Kapitel 16 – Die Jäger

Die Dunkelheit legte sich wie ein schweres Tuch über die Ruinen der Stadt. Aemon und Mara bewegten sich geduckt zwischen den Trümmern, die Augen wachsam auf die Schatten gerichtet. Der tote Körper von Sahra M. lag noch hinter ihnen, doch keiner von ihnen sprach darüber. Sie wussten beide, dass es keine Zeit für Reue gab.

„Wir brauchen ein besseres Versteck für die Nacht", flüsterte Mara.

Aemon nickte, sein Blick wanderte über die kaputten Gebäude. „Etwas mit festen Wänden. Kein offenes Gelände."

Sie fanden Unterschlupf in einem halb eingestürzten Wohnkomplex. Die oberen Stockwerke waren eingestürzt, doch das Erdgeschoss hielt noch stand. Trümmer lagen überall, und es roch nach Moder und Verwesung. Aber es war sicherer als draußen.

Aemon kauerte sich an eine Wand, das rostige Gewehr auf den Knien. „Ich übernehme die erste Wache."

Mara zögerte, dann ließ sie sich erschöpft neben ihm nieder. „Weck mich in ein paar Stunden."

Doch Aemon wusste, dass sie vermutlich beide nicht wirklich schlafen würden.

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Das Heulen begann kurz nach Mitternacht.

Ein schauriger Laut, tief und durchdringend, rollte durch die Straßen wie eine drohende Warnung. Es war nicht das Heulen eines Tieres. Es klang… verändert. Verzerrt.

Aemon spannte sich an. Er kannte diesen Laut. Das war keine normale Kreatur.

Mara war sofort wach. „Scheiße… Was ist das?"

Aemon legte einen Finger an die Lippen, bedeutete ihr, still zu bleiben. Dann schob er sich vorsichtig an das zerbrochene Fenster.

Draußen, im fahlen Licht der zerschmetterten Straßenlaternen, bewegten sich Schatten. Vier Gestalten. Breit gebaut. Unnatürlich schnell. Ihre Bewegungen waren flüssig, aber ihre Körper wirkten falsch – als würden sie aus mehreren Schichten bestehen, als wäre Fleisch über Fleisch gewachsen.

Jäger.

Mara sog scharf die Luft ein. „Sie suchen etwas."

Aemon nickte. „Sie jagen."

Einer der Jäger hob den Kopf, schnupperte in der Luft. Dann drehte er ruckartig den Schädel – direkt in ihre Richtung.

„Verdammt!", zischte Aemon.

Der Jäger stieß ein kehliges Geräusch aus. Die anderen drei blieben stehen. Sekundenlang herrschte gespannte Stille.

Dann begann die Jagd.

„Lauf!"

Aemon packte Mara am Arm, riss sie auf die Beine. Sie schossen durch den dunklen Raum, sprangen über Trümmer, rutschten durch ein offenes Loch in der Wand. Hinter ihnen krachten schwere Schritte.

Mara stolperte fast, aber Aemon hielt sie aufrecht. „Schneller!"

Sie rissen eine alte Tür auf, hetzten in eine enge Gasse. Doch die Jäger waren schneller, sie hörten das Kratzen ihrer langen, klauenartigen Hände an den Wänden.

„Da!", rief Mara und zeigte auf eine rostige Feuerleiter.

Ohne nachzudenken sprang Aemon hoch, packte die Streben, zog sich hoch. Mara folgte, ihre Füße rutschten auf dem nassen Metall aus.

Der erste Jäger war unter ihnen.

Seine deformierten Hände griffen nach Maras Knöchel. Sie schrie auf.

Aemon reagierte instinktiv. Er ließ sich fallen – direkt auf den Jäger. Das rostige Gewehr krachte gegen dessen Schädel, doch es war nicht genug. Der Jäger stieß ein wütendes Kreischen aus, warf Aemon von sich.

„Los, weiter!", schrie er Mara zu.

Sie kletterte schneller. Aemon sprang zurück an die Leiter, zog sich nach oben.

Gerade rechtzeitig.

Der Jäger sprang – seine klauenartigen Hände verfehlten Aemons Fuß um Haaresbreite.

Sie erreichten das Dach. Aemon riss sich die Waffe von der Schulter, zielte auf den Jäger, der gerade erneut ansetzte zu springen.

Er atmete aus. Drückte den Abzug.

Der Schuss durchbrach die Stille.

Das Projektil traf den Jäger direkt in den Hals. Schwarzes Blut spritzte. Das Wesen röchelte, taumelte – und stürzte in die Tiefe.

Ein dumpfer Aufprall.

Stille.

Mara rang nach Luft. „Haben wir's geschafft?"

Aemon lauschte. Die anderen Jäger… waren weg.

Zumindest für jetzt.

„Wir müssen hier verschwinden", sagte er.

Mara nickte. „Aber wohin?"

Aemon blickte in die Ferne. Die Stadt lag in Dunkelheit, doch am Horizont sah er ein Licht.

Ein Hoffnungsschimmer. Oder eine neue Falle.

Doch sie hatten keine Wahl.

„Dorthin", sagte er und deutete auf das Licht. „Egal, was es ist – wir werden es herausfinden."

Fortsetzung folgt…