"Prophezeiung?" Alpha Marcus' Worte durchschnitten die Stille wie ein Messer.
"Welche Prophezeiung?" Tobias Grey lächelte trotz der Wachen, die seine Arme festhielten.
"Die, die dein Vater zu begraben versuchte. Die über eine silberäugige Gefährtin, die sich mit drei Brüdern verbinden und das Schicksal des Blackwood Rudels für immer verändern würde."
"Bringt ihn in die Zellen," wies Alpha Marcus an, sein Gesicht dunkel vor Wut.
"Wir werden uns später mit ihm befassen."
"Ihr könnt mich einsperren," rief Tobias, während die Wachen ihn wegzerrten, "aber ihr könnt nicht aufhalten, was bereits begonnen hat!"
Als die Tür sich schloss, richteten sich alle Augen auf Elara. Sie schrumpfte unter ihren Blicken zusammen und wünschte, sie könnte verschwinden.
"Ist es wahr?" fragte Luna Evelyn, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Bist du hier, um unser Rudel zu zerstören?"
"Nein!" rief Elara. "Ich weiß nichts von irgendeiner Vorhersage. Ich will niemandem wehtun!"
"Sie lügt," sagte Kael kalt.
"Das ist zu praktisch."
"Oder vielleicht weiß sie es wirklich nicht," bot Darian an. "Wenn ihre Natur vor ihr verborgen wurde, warum nicht auch ihr Zweck?"
Alpha Marcus durchschritt den Raum, sein mächtiger Körper vor Nachdenken angespannt. Schließlich hielt er an und drehte sich um, um ihnen allen ins Gesicht zu sehen.
"Was auch immer die Wahrheit sein mag, das Mädchen bleibt hier, wo wir sie beobachten können. Genau." Seine Augen verengten sich.
"Elara Mond, du wirst sofort ins Packhaus ziehen. Heute noch."
"Was?" riefen Kael und Elara gleichzeitig.
"Vater, das kann nicht dein Ernst sein," argumentierte Kael. "Sie hierher bringen, in unser Zuhause?"
"Ich habe gesprochen," sagte Alpha Marcus mit Bestimmtheit.
"Ronan, Darian—helft ihr, ihre Sachen aus ihrer Hütte zu holen. Kael, du wirst ein gutes Zimmer für sie im Ostflügel vorbereiten."
Kaels Kiefer spannte sich so fest an, dass Elara dachte, seine Zähne könnten brechen. Ohne ein weiteres Wort stürmte er aus dem Arbeitszimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
"Das ist nicht notwendig," versuchte Elara. "Ich kann in meiner eigenen Hütte bleiben."
"Das ist keine Bitte," antwortete Alpha Marcus. "Es ist ein Befehl. Ruth wird Zugang zu dir für ihre Tests benötigen, und ich will dich dort haben, wo ich dich sehen kann. Ob du die Rettung oder Zerstörung dieses Rudels bist, bleibt abzuwarten."
~
Eine Stunde später stand Elara in ihrer winzigen Zelle und warf Kleidung in eine abgenutzte Reisetasche. Ihre Hände zitterten vor einer Mischung aus Angst und Wut.
"Du brauchst nicht viel einzupacken," sagte Ronan, der sich an ihren Türrahmen lehnte. "Mutter wird ohnehin darauf bestehen, dir neue Sachen zu kaufen."
"Ich will keine neuen Sachen," fauchte Elara. "Ich habe um nichts davon gebeten." Ronans spielerisches Lächeln wurde sanfter.
"Ich weiß, kleine Luna. Keiner von uns hat das."
"Nenn mich nicht so. Ich bin keine Luna. Ich bin nur..." Sie verstummte, nicht einmal sicher, was sie noch war.
"Du bist unsere Gefährtin," sagte Ronan einfach. "Von uns allen dreien. Das macht dich zu etwas Besonderem, ob du—oder Kael—es mögen oder nicht."
Auf der anderen Seite des Raumes betrachtete Darian ein kleines Regal mit Büchern—Elaras wertvollster Besitz. "Du liest gerne," bemerkte er leise.
"Es war meine Flucht," offenbarte sie. "Wenn es zu viel wurde, ein Omega zu sein."
"Aber du bist kein Omega," sagte Darian zu ihr und drehte sich zu ihr um. "Du warst es nie."
"Was bin ich dann?" fragte Elara. "Das müssen wir herausfinden," antwortete er.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Mia steckte ihren Kopf herein, die Augen weit aufgerissen.
"Elara! Alle reden über—" Sie erstarrte, als sie die Drillinge sah.
"Oh. Ähm. Hallo."
"Mia, komm rein," sagte Elara, froh, ein freundliches Gesicht zu sehen. "Ich ziehe anscheinend ins Packhaus."
"Wirklich?" flüsterte Mia und beäugte die Brüder unruhig.
"Also ist es wahr? Du bist ihre—"
"Gefährtin," beendete Ronan mit einem Grinsen. "Ja, das ist sie."
"Aber nicht jeder ist begeistert davon," fügte Darian hinzu und warf seinem Bruder einen bedeutungsvollen Blick zu.
Mia half Elara, den Rest ihrer spärlichen Habseligkeiten zu packen, während Ronan und Darian draußen warteten. Als sie allein waren,
ergriff Mia Elaras Hände. "Geht es dir gut?" fragte sie ängstlich. "Das alles passiert so schnell."
"Ich weiß nicht," gestand Elara. "Gestern war ich niemand. Heute bin ich angeblich Teil einer Prophezeiung, die das Rudel zerstören könnte."
Mias Augen weiteten sich. "Das Rudel zerstören? Wovon redest du?"
Bevor Elara erklären konnte, unterbrach eine kalte Stimme von der Tür her. "Ja, WOVON redest du?" Celeste stand dort, ihr schönes Gesicht vor Verachtung verzerrt. Sie trat ein und sah sich in der kleinen Hütte mit Abscheu um.
"Also hier lebt die zukünftige 'Luna'," höhnte sie. "Erbärmlich."
"Verschwinde," sagte Elara, überrascht von der Kraft in ihrer Stimme. "Oder was?" spottete Celeste. "Wirst du deine mysteriösen Fähigkeiten gegen mich einsetzen? Wir wissen beide, dass du nichts als eine Betrügerin bist."
"Ich habe nie behauptet, irgendetwas zu sein," antwortete Elara.
"Und doch bist du hier und stiehlst, was rechtmäßig mir gehört." Celeste trat näher, ihre Stimme sank zu einem Zischen.
"Hör gut zu, Omega. Es ist mir egal, welche Zeichen auf wessen Handgelenken erschienen sind. Es ist mir egal, ob silberne Augen oder Prophezeiungen. Du wirst NIEMALS Luna sein. Ich wurde für diese Rolle geboren, und ich werde sie bekommen."
"Ist das eine Drohung?" fragte Mia und trat schützend nach vorne.
"Es ist ein Versprechen," antwortete Celeste, ihr Lächeln scharf wie Glas. "Genieße es, Prinzessin zu spielen, solange du kannst, Elara. Es wird nicht lange dauern." Sie drehte sich zum Gehen, fand aber Ronan, der ihr den Weg versperrte, seine goldenen Augen gefährlich hell.
"Unsere Gefährtin zu bedrohen ist nicht klug, Celeste," knurrte er.
"Eure Gefährtin?" lachte sie. "Bitte. Kael würde sich lieber seinen eigenen Arm abschneiden, als sie zu akzeptieren. Und ohne den Segen des zukünftigen Alphas ist sie nichts."
"Du hast meinen Vater gehört," sagte Ronan. "Die Mondgöttin hat entschieden."
"Das werden wir ja sehen." Celeste drängte sich an ihm vorbei. "Nicht einmal die Göttin bekommt alles, was sie will."
Nachdem sie gegangen war, legte sich eine unangenehme Stille über die Hütte.
"Nun," sagte Mia schließlich, "sie ist unangenehmer als sonst."
"Wir sollten gehen," sagte Darian von der Tür her. "Vater erwartet uns vor dem Abendessen zurück." Elara umarmte Mia fest.
"Ich werde einen Weg finden, dich zu besuchen," versprach sie.
"Das hoffe ich," erwiderte Mia und blinzelte Tränen zurück. "Und denk daran—egal was sie sagen, du verdienst es, dort zu sein, genauso wie jeder andere."
Die Fahrt zum Packhaus war angespannt. Elara saß zwischen Ronan und Darian auf der Rückbank eines eleganten schwarzen SUVs und klammerte sich an ihre Reisetasche wie an einen Schild.
Sie war noch nie in einem so schönen Fahrzeug gewesen. "Nervös?" fragte Darian leise.
"Zu Tode erschrocken," gab sie zu.
"Sei es nicht," sagte Ronan, seine warme Hand bedeckte ihre. "Wir werden nicht zulassen, dass dir etwas zustößt."
"Dein Bruder hasst mich," wies Elara hin.
"Kael hasst dich nicht," erwiderte Darian nachdenklich. "Er hasst, was du repräsentierst—Veränderung, Unsicherheit, eine Herausforderung für alles, was er geplant hat."
"Er wird sich daran gewöhnen," fügte Ronan hinzu, obwohl er nicht völlig überzeugt klang.
Als sie ankamen, wartete Luna Evelyn auf den Vorderstufen. Ihr Ausdruck war freundlich, aber zurückhaltend, als sie Elara willkommen hieß.
"Ich habe ein Zimmer für dich im Ostflügel vorbereitet," sagte sie. "Kael wird dir den Weg zeigen."
"Kael?" Elaras Herz sank.
Als wäre er durch seinen Namen beschworen worden, erschien Kael in der Türöffnung. Sein Gesicht war eine Maske kalter Gleichgültigkeit.
"Hier entlang," sagte er kurz angebunden. Elara folgte ihm durch die großen Flure und bemühte sich, mit seinen langen Schritten mitzuhalten. Keiner sprach, bis sie eine Tür am Ende eines Korridors erreichten.
"Das ist dein Zimmer," sagte Kael steif. "Abendessen ist um sieben. Sei nicht zu spät." Als er sich zum Gehen wandte, fand Elara ihre Stimme.
"Warum hasst du mich so sehr? Das ist nicht meine Schuld." Kael blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
"Ich hasse dich nicht," sagte er mit leiser Stimme. "Aber ich kann dich auch nicht akzeptieren. Nicht als meine Gefährtin. Nicht als Luna."
"Ich habe nie darum gebeten, deine Luna zu sein," erwiderte Elara. Jetzt drehte er sich doch um, seine silberblauen Augen bohrten sich in ihre.
"Was willst du dann?"
Die Frage überraschte sie. Was wollte sie? Vor all dem waren ihre Träume so klein gewesen—genug Geld für ein Community College sparen, vielleicht eines Tages das Rudel für ein besseres Leben verlassen.
"Ich will nur verstehen, wer ich wirklich bin," sagte sie schließlich. Etwas flackerte in Kaels Augen—ein Moment der Verbindung, schnell verborgen.
"Das wollen wir alle," sagte er leise. Dann bauten sich seine Mauern wieder auf. "Sieben Uhr. Sei nicht zu spät."
Nachdem er gegangen war, erkundete Elara ihr neues Zimmer. Es war größer als ihre gesamte Hütte, mit einem weichen Bett und einem privaten Badezimmer. Sie fühlte sich wie eine Betrügerin in diesem Luxus. Als sie ihre wenigen Habseligkeiten auspackte, bemerkte sie eine kleine Holzbox auf dem Nachttisch, die vorher nicht da gewesen war.
Neugierig öffnete sie sie. Darin lag ein silberner Anhänger in Form eines Halbmonds mit drei Sternen. Eine Notiz darunter lautete:
"Um dir zu helfen, deinen Weg zu finden. —T.G." Tobias Grey.
Der mysteriöse Abtrünnige, der behauptete, ihre wahre Natur zu kennen. Elara nahm den Anhänger. In dem Moment, als er ihre Haut berührte, leuchteten die silbernen Augen in ihrem Spiegelbild heller, und eine Stimme flüsterte in ihrem Geist: Erinnere dich, wer du bist, Tochter des Mondes. Deine Feinde sind näher, als du denkst, und derjenige, der dich am meisten hasst, könnte derjenige sein, dem du vertrauen musst.