Kapitel 21 – Das Experiment

Der Keller war kalt, feucht und stank nach altem Blut. Das Licht der Taschenlampe warf tanzende Schatten an die Wände, während das Wesen – Nummer 107 – reglos in seinen Ketten hing.

Aemon stand mit gezogener Waffe da, sein Blick wachsam auf die Kreatur gerichtet. Sie atmete. Langsam. Stetig. Doch da war kein Bewusstsein hinter diesen Augen – nur Leere.

Mara saß am Boden, das Buch der Opfer offen vor sich. Ihre Finger glitten über die alten, vergilbten Seiten.

Nummer 107 – Die Regungslosen

Eine Gruppe von Versuchsobjekten mit extremer Lethargie. Kein aggressives Verhalten, es sei denn, sie werden durch spezifische Reize aktiviert.

Verhalten, Aussehen, Geisteszustand:

– Keine Reaktion auf direkte Bedrohung

– Zucken bei akustischen und elektrischen Reizen

– Bleiben in inaktiven Zuständen für unbestimmte Zeit

– Erhöhte Muskelspannung nach Aktivierung

Mutation noch nicht abgeschlossen.

Mutationsstärke: 2

Aemon musterte die Zeichnung. Sie zeigte genau das, was vor ihm saß – einen menschlichen Körper, der irgendwie falsch wirkte. Das Gesicht war eingefallen, die Adern dunkel unter der blassen Haut sichtbar.

Mara murmelte: „Wir haben jetzt einen lebenden Testgegenstand. Ich werde ihn untersuchen."

Reeve lachte trocken. „Das klingt, als wärst du eine verdammte Wissenschaftlerin in einem Labor."

Mara hob den Kopf, ihre Augen funkelten. „Ich bin Wissenschaftlerin. Biologie war mein Leben. Und wenn ich uns damit helfen kann, werde ich jedes Risiko eingehen."

Aemon legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Dann sag mir, was du brauchst."

Mara zog ein kaputtes Funkgerät aus ihrer Tasche. „Ich habe eine Vermutung. Sie reagieren auf Elektrizität, aber vielleicht auch auf Frequenzen. Ich werde testen, welche Töne sie beeinflussen."

Aemon kniff die Augen zusammen. „Und wenn er ausrastet?"

Mara holte tief Luft. „Dann müssen wir schneller sein als er."

Der erste Test begann.

Mara hockte sich vorsichtig vor Nummer 107, ihr Funkgerät in der Hand. Aemon stand mit gezückter Waffe neben ihr, während Reeve ein improvisiertes Seil um die Beine der Kreatur band.

„Okay", sagte sie leise. „Ich schalte die erste Frequenz ein."

Sie drehte am Regler.

Ein tiefes Brummen erfüllte den Raum.

Nummer 107 zuckte leicht.

„Es reagiert", flüsterte Mara und machte sich Notizen.

Aemon sah das Zittern in den Armen des Wesens. Es war kein bewusstes Zucken – mehr wie ein Reflex.

„Weiter", sagte Reeve.

Mara stellte die Frequenz höher.

Das Summen wurde intensiver. Nummer 107 begann, seine Hände zu bewegen.

„Seine Muskeln kontrahieren", murmelte Mara fasziniert. „Es ist, als würde es … wach werden."

Plötzlich – ein Ruck.

Das Wesen riss den Kopf hoch, seine Augen weiteten sich.

Aemon spannte sich an. „Mara –"

Doch sie war schneller. Sie drehte die Frequenz nach unten.

Nummer 107 sackte zusammen.

Stille.

Mara atmete schwer. „Das war's …"

Reeve sah sie ungläubig an. „Du hast es ruhiggestellt. Einfach so?"

Sie nickte. „Es gibt eine exakte Frequenz, die sie beeinflusst. Wenn wir das nutzen, können wir sie kontrollieren."

Aemon sah auf das Wesen. Es war nicht tot, nicht einmal bewusstlos – einfach nur eingefroren.

„Also können wir sie … steuern?", fragte er langsam.

Mara schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber ich kann sie in einem Standby-Modus halten."

Reeve pfiff leise. „Wenn das klappt, sind wir verdammt nochmal unaufhaltsam."

Doch dann – ein dumpfer Knall.

Aemon wirbelte herum.

Etwas war oben.

„Verdammt", zischte Reeve und hob seine Armbrust.

Mara klappte das Buch hastig zu. „Haben wir zu viel Lärm gemacht?"

Ein zweiter Schlag. Dann ein Kratzen an der Tür.

„Wir müssen hier raus", sagte Aemon.

Doch Nummer 107 begann zu zittern.

„Was zum …", murmelte Reeve.

Die Adern des Wesens pulsierten schwarz. Seine Finger zuckten.

Mara sah schockiert auf das Funkgerät. „Es … empfängt eine fremde Frequenz!"

Plötzlich – die Tür splitterte.

Aemon riss seine Waffe hoch.

Etwas wusste, dass sie hier waren.