Als der König seine Ankündigung beendete, brandete eine Welle des Applauses durch die große Halle. Die Erhabenheit des Moments schien jeden mit Aufregung zu erfüllen—jeden außer Aria.
Sie stand still in einer Ecke der Halle, ihre Hände fest vor sich gefaltet, um ihre zitternden Finger zu beruhigen. Das Gerede über Kalden Veyl, den geheimnisvollen Gast und die Rückkehr ihres ältesten Adoptivbruders hatte eine Unruhe in ihr entfacht, die sie nicht abschütteln konnte.
Sie drehte sich um und schlüpfte aus der Halle, bevor jemand ihr Verschwinden bemerkte. Ihre Schritte hallten leise durch den leeren Korridor, und je weiter sie ging, desto schwerer fühlte sich ihr Herz an.
All das Flüstern und die Gespräche, die in der Halle um sie herum wirbelten, das Lob für ihre Brüder, die Aufregung für die bevorstehenden Zeremonien, waren deutliche Erinnerungen an ihre eigene Unsichtbarkeit.
Niemand würde mich jemals so feiern, dachte sie bitter. Sie beschleunigte ihre Schritte und wünschte sich nichts sehnlicher, als sich in die stille Einsamkeit ihres Zimmers zurückzuziehen. Doch als sie um die Ecke bog, stieß sie fast mit einem der Dienstmädchen zusammen, die ein Tablett mit Wein trug.
"Oh, Entschuldigung", sagte Aria automatisch und trat zur Seite.
Das Dienstmädchen hingegen höhnte: "Sie sollten aufpassen, wo Sie hingehen, Dame Aria. Oder sollte ich sagen Magd Aria? Ihre Ungeschicklichkeit kennt wohl keine Grenzen, nicht wahr?"
Arias Kiefer spannte sich an. Sie wollte erwidern, aber Jahre der Erniedrigungen hatten sie gelehrt, ihre Kämpfe klug zu wählen. "Ich werde das nächste Mal vorsichtiger sein", sagte sie gleichmütig und ging an dem Dienstmädchen vorbei.
Die Stimme des Dienstmädchens folgte ihr den Flur hinunter. "Vorsichtig? Was für ein Witz. Wenn Sie nur mit einem Hauch von Anmut geboren worden wären, wären Sie vielleicht nicht so eine Schande für die königliche Familie."
Arias Schritte stockten, die Worte trafen einen wunden Punkt. Schande. Die Beleidigung hing in der Luft, schwerer als sie zugeben wollte. Ihr Hals schnürte sich zu, aber sie weigerte sich, das Dienstmädchen weinen zu sehen.
Sie zwang sich weiterzugehen, den Kopf hoch erhoben, aber als sie ihr Zimmer erreichte, war die Last des Tages unerträglich geworden. Sie schloss die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen und atmete zittrig aus. Warum ist es immer so? fragte sie sich. Egal wie sehr sie sich bemühte, sie würde immer der Prügelknabe der Familie sein.
Die stickige Atmosphäre ihres Zimmers verstärkte nur ihren Kummer. Verzweifelt nach Luft, nach irgendeiner Art von Trost, beschloss sie, in den Garten zu gehen. Die kühle Nachtbrise könnte ihr unruhiges Herz beruhigen. Sie schlüpfte aus ihrem Zimmer, ihre Schritte lautlos auf den Marmorböden, und machte sich auf den Weg zum Garten.
Der Mond hing hoch am Himmel, sein silbernes Licht ergoss sich über das Schlossgelände. Der Garten war ruhig, das sanfte Rascheln der Blätter und das leise Zirpen der Grillen bildeten eine friedliche Symphonie. Aria atmete tief ein, die frische Nachtluft beruhigte ihre strapazierten Nerven.
Sie ging auf die Steinbank in der Nähe des Brunnens zu, aber als sie sich näherte, erstarrte sie. Eine Gestalt stand dort, halb in den Schatten gehüllt.
Es war ein Mann.
Arias Herz sprang ihr in den Hals. Der Mann war groß, seine breiten Schultern in einen langen schwarzen Mantel gehüllt, der leicht im Wind wehte. Das schwache Mondlicht beleuchtete seine Züge, und Aria war für einen Moment atemlos. Sein gemeißelter Kiefer, die hohen Wangenknochen und die durchdringenden karmesinroten Augen ließen ihn fast gottgleich erscheinen.
Sein rotes, hüftlanges Haar flatterte im Wind, und sein Ausdruck war kalt, als wäre er aus Stein gemeißelt.
Wer war er? dachte sie, Panik stieg in ihrer Brust auf. Ein Dieb? Ein Attentäter?
Sie fasste sich ein Herz und trat vor. "Wer sind Sie?" forderte sie, ihre Stimme fester als sie sich fühlte. "Was machen Sie hier? Dies ist Privatbesitz!"
Der Mann drehte sich vollständig zu ihr um, seine karmesinroten Augen fixierten die ihren. Für einen Moment sagte er nichts, betrachtete sie nur mit einer ruhigen Gleichgültigkeit, die ihre Haut kribbeln ließ.
"Sind Sie taub?" schnappte sie und machte einen Schritt näher. "Ich habe gefragt, wer Sie sind!" Sie wusste nicht, woher dieser neu gefundene Mut kam, aber in diesem Moment war es ihr egal.
Ein schwaches Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln. "Und wer sind Sie, dass Sie mich in Frage stellen?" fragte er, seine Stimme tief und sanft, doch beängstigend distanziert.
Arias Temperament flammte auf. "Wer ich bin? Ich bin diejenige, die Sie dabei erwischt hat, wie Sie hier herumschleichen, wo Sie nicht hingehören! Beantworten Sie jetzt die Frage, bevor ich die Wachen rufe."
Der Mann lachte leise, der Klang sowohl amüsiert als auch herablassend. "Die Wachen rufen?" Er machte einen bedächtigen Schritt auf sie zu, die Bewegung unhastend, doch bestimmend. "Sind Sie sicher, dass das klug ist, kleine Dame?"
Sein Ton jagte ihr einen Schauer über den Rücken, aber sie zwang sich, standhaft zu bleiben. "Drohen Sie mir?" fragte sie, ihre Stimme leicht erhöht.
"Drohungen?" sagte er mit einem leichten Neigen des Kopfes. "Ich muss nicht zu solchen Mitteln greifen. Sie sollten gut überlegen, bevor Sie jemanden beschuldigen, den Sie sich nicht leisten können zu beleidigen."
Das Gewicht seiner Worte sank wie ein Stein in ihre Brust. Sie zögerte einen Moment, als ihr die Erkenntnis dämmerte, dass dieser Mann kein gewöhnlicher Eindringling sein könnte. Aber ihr kleiner Rest Stolz ließ sie nicht klein beigeben.
"Jemand, den ich mir nicht leisten kann zu beleidigen?" wiederholte sie spöttisch, auch wenn ihr Puls sich beschleunigte. "Dann sollten Sie vielleicht erklären, warum Sie hier eindringen, bevor ich das Schlimmste annehme."
Das Lächeln des Mannes wurde breiter, als er näher auf sie zuging, wodurch Aria kontinuierlich zurückwich, aber bevor er antworten konnte, stolperte Aria rückwärts, ihr Absatz verfing sich an der Kante des Brunnens. Sie stieß einen kleinen Schrei aus und machte sich auf den Fall gefasst, aber er kam nie.
Eine starke Hand packte ihr Handgelenk und zog sie mit überraschender Leichtigkeit aufrecht. Für einen kurzen Moment waren sie sich nahe—zu nahe. Sein kühler Atem streifte ihre Haut, und sie war sich seines durchdringenden Blicks schmerzlich bewusst, der schwache Duft von etwas Dunklem und Berauschendem umgab ihn.
"Sie sind dümmer als ich erwartet hatte", murmelte er mit samtener Stimme, sein Ton neutral, aber seine Worte bissig. "Sind alle königlichen Gören so unkoordiniert?"
Aria riss ihren Arm frei, ihre Wangen brannten vor Demütigung und Wut. "Sie—!"
"Vorsicht", sagte er geschmeidig und unterbrach sie. "Es wäre schade, wenn Sie wieder fallen würden."
Ihre Wut loderte auf, aber bevor sie erwidern konnte, trat er zurück und hob eine Hand. Ein schwacher Lichtschimmer umgab ihn, und ihre Augen weiteten sich, als seine Gestalt wie Nebel in der Luft zu zerfließen begann.
Und dann war er verschwunden.
Aria starrte auf den leeren Raum, wo er gestanden hatte, ihr Herz raste. Ihr Verstand kämpfte damit, zu verarbeiten, was gerade geschehen war. Er hatte Magie benutzt. Magie auf hohem Niveau. Er war verschwunden!!!
Ihre Knie fühlten sich schwach an, und sie sank auf die Steinbank, ihre Gedanken überschlugen sich. Wer war er? Und wie konnte jemand so Mächtiges hier sein, unbemerkt? Außerdem, was machte er überhaupt hier!?
Ihre Wangen erröteten, als ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf ging: Er ist... der schönste Mann, den ich je gesehen habe. Zehnmal eindrucksvoller als Eric, den sie einst für den Inbegriff der Schönheit gehalten hatte.
Sie schüttelte energisch den Kopf. "Was denke ich da überhaupt?" murmelte sie. "Von irgendeinem... Dieb—oder was auch immer er war—zu träumen. Lächerlich."
Mit einem tiefen Seufzer lehnte sie sich gegen die Bank zurück. Trotz des Chaos der Begegnung bemerkte sie, dass ihr Herz sich leichter anfühlte. Die Traurigkeit, die zuvor auf ihr gelastet hatte, war irgendwie verblasst, ersetzt durch ein seltsames Gefühl der Ruhe. Ohne dass sie es wusste
Der Garten schien jetzt ruhiger, die Nachtluft kühler. Aria sammelte sich, stand auf und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Zimmer.