Kapitel 15-Sahra M.

Sie ließen das Forschungslabor hinter sich und bewegten sich weiter durch den Stadtrand. Die Straßen waren leer, nur der Wind trieb Staub und trockene Blätter über den rissigen Asphalt.

Plötzlich blieb Aemon stehen.

„Siehst du das?"

Mara folgte seinem Blick. Eine Gestalt stand regungslos einige Meter vor ihnen, verborgen im Halbdunkel der verfallenen Gebäude.

„Ja… Sie bewegt sich nicht", murmelte Mara.

Mit vorsichtigen, aber entschlossenen Schritten näherten sie sich.

„Es ist ein Mensch! Eine Frau!", rief Mara überrascht. „Wir sind nicht allein!"

Hoffnung blitzte in ihrer Stimme auf, und sie beschleunigte ihre Schritte. Die Gestalt stand mit dem Rücken zu ihnen, ihr Körper wirkte dürr, die langen, strähnigen Haare hingen ungepflegt hinab.

„Hallo? Kannst du mich verstehen?" Maras Stimme hallte durch die Stille.

Dann geschah es.

Ohne Vorwarnung drehte sich der Kopf der Frau mit einem widerlichen Knirschen um 180 Grad. Ihre leeren Augen fixierten sie, und plötzlich begann sie, rückwärts auf sie zuzulaufen – ruckartig, in einer grotesken Bewegung, als hätte ihr Körper die Gesetze der Natur vergessen.

Maras Herz setzte aus. Sie machte einen panischen Satz nach hinten und stolperte über Aemons Fuß. Die Kreatur kam rasend schnell auf sie zu.

„Lauf! Lass sie zurück!", schrie Aemons innerer Dämon in ihm. Sein Körper fror ein, sein Überlebensinstinkt und der dunkle Einfluss in seinem Inneren kämpften gegen seinen Willen an.

Doch im letzten Moment riss er sich los.

Blitzschnell packte er Maras Hüfte, wirbelte herum und riss ihr Messer aus der Scheide. Mit einer fließenden Bewegung führte er die Klinge durch die Luft – ein einziger, präziser Schnitt.

Gerade als die Kreatur sie erreichte, fuhr das Messer durch ihren Hals. Die Klinge durchtrennte die pulsierende Ader mit chirurgischer Präzision.

Schwarze, dickflüssige Substanz spritzte hervor. Die Kreatur sank auf die Knie, ihre unnatürlich verdrehten Glieder zitterten, bevor sie endgültig in sich zusammenfiel.

Aemon atmete schwer.

„Bist du verletzt?!"

Mara rang nach Luft. „Nein… du hast mich gerettet…" Ihre Stimme zitterte, ihre Hände krampften sich um den Stoff ihrer Jacke. Sie war blass, ihre Augen weit aufgerissen vor Schock.

„Das war verdammt knapp…" Aemon wischte das schwarze Blut mit einer abgenutzten Bewegung an seiner Hose ab und reichte ihr das Messer zurück.

Sie zitterte, als sie es nahm.

Langsam näherte sich Aemon dem leblosen Körper der Kreatur. Mit der Spitze seines Laufes seiner Waffe stupste er vorsichtig gegen ihren entstellten Torso. Keine Reaktion.

„Sie ist tot", stellte er fest.

Mara holte das Buch aus ihrem Rucksack und blätterte hastig durch die Seiten. „Hier! Ich hab sie gefunden! Nummer 53 – Sahra M."

Aemon kniete sich neben sie, während sie den Eintrag las.

Das Bild zeigte eine emotionslose Frau mit langen Haaren, die in einer dunklen Zelle saß. Ihre Augen starrten nach unten, als würde sie den Boden studieren. Auf den ersten Blick wirkte sie menschlich – doch es war etwas Unheimliches in ihrem leeren Blick.

Mara las leise vor: „Äußerlich zeigt das Subjekt keine nennenswerten Veränderungen. Auffällige Verhaltensweisen: extreme Flexibilität, reagiert ausschließlich auf Geräusche und wird von diesen angelockt. Anhaltendes nervöses Verhalten. Kratzt sich selbst blutig. Isst eigenen Kot. Reißt sich Haare aus."

Aemon riss die Augen auf. „Wie abartig ist das denn bitte?!"

Mara überflog die restlichen Notizen. „Hier steht, dass sie ein absoluter Einzelgänger war. Sie reagierte auf keine Interaktion, zeigte keine emotionale Reaktion – nur auf Geräusche. Und ihre Mutationsstärke beträgt…" Sie runzelte die Stirn. „Nur zwei."

„Nur zwei?" Aemon verzog das Gesicht. „Das heißt, da draußen gibt es noch weitaus Schlimmere."

Mara nickte, seufzte und strich sich durchs Haar. „Zwei von zweihundert… Das wird noch ein langer Weg."

Mit einer schweren Bewegung schloss sie das Buch der Opfer und verstaute es wieder in ihrem Rucksack.

Es wurde dunkler. Und sie wussten beide, dass sie längst nicht in Sicherheit waren.