Mara legte das dicke Buch behutsam in ihren Rucksack und verschloss ihn, als würde sie die Geheimnisse dieses Ortes nicht zu leicht preisgeben wollen. Sie hatte genug über die grausamen Experimente des Doktors gelesen, doch sie wusste, dass sie mehr wissen musste, wenn sie einen Ausweg aus diesem Albtraum finden wollten.
„Lass uns weitergehen", sagte Aemon mit festem Blick, während er langsam in den Raum zurücktrat, die Augen auf die zerbrochenen Fenster gerichtet, durch die der Wind zog. „Wir müssen uns beeilen. Hier gibt es nichts mehr für uns."
Mara nickte und folgte ihm. Doch gerade als sie den Raum verlassen wollten, stieß Aemon auf etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Ein Schimmer von Metall zwischen den Trümmern. Er kniete sich hin und zog ein halbes, verrostetes Gewehr aus den Trümmern, das kaum mehr als ein Stummel von seiner ursprünglichen Form war. Die Waffe war fast vollständig zerfallen, aber sie war noch funktionstüchtig genug, um als Notwehr zu dienen.
„Das wird uns nützlich sein", murmelte Aemon, während er das Gewehr an sich nahm und vorsichtig die munitionierten Teile kontrollierte. „Es ist nicht viel, aber es ist besser als nichts."
Mara warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Bist du sicher, dass das noch funktioniert?"
„Ich werde es herausfinden", antwortete Aemon, das Gewehr in die Hand nehmend. „Es kann nicht schlimmer werden, als es schon ist."
Sie gingen weiter, ihren Weg durch den verfallenen Stützpunkt fortsetzend, vorbei an Bunkerräumen und alten Aufzeichnungen. Doch je länger sie gingen, desto mehr schien die Natur an den Rändern des Stützpunkts das Gebäude zu überwuchern. Und da war noch etwas anderes – eine Präsenz, die sie nicht genau benennen konnten, aber die sich mit jedem Schritt verstärkte.
Plötzlich blieb Aemon stehen. „Hörst du das?"
Mara spähte vorsichtig durch die verwilderte Vegetation und nickte. „Ja… Etwas bewegt sich dort."
Es war schwer zu sagen, was es war. Der Wind hatte die Geräusche verzerrt, aber sie konnten eindeutig Schritte hören. Leise, aber sicher.
Aemon griff nach dem Gewehr, überprüfte es ein letztes Mal und zog es vorsichtig in seine Richtung. Mara tat das gleiche mit ihrem Messer, das sie in der Nähe ihrer Hüfte trug.
Sie bewegten sich vorsichtig weiter, den Blick immer auf das unübersichtliche Gelände gerichtet. Doch dann stießen sie auf etwas, das sie für den Moment nicht erwartet hatten.
Etwas, das sich durch das hohe Gras schlich. Ein Tier, aber anders – verändert. Ein massiver, grauer Wolf, dessen Glieder zu lang und verdreht waren, als es für ein normales Tier möglich gewesen wäre. Die Augen glühten in einem unnatürlichen Gelb, und der Körper war mit einer seltsamen, zähen Haut bedeckt, die anstelle von Fell die düstere Farbe eines vergilbten Rindfleisches hatte.
Der Wolf hatte eine klaffende Wunde an der Seite, die mit einer dicken, schwarzen Substanz gefüllt war. Es war klar, dass er von einem der Monster angegriffen worden war. Die Verwandlung hatte seine Instinkte verdreht, ihn aber noch nicht vollkommen zerstört. Ein weiteres Überbleibsel der grausamen Experimente.
„Verdammt", murmelte Aemon, als er das Tier erblickte. „Das ist ein weiteres Opfer der Versuche. Und wenn er so ist, dann…"
„Besser vorsichtig sein", unterbrach Mara ihn, die Augen auf den Wolf gerichtet. „Wir wissen nicht, wie gefährlich er noch ist."
Der Wolf schien sie wahrzunehmen, aber statt sofort anzugreifen, wich er zurück. Zögerlich, fast verwirrt. Es war ein Tier, das noch einen Rest seiner alten Instinkte hatte, aber gleichzeitig vom Trauma der Veränderung gezeichnet war. Mara konnte sehen, dass die Wunde an der Seite noch frisch war, vielleicht von einem anderen Monster verursacht.
„Er ist verletzt", sagte Mara leise, „Vielleicht ist er nicht so gefährlich, wie er aussieht. Aber wir müssen auf der Hut bleiben."
„Wir sollten ihm nicht zu nahe kommen", antwortete Aemon und zog sie vorsichtig zurück. „Wir haben keine Ahnung, wie gefährlich diese Kreaturen wirklich sind, wenn sie verletzt sind."
Doch der Wolf bewegte sich weiterhin langsam und bedächtig, seine gelben Augen folgten ihnen, als wollten sie wissen, was sie vorhatten. Es war, als würde er sie beobachten, vielleicht sogar abwägen, ob er sie angriff oder nicht. Der wahre Horror lag nicht in seiner Erscheinung, sondern in der Ungewissheit, was mit ihm geschehen war – und was noch aus ihm werden könnte.
Aemon ging in die Knie und verkündete Mara sie soll sich hinter ihm stellen. Aemon lud die Waffe, drückte den Verschluss nach vorne und zog den Abzug.
Das Geschoss huschte aus dem Lauf und suchte sich seinen Weg in das Ziel. Sie durchbrach die mutierte Haut des Wolfes und Riss einen großen Loch in das Tier. Sie riss Blut und Knochensplitter mit aus dem Tier. Der Wolf häulte auf und viel zu Boden.
"Woher wusstest du dass sie funktioniert!?"
"Wusste ich nicht, aber wie du sieht hat sie, sagte Aemon mit einer Art zögernden ungewissen Stimme.
Sie traten langsam an das verendete Tier heran.
"Siehst du das?"
Eine lange schnittähnliche Wunde lag auf der linken Flanke des Wolfes.
Mara antwortete: "Ich glaube er wurde angegriffen, vielleicht ein Monster?"
"Was lässt dich daraus schließen?
"Seine wunde ist komplett Schwarz änlich wie das Gewebe der Monster."
"Du hast recht!", er erhob sich vom Boden, "Wir sollten weiter..."
Doch auch Aemon wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie den nächsten begegneten. Und dieses Mal würde es möglicherweise nicht so einfach sein.