krallen.
Doch es war der Kopf, der ihn wirklich erstarren ließ.
Ein einziger Riss zog sich von der Stirn bis zum Unterkiefer, als wäre der Schädel mittig auseinandergebrochen. Doch anstatt Knochen und Blut kam aus der Spalte etwas hervor – eine Masse aus zuckendem, schwarzen Adern, die sich wie hungrige Ranken in die Luft ausstreckten. Eine Stimme formte sich darin, verzerrt, krächzend, unmenschlich:
„Lass… mich… rein…"
277 biss die Zähne zusammen.
Der Dämon in ihm lachte.
„Es ist allein", flüsterte es. „Genau wie du."
Das Ding rührte sich nicht. Es schien zu warten. 277 presste den Rücken gegen die kalte Wand und suchte hektisch nach einer Waffe. Irgendetwas. Seine Hände tasteten durch den Schmutz, spürten Metall – ein zerbrochenes Stuhlbein. Der Stuhl daneben war alt, zerborsten, eine Hälfte fehlte bereits. Wahrscheinlich war er in der Panik zu Bruch gegangen.
Langsam tastete 277 nach dem Stück Metall, versuchte keinen Laut zu machen.
Das Wesen bewegte sich plötzlich. Zuckend. Ruckartig. Wie eine Puppe an Fäden.
Es hob den Kopf – der Riss an seinem Gesicht klaffte weiter auseinander, und aus der Dunkelheit dahinter schien sich etwas zu bewegen. Eine kriechende, pulsierende Schwärze.
„Gib dich… mir…"
„Fick dich", flüsterte 277 und schoss vor.
Er rammte das Metallstück nach vorne, direkt in die geöffnete Spalte der Kreatur. Die schwarze Masse darin pulsierte kurz, ein schmatzendes, gequältes Geräusch ertönte – dann schrie das Wesen auf. Es war kein natürlicher Schrei. Mehrere Stimmen überlagerten sich, kreischten in Disharmonie.
277 wurde von einer kralligen Hand erwischt. Heiße Schmerzen rissen sich durch seine Brust.
Verdammt.
Er riss die Stange zur Seite, spürte, wie etwas zerriss – die Kreatur taumelte, schwarz tropfte aus der Spalte in ihrem Gesicht. Ihr Körper sackte langsam in sich zusammen, als wäre mit einem Mal die Energie entwichen.
Ein lauter Aufschlag – und dann war da nur noch die Dunkelheit.
277 zitterte, spürte die Wärme seines eigenen Blutes an den Fingern. Der stechende Schmerz pochte in seinem Brustkorb.
„Mehr…"
Die Stimme war wieder da. Er konnte spüren, wie der Dämon sich bewegte, sich wand.
„Das… ist die Kraft… Ich kann es fühlen…"
„Halt die Fresse", keuchte 277, während er nach vorne taumelte. Er war am Limit. Jede Bewegung fühlte sich an, als würde seine Haut zerreißen. Er konnte sich nicht erlauben, sich auf dieses Ding in ihm zu verlassen.
Er musste hier raus.
Sein Blick wanderte den dunklen Korridor entlang, vorbei an den zerstörten Türen, an den stillen, toten Räumen.
Er musste herausfinden, was hier geschehen war. Irgendwo gab es Antworten.
Dann hörte er wieder ein Geräusch.
Nicht von vorne. Sondern hinter ihm.
Ein Kratzen an der Decke. Langsam, bedrohlich.
Er wagte es nicht, sich umzudrehen.
Ein Tropfen.
Blut.
Sein eigener? Nein.
Er sah es aus dem Augenwinkel.
Etwas stand über ihm. Ein Schatten, groß und breit, mit einem verzerrten Gesicht, das nicht lächelte, sondern nur… wartete.
Eine knochige Hand griff nach seiner Schulter.