Neue Anweisungen

'Wie hat sie mir überhaupt die Notiz zugesteckt? Ich bin sicher, sie hat mich nicht einmal berührt—' dachte Leo, während seine Augen sich vor Überraschung weiteten.

Die Erkenntnis beunruhigte ihn. Er war hyperwachsam gewesen, darauf trainiert, selbst die kleinsten Details zu bemerken, und dennoch war die Notiz unbemerkt in seiner Hand aufgetaucht.

In Gedanken ging er den Austausch noch einmal durch—

Der scharfe Blick der Ausbilderin, der nur einen Bruchteil einer Sekunde länger als nötig auf ihm verweilte, die bewusste Art, wie sie vorbeigegangen war, ohne ihren Schritt zu unterbrechen...

Aber egal wie sehr er sich bemühte, sich zu erinnern, er konnte keine offensichtliche Bewegung, keine subtile Verschiebung oder Fingerfertigkeit erkennen, die es erklären könnte.

Dennoch hatte sie ihm irgendwie die Notiz untergeschoben, ohne dass er es bemerkt hatte.

'Sie ist geschickt,' gestand Leo sich ein und unterdrückte ein Stirnrunzeln. Wenn sie ihm so leicht etwas in die Hand schmuggeln konnte, hätte sie ihm genauso mühelos einen Dolch zwischen die Rippen stoßen können.

Ein Schauer lief durch ihn hindurch. 'Ich bin zu schwach.'

Der Gedanke lastete schwer auf seiner Brust. Trotz all seiner Instinkte und Reflexe war er vollkommen ausmanövriert worden.

'Wer war sie?' Er versuchte, sich an ihren Namen zu erinnern, aber ohne Erfolg.

Sie hatte sich nie vorgestellt, noch hatte er einen Blick auf ihr Namensschild erhaschen können.

Dennoch war ihr Erscheinungsbild mit perfekter Klarheit in sein Gedächtnis eingeprägt.

Sie war groß für eine Frau, mindestens 1,78 m, mit einer athletischen Figur, die durch jahrelanges Kampftraining geformt worden war. Ihr pechschwarzes Haar war knapp über den Schultern geschnitten und ordentlich hinter die Ohren gesteckt.

Hohe Wangenknochen und ein markantes Kinn verliehen ihr einen auffälligen, fast strengen Look, während ihre leicht olivfarbene Haut glatt und makellos war – ungewöhnlich angesichts der brutalen Natur des militärischen Lebens.

Es gab nichts übermäßig Auffälliges an ihr – keine sichtbaren Narben, keine Merkmale, die sofort hervorstachen. Und doch machte etwas an ihrer Präsenz sie unmöglich zu ignorieren.

Leo atmete scharf aus und schob die Gedanken beiseite.

'Wenn sie hier Ausbilderin ist, werde ich sie bald genug wiedersehen.'

Vorerst war es am besten, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag.

Ein schneller Blick zeigte, dass die anderen Rekruten bereits damit beschäftigt waren, ihre Zimmer zu finden, zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um zu bemerken, dass er zögerte.

Als ihm bewusst wurde, dass er zu lange stillgestanden hatte, wandte sich Leo der Anzeigetafel zu, die die Wohnheimzuweisungen anzeigte, und überflog die Liste schnell.

Leo Skyshard – Raum 316.

Nachdem er sich die Nummer eingeprägt hatte, drehte er sich um und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer.

Seine Finger schlossen sich leicht um die Notiz in seiner Hand.

Sobald er allein war, plante er, sie endlich zu lesen.

*************

(Wohnheim 316)

Die Unterkünfte für Erstsemester in der Rodova Militärakademie waren schlicht, aber elegant.

Es gab keinen übermäßigen Luxus, keine unnötigen Verzierungen – nur einen effizienten, gut gestalteten Raum, der dazu gedacht war, Studenten ohne Ablenkungen unterzubringen.

Als Leo eintrat, schloss sich die Tür hinter ihm mit einem leisen Klicken. Der Raum war geräumig genug für einen einzelnen Bewohner, weder zu groß noch zu beengt. Die Wände waren in einem gedämpften Grau gehalten, der Boden glatt und gut poliert, was das minimalistische, militärische Design der Akademie widerspiegelte.

An der gegenüberliegenden Wand stand ein stabiles Bett, ordentlich gemacht mit knackigen schwarzen Laken und einer festen Matratze. Daneben befand sich ein kleiner, aber funktionaler Schreibtisch, dessen Oberfläche bis auf ein eingebautes Terminal – wahrscheinlich für den Zugriff auf Akademieressourcen und Kursmaterial gedacht – leer war.

Links stand ein hoher Kleiderschrank, dessen Türen leicht geöffnet waren und Platz für die von der Akademie ausgegebenen Uniformen und persönliche Gegenstände boten. Ein separates Fach schien für die Aufbewahrung von Waffen vorgesehen zu sein, was die Realität unterstrich, dass dies kein typisches Schulwohnheim war.

Im hinteren Teil des Raumes war ein privates Badezimmer geschickt in das Layout integriert. Ein kurzer Blick hinein zeigte eine schicke Dusche, ein einfaches Waschbecken und einen darüber montierten Spiegel – effizient und auf den Punkt gebracht, genau wie alles andere in der Akademie.

Leo stellte seine Sachen auf dem Schreibtisch ab und atmete langsam aus. Die Anspannung von den Prüfungen des Tages steckte noch immer in seinen Muskeln, aber jetzt war er zum ersten Mal wirklich allein.

Sein Blick wanderte zu der Notiz, die er noch immer in seiner Hand hielt, und ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, zog er das kleine Stück Papier heraus, faltete es auseinander und begann zu lesen.

"Zunächst einmal, herzlichen Glückwunsch zum Eintritt in die Rodova Militärakademie. Ich bin sicher, dass der Aufnahmetest keine leichte Aufgabe war, besonders wenn man bedenkt, dass du die meisten deiner Fähigkeiten vergessen hast."

Leos Stirnrunzeln vertiefte sich.

Er hielt nichts von Schmeicheleien. Wer auch immer diesen Brief geschrieben hatte, wusste genau, was mit ihm passiert war – wusste, dass sein Gedächtnisverlust nicht natürlich, sondern absichtlich war. Und doch sprachen sie darüber, als wäre es eine kleine Unannehmlichkeit.

Die Worte fühlten sich hohl an. Kalkuliert.

"Dennoch hatte ich Vertrauen, dass du es schaffen würdest, denn du bist, was man als ein 'Generationstalent' bezeichnen könnte."

Leo atmete scharf durch die Nase aus. Er hasste diese Art von Lob, die sich mehr wie Manipulation als wie Bewunderung anfühlte.

Generationstalent? Das bedeutete ihm nichts. Wenn er wirklich so ein Wunderkind war, warum hatte er sich dann beim Aufnahmetest so verloren gefühlt? Warum ließ ihn jeder Kampf an seinen eigenen Instinkten zweifeln?

Der Brief ging weiter, und während seine Augen über die Seite wanderten, wuchs sein Unbehagen nur noch mehr.

"Morgen wirst du einem Eignungstest unterzogen, bei dem dein Hintergrund bewertet wird. Dann wirst du den Verlust deines Gedächtnisses zu schätzen wissen."

Leos Griff um das Papier verstärkte sich leicht.

Also war seine Vergangenheit etwas Gefährliches? Etwas, das keiner genauen Prüfung standhalten würde?

"Präge dir das Symbol ein, das ich am Ende dieser Notiz gezeichnet habe, und zeige es dem Ausbilder zum richtigen Zeitpunkt. Stelle keine Fragen. Tu es einfach."

Sein Blick wanderte zum unteren Ende der Seite.

Dort war ein Symbol eingeritzt – komplex, aber unbekannt. Es ähnelte einem verflochtenen Satz geometrischer Linien, die ein wappenähnliches Emblem bildeten.

Leo hatte kein gutes Gefühl dabei.

Jeder Instinkt sagte ihm, dass wer auch immer dies geschrieben hatte, mit ihm spielte, ihm gerade genug Informationen gab, um ihn an der Leine zu halten.

"Ich weiß, dass du begierig darauf bist, deine Erinnerungen zurückzugewinnen, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für dich, sich an sie zu erinnern.

Deine Erinnerungen werden dir zurückgegeben, wenn die Zeit reif ist. Vorerst sollte dein Fokus darauf liegen, in der Akademie gute Leistungen zu erbringen."

Leos Kiefer spannte sich an, während langsam Wut in ihm aufstieg.

Seine Finger krümmten sich, die Ränder der Notiz knitterten unter seinem Griff.

Jemand kontrollierte ihn. Entschied, was er wissen konnte und was nicht, hielt ihm seine eigene Vergangenheit wie einen Köder vor die Nase.

Er hasste es.

Und doch...

Er wusste, dass er vorerst keine andere Wahl hatte, als den Launen des Manipulators zu folgen.