Ein Druck erfasste Kaelens Brust, als er wütend von Ronans Zimmer wegstürmte. Dieser Blick in ihren Augen – pure Verletzung und Verrat – sollte ihn nicht stören. Sie war nur eine Omega, die Tochter eines Diebes. Selbst eine Diebin.
Doch etwas nagte an ihm.
"Durchsucht ihr Zimmer noch einmal", bellte er einem vorbeigehenden Wächter zu. "Jeden Zentimeter davon. Findet meine Kette."
Der Wächter nickte und eilte davon, während Kaelen sich in seine Gemächer zurückzog. Er schlug die Tür hinter sich zu und lief wie ein gefangenes Tier auf und ab. Warum blitzte Seraphinas tränenüberströmtes Gesicht immer wieder in seinem Kopf auf? Die Art, wie sie ihn angesehen hatte, als wäre er ein Monster...
"Verdammt!" Er griff nach der Whiskeyflasche auf seinem Schreibtisch und goss sich großzügig ein. Der Alkohol brannte in seiner Kehle, tat aber nichts, um das unangenehme Gefühl in seinem Bauch zu lindern.
Ein Klopfen ertönte an seiner Tür.
"Was?" knurrte er.
Lilith schlüpfte herein, ihr rotes Kleid umschmeichelte perfekt jede Kurve. Sie schloss die Tür hinter sich ab und schlenderte mit einem raubtierhaften Lächeln auf ihn zu.
"Alpha", schnurrte sie und ließ ihre Finger seine Brust hinaufgleiten. "Du scheinst angespannt zu sein."
Kaelen nahm noch einen Schluck. "Was willst du, Lilith?"
"Ich sehe nur nach dir." Sie nahm ihm das Glas aus der Hand und nahm einen Schluck. "Hast du deine Kette gefunden?"
"Noch nicht." Er wandte sich ab und starrte aus dem Fenster. Der Gedanke an Seraphina, wie sie auf diesem heißen Dach kniete, machte seinen Wolf unruhig.
"War sie teuer?" fragte Lilith und drückte sich gegen seinen Rücken.
"Sehr." Er drehte sich wieder zu ihr um. "Sie war eigentlich für dich gedacht. Ein Jubiläumsgeschenk."
Ihre Augen leuchteten auf. "Für mich? Oh, Kaelen." Sie streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu streicheln. "Es tut mir leid, dass diese kleine Diebin deine Überraschung ruiniert hat. Aber ich bin sicher, ich kann dich aufheitern."
Ihre Lippen fanden seinen Hals, ihre Hände glitten zu seinem Gürtel hinunter. An jedem anderen Tag wäre dies genau das gewesen, was er wollte. Lilith wusste, wie sie ihm gefallen konnte, tat es schon seit Jahren. Aber heute...
"Ich glaube nicht—" begann er.
"Denk nicht", unterbrach sie ihn und öffnete seinen Gürtel. "Fühl einfach. Lass mich dir helfen, all diese... Frustration abzubauen."
Sein Körper reagierte, auch wenn seine Gedanken wanderten. Vielleicht war das, was er brauchte – eine Ablenkung von diesen anklagenden blauen Augen, die sich irgendwie unter seine Haut gebohrt hatten.
Er packte Lilith grob, drehte sie herum und drückte sie gegen die Wand. Sie stöhnte anerkennend, als seine Hände ihren Weg unter ihr Kleid fanden.
"Ja, Alpha", hauchte sie. "Nimm dir, was dir gehört."
Die Worte trafen falsch. Dir gehört. Gehörte ihm überhaupt noch irgendetwas? Selbst seine Gedanken schienen einer gewissen blonden Omega zu gehören.
Wut wallte in ihm auf – auf sich selbst, auf Seraphina, auf dieses ganze Durcheinander. Er kanalisierte sie in Leidenschaft, riss Liliths Kleid an der Schulter, entblößte mehr Haut für seinen Mund.
Aber als er in ihren Hals biss, verriet ihn sein Verstand erneut. Statt Liliths Blumenparfüm nahm er einen Phantomduft von Vanille und Honig wahr – Seraphinas Duft. Als er die Augen schloss, sah er blondes Haar statt dunklem, blaue Augen statt brauner.
"Härter", verlangte Lilith und missverstand sein Zögern als Necken.
Kaelen gehorchte, rauer als nötig, verzweifelt bemüht, Seraphina aus seinen Gedanken zu vertreiben. Er hob Lilith auf seinen Schreibtisch, Papiere fielen zu Boden.
Die Tür schwang ohne Vorwarnung auf. Ronan und Orion standen da und nahmen die Szene vor ihnen auf.
"Ohne uns angefangen?" grinste Orion und schloss die Tür hinter ihnen.
Frauen zu teilen hatte Kaelen nie gestört – es war praktisch Tradition unter ihnen. Aber heute, mit Seraphina, die jeden seiner Gedanken heimsuchte, verspürte er ein seltsames Widerstreben.
Lilith hatte keine solchen Vorbehalte. "Es ist genug für alle da", lud sie ein und streckte ihre Arme zu den anderen Brüdern aus.
Ronan näherte sich zuerst, fing ihren Mund in einem hungrigen Kuss ein, während Orion daran arbeitete, den Rest ihres Kleides zu entfernen. Bald umgaben alle drei Wölfe sie, ihre Wettbewerbsnatur trat hervor, als jeder versuchte, die lautesten Reaktionen von ihr zu entlocken.
Kaelen beobachtete, wie seine Brüder sich mit Lilith abwechselten, ihre Lustschreie erfüllten den Raum. Er beteiligte sich mechanisch, sein Körper reagierte, während seine Gedanken anderswo wanderten. Zu einem Dach. Zu einem Paar meerblauer Augen voller Schmerz. Sein Schmerz. Seine Schuld.
Egal wie hart er stieß, wie tief er sich in Liliths willigen Körper vergrub, er konnte dem Bild von Seraphina nicht entkommen, wie sie auf diesem heißen Beton zusammenbrach. Der Geruch von Pfeffer und Tränen. Die Enttäuschung in ihren Augen, die ihn einst mit solcher Unschuld angesehen hatten.
Wie waren sie hier gelandet? Wann war er zu diesem Mann geworden?
Er erinnerte sich an eine junge Seraphina, ganz dünne Gliedmaßen und widerspenstiges schwarzes Haar, wie sie ihm auf dem Rudelgelände folgte. Die Art, wie sie gelacht hatte, als er ihr beibrachte, Steine über den See hüpfen zu lassen. Die Geburtstagskarte, die sie ihm gemacht hatte, als sie vierzehn wurden, bedeckt mit Glitzer, der überall hinkam.
Dann der Brief. Der Verrat. Der Schmerz, der sein Herz gegen sie verhärtet hatte.
"Kaelen?" Liliths Stimme durchbrach seine Gedanken. "Wo bist du hin?"
Er bemerkte, dass er aufgehört hatte, sich zu bewegen, sein Körper noch immer mit ihrem verbunden, aber sein Geist tausend Meilen entfernt.
"Nirgendwo", murmelte er und zog sich zurück. "Ich brauche eine Dusche."
Ronan hob eine Augenbraue. "Alles in Ordnung, Bruder?"
"Ja." Kaelen griff nach einem Handtuch und wickelte es um seine Hüften. "Ihr zwei könnt weitermachen."
Er zog sich in sein Badezimmer zurück und stellte die Dusche auf die kälteste Einstellung. Das eisige Wasser schockierte sein System, tat aber nichts, um seinen Kopf zu klären.
Seraphinas Gesicht verfolgte ihn weiterhin. Der verletzte Blick in ihren Augen. Das stolze Kinn, selbst als sie sie beschuldigten. Sie war schon immer stur gewesen, selbst als Kind. Es war eine der Eigenschaften, die er—
Nein. Er würde nicht dorthin gehen. Sie war eine Lügnerin. Eine Diebin. Genau wie ihr Vater.
Aber was, wenn sie es nicht war?
Er schlug gegen die Duschwand und riss die Fliese ein. Sein Wolf heulte vor Verwirrung, vor Frustration. In etwas, das gefährlich nach Schuld aussah.
Nach seiner Dusche zog er sich schnell an und ignorierte die Lustgeräusche, die noch immer aus seinem Schlafzimmer kamen. Er musste laufen, seinen Kopf in Wolfsform klären. Vielleicht konnte er dann dieses beunruhigende Gefühl abschütteln.
Er war auf halbem Weg zum Wald, als ein Diener auf ihn zugerannt kam, das Gesicht blass vor Panik.
"Alpha Kaelen!" keuchte der Mann. "Komm schnell!"
Kaelens Herzschlag schnellte in die Höhe. "Was ist los?"
"Es ist das Omega Mädchen, Alpha. Seraphina."
Eis durchflutete Kaelens Adern. "Was ist mit ihr?"
Der Diener rang die Hände. "Sie ist auf dem Dach. Sie ist in der Hitze ohnmächtig geworden. Sie atmet nicht richtig."
Die Welt neigte sich unter Kaelens Füßen. Nicht atmen? Sein Wolf drängte nach vorne, fast durch seine Haut brechend.
"Wir haben versucht, sie aufzuwecken, aber sie reagiert nicht", fuhr der Diener fort, Terror offensichtlich in seiner Stimme.
Kaelen rannte bereits, sein Herz schlug einen gewaltsamen Rhythmus gegen seine Rippen. Das sollte nicht passieren. Die Strafe war streng, ja, aber nicht tödlich. Nicht für einen Werwolf.
Es sei denn, sie war zu lange dort oben gewesen. Es sei denn, die Hitze war zu viel gewesen. Es sei denn, sie hatten einen schrecklichen, unumkehrbaren Fehler gemacht.
"SERAPHINA!" brüllte er und raste zur Dachtreppe, während primitive Angst an seiner Brust nagte.
Was hatte er getan?