Elara umklammerte den Mondanhänger in ihrer Hand, während die Warnung der Stimme noch in ihrem Kopf nachhallte.
Derjenige, der dich am meisten hasst, könnte derjenige sein, dem du vertrauen musst. Könnte das Kael sein?
Sie streifte die Kette über ihren Kopf und steckte sie unter ihr Hemd. Das kühle Metall erwärmte sich an ihrer Haut, während sie sich auf das Abendessen vorbereitete.
Der Speisesaal des Packhauses raubte ihr den Atem. Ein riesiger Tisch erstreckte sich unter einem Kristalllüster, mit mehr Gabeln und Löffeln an jedem Platz, als Elara je besessen hatte.
"Du bist pünktlich. Gut." Alpha Marcus saß am Kopfende des Tisches.
Luna Evelyn saß zu seiner Rechten, Kael zu seiner Linken. Ronan winkte Elara zu dem leeren Platz neben ihm, gegenüber von Darian.
"Unser Ehrengast," verkündete Ronan mit einem Augenzwinkern. Kaels Kiefer spannte sich an.
"Sie ist kein Gast. Sie ist eine Pflicht."
"Kael," warnte Luna Evelyn. Diener brachten dampfende Teller mit Essen herein.
Elara hatte noch nie so viel Essen an einem Ort gesehen.
"Also, Elara," begann Alpha Marcus, "Ruth erzählt mir, dass deine Verwandlung Fortschritte macht. Dein Wolf könnte bald erscheinen." Elara verschluckte sich fast an ihrem Wasser.
"Mein Wolf? Aber ich bin—ich war ein Omega. Wir verwandeln uns nicht."
"Du warst nie wirklich ein Omega," sagte Darian leise zu ihr.
"Was auch immer sie ist, sie ist kein Alpha-Material," sagte Kael und schnitt sein Fleisch mit scharfen, wütenden Bewegungen.
"Die Luna muss stark, gebildet und respektiert sein. Sie hat keine dieser Eigenschaften."
Elaras Wangen brannten. "Ich sitze direkt hier."
"Das ist mir bewusst," antwortete Kael kalt.
"Genug," befahl Alpha Marcus. "Elara bleibt. Die Prophezeiung muss verstanden werden."
"Was ist mit Tobias Grey?" fragte Luna Evelyn.
"Er scheint viel über diese Situation zu wissen."
"Er wird verhört," sagte Alpha Marcus.
"Der Abtrünnige wird schließlich reden." Elara dachte an den Anhänger, der unter ihrem Hemd versteckt war. Tobias hatte ihn irgendwie in ihr Zimmer gelegt, während er angeblich eingesperrt war.
"Warum hören wir nicht Elaras Gedanken?" schlug Ronan vor und drückte sanft ihre Hand unter dem Tisch.
"Dies betrifft sie am meisten von allen." Alle Augen richteten sich auf sie.
Elara schluckte schwer. "Ich will nur die Wahrheit," sagte sie. "Darüber, wer ich bin und warum das passiert."
"Die Wahrheit?" Kaels Lachen war scharf und humorlos. "Die Wahrheit ist, dass du unser Rudel ins Chaos gestürzt hast. Celeste wurde von Geburt an darauf trainiert, Luna zu sein. Das Rudel respektiert sie. Und jetzt sollen alle stattdessen ein... ein Niemand akzeptieren?"
"Kael!" keuchte Luna Evelyn.
Aber Kael war noch nicht fertig. Er stand auf und ragte über dem Tisch auf. "Ich werde niemals einen Omega als meinen Partner akzeptieren. Niemals. Das Rudel verdient Besseres. Ich verdiene Besseres."
Seine Worte schnitten tiefer als jedes Messer.
Elara schob ihren Stuhl zurück und stand auf, was selbst sie überraschte. "Ich habe nicht darum gebeten," sagte sie, ihre Stimme lauter als sie sich fühlte. "Ich habe nicht um diese Male gebeten, oder um diese Augen, oder um irgendetwas davon. Und ich habe sicherlich nicht darum gebeten, mit jemandem verbunden zu sein, der so gemein ist." Der Raum verstummte.
Selbst Alpha Marcus sah schockiert aus. "Wenn Sie mich entschuldigen," sagte Elara und warf ihre Serviette auf ihren Teller, "ich habe meinen Appetit verloren." Sie ging hinaus, den Kopf hoch erhoben, obwohl ihr Herz so stark pochte, dass sie dachte, es könnte ihre Rippen brechen.
Hinter ihr hörte sie, wie Ronan Kael anschrie und Stühle über den Boden kratzten. Sie schaffte es kaum in ihr Zimmer, bevor die Tränen kamen. Sie warf sich auf das Bett und verbarg ihr Gesicht in einem Kissen, das mehr kostete als alles, was sie besaß. Ein leises Klopfen kam an ihrer Tür.
"Geh weg," rief sie.
"Ich bin's, Darian." Sie zögerte, dann wischte sie sich die Augen ab.
"Komm rein."
Darian trat mit einem kleinen Teller Essen ein. "Ich dachte, du könntest später Hunger haben."
"Danke," sagte sie, überrascht von seiner Freundlichkeit. Er stellte den Teller ab und stand unbeholfen am Bett.
"Kael hat die Grenze überschritten."
"Er war ehrlich," antwortete Elara. "Zumindest weiß ich jetzt, woran ich bin."
"Weißt du das?" fragte Darian und neigte den Kopf. "Mein Bruder ist vieles, aber einfach ist er nicht."
"Er hasst mich."
"Er fürchtet dich," korrigierte Darian. "Das ist ein Unterschied."
Elara berührte den geheimen Anhänger. "Warum sollte er mich fürchten?"
"Weil du alles veränderst." Darian ging zum Fenster und blickte in die Nacht hinaus. "Kael hat sein ganzes Leben damit verbracht, Alpha zu werden. Jede Entscheidung, jedes Opfer war aus diesem Grund. Dann erscheinst du, und plötzlich ist die Zukunft, die er geplant hat, unsicher."
"Ich will ihm nichts wegnehmen."
"Manchmal sind die Dinge, die wir wollen, und die Dinge, die das Schicksal geplant hat, verschiedene Wege," sagte Darian geheimnisvoll.
"Ruh dich aus, Elara. Morgen wird nicht einfacher sein."
Nachdem er gegangen war, konnte Elara nicht schlafen. Ihr Kopf war voller Fragen. Sie lief in ihrem Zimmer auf und ab, bis sie sich wie ein Tier im Käfig fühlte.
Schließlich schlüpfte sie hinaus in den Flur. Das Packhaus war still und dunkel. Sie wanderte umher, prägte sich den Grundriss ein, bis sie sich in einer Bibliothek wiederfand. Mondlicht strömte durch hohe Fenster und beleuchtete Bücherregale. Elara fuhr mit den Fingern über die Buchrücken, erstaunt.
"Du solltest nicht hier sein." Sie drehte sich um.
Kael stand in der Tür, die Arme verschränkt. Er trug nur eine Jogginghose, sein breiter Brustkorb war im Mondlicht nackt.
"Ich konnte nicht schlafen," erklärte sie.
"Also hast du beschlossen zu schnüffeln?"
"Ich habe nach Büchern gesucht," sagte sie defensiv. "Lesen hilft mir beim Denken." Etwas in seinem Ausdruck veränderte sich.
"Du kannst lesen?" Die Frage stach.
"Ja, ich kann lesen. Nur weil ich ein Omega bin—war, heißt das nicht, dass ich dumm bin." Kael betrat den Raum.
"Die meisten Omegas in unserem Rudel haben es nie gelernt."
"Meine Mutter hat es mir beigebracht, bevor sie starb," sagte Elara. "Bücher waren das Einzige von Wert, das sie mir hinterlassen hat." Sie standen in unbehaglichem Schweigen. Kael wirkte hier anders—weniger hart, mehr beunruhigt.
"Ich hätte diese Dinge beim Abendessen nicht sagen sollen," sagte er schließlich.
"Aber du hast sie so gemeint," antwortete Elara.
Er bestritt es nicht. Stattdessen fragte er: "Was wolltest du lesen?"
"Etwas über Werwolfprophezeiungen, wenn ihr so etwas habt." Kael musterte sie, ging dann zu einem Regal und zog ein altes, in Leder gebundenes Buch heraus.
"Versuch es hiermit." Ihre Finger berührten sich, als er es ihr reichte. Ein elektrischer Funke schoss ihren Arm hinauf, und an seinem scharfen Einatmen erkannte sie, dass er es auch gespürt hatte.
"Die Partnerbindung," flüsterte sie.
"Es spielt keine Rolle," sagte er bestimmt und trat zurück. "Eine Partnerbindung kann abgelehnt werden."
"Ist das, was du willst?"
"Es ist das Beste für das Rudel."
Elara drückte das Buch an ihre Brust. "Und was ist mit dem, was das Beste für dich ist?"
Etwas blitzte in seinen Augen auf—Verletzlichkeit, schnell maskiert. "Das ist dasselbe."
"Ist es das?" forderte sie heraus. "Oder ist das, was dein Vater dich zu glauben gelehrt hat?" Kaels Gesicht verhärtete sich.
"Du weißt nichts über mich oder meinen Vater."
"Ich weiß, dass du Angst hast," sagte sie selbstbewusst. "Nicht vor mir, sondern vor dem, was ich repräsentiere. Veränderung."
"In einer Sache hast du Recht," sagte er und kam näher, bis sie den Kopf zurücklehnen musste, um seinen Blick zu erwidern. "Ich habe Angst. Angst vor dem, was passieren wird, wenn alle sehen, dass du nichts Besonderes bist. Nur ein Omega, der Verkleiden spielt."
Der Anhänger brannte gegen ihre Haut, und plötzlich flammte Elaras Wut auf. Ihre Sicht verbesserte sich, der Raum wurde kristallklar trotz der Dunkelheit. "Du irrst dich, Kael Blackwood," sagte sie, ihre Stimme seltsam kraftvoll. "Ich bin etwas Besonderes. Und tief im Inneren weißt du das."
Seine Augen weiteten sich, als ihre im Mondlicht silbern leuchteten. Bevor er antworten konnte, hallte ein markerschütternder Schrei durch das Packhaus.
"Elara!" Es war Ronans Stimme, voller Angst. "Elara, wo bist du?" Kael packte ihren Arm. "Bleib hier," befahl er, aber die Angst in seinen Augen galt nicht ihm selbst. Sie galt ihr. Die Bibliothekstür flog auf, und Ronan erschien, Blut floss aus einer Wunde an seiner Stirn.
"Sie ist hier," keuchte er. "Celeste. Mit Jägern. Sie kommen für Elara." Kaels Griff um ihren Arm verstärkte sich. Der Hass in seinen Augen war verschwunden, ersetzt durch etwas viel Gefährlicheres—Entschlossenheit.
"Lass sie es versuchen," knurrte er, und zum ersten Mal sah Elara einen Blitz des Alphas, zu dem er bestimmt war.