Sam ist tot!
Die Worte trafen Max wie ein Schlag in die Magengrube, ein seltsames und schweres Gefühl verankerte sich tief in seinem Bauch. Er hatte schon früher Menschen verloren, Menschen, die ihm nahestanden, Menschen, die für die Weißer Tiger Gang wichtig waren. Er hatte gedacht, er wäre gegen diese Art von Schmerz inzwischen abgestumpft.
Aber das zu hören, zu hören, dass Sam, jemand, der jünger war als Max, als er sein eigenes Leben verloren hatte, nicht mehr da war, tat etwas mit ihm. Etwas, das er nicht erwartet hatte.
Erinnerungen strömten ungebeten ein. Dieses hoffnungsvolle Lächeln auf Sams Gesicht, als sie zusammen vor dem Schultor standen. Die Art, wie Sam ihm gesagt hatte, er würde ein paar Schläge einstecken, um sich eines Tages zu revanchieren. Es war aufrichtig gewesen. Ehrlich.
Max ballte die Fäuste, als das Bild von Sams Lächeln wieder in seinem Kopf aufblitzte.
Hätte ich das verhindern können? dachte er, während Wut tief in seiner Brust brannte. War ich so darauf fixiert, die Wahrheit über Max Sterns Leben herauszufinden, dass ich nicht bemerkt habe, was direkt vor meinen Augen passierte?
Sein Blick wanderte zu den drei Personen, von denen er wusste, dass sie verantwortlich waren. Zum ersten Mal lachten sie nicht. Sie grinsten nicht und machten keine Witze. Sie waren steif, still, vielleicht sogar geschockt.
Und Max konnte sich nur fragen... war das Schuld? Oder Angst?
Lag es an ihnen? Max' Gedanken drehten sich im Kreis. Aber sowohl Sam als auch der echte Max Stern waren jahrelang gemobbt worden. Es konnte nicht nur das sein... Oder doch? Hatte ihn etwas über die Kante gestoßen? Oder... war es etwas Dunkleres, etwas wie das, was dem echten Max Stern passiert war?
Er holte tief Luft, aber es fühlte sich an, als würde sein Gehirn außer Kontrolle geraten. Er begann, alles zu überdenken, jagte Antworten im Kreis. Und am schlimmsten war, dass er nicht einmal wusste, wie Sam gestorben war.
"Der Vorfall ist schwierig für die Schule," sagte der Lehrer mit angespanntem und ernstem Ton. "Aufgrund der besonderen Umstände wird jeder einzelne von euch von der Polizei befragt werden. Ich erwarte volle Kooperation. Erzählt ihnen alles, was ihr wisst."
Die Polizei? Max' Herz setzte aus. Das ist also kein tragischer Unfall... das ist etwas anderes.
In diesem Moment betraten eine Frau und ein Mann in Uniform das Klassenzimmer. Ihre Anwesenheit veränderte sofort die Atmosphäre. Eine schwere Stille legte sich über den Raum, als sie den Prozess erklärten. Ein separates Klassenzimmer wurde für die Befragungen vorbereitet, und die Schüler würden nacheinander aufgerufen werden, um ihre Aussagen zu machen.
Die Eltern waren bereits kontaktiert worden. Das Verfahren war offiziell, und es gab kein Entkommen.
"Für den Rest des Tages fallen alle Unterrichtsstunden aus," verkündete der Lehrer. "Ein Zeitplan wird hier ausgehängt, wann euer Gespräch mit den Beamten ansteht. Stellt sicher, dass ihr zu diesem Zeitpunkt wieder in diesem Raum seid, und niemand darf das Schulgelände verlassen. Verstanden?"
Der erste Name wurde für ein Interview aufgerufen. Wie erwartet standen Max' Name und die Namen des Trios nicht annähernd am Anfang der Liste. Es sah so aus, als würden sie erst gegen Ende des Tages aufgerufen werden.
In dem Moment, als die Polizeibeamten den Raum verließen, brach eine Welle von Geflüster wie eine steigende Flut aus. Schüler lehnten sich über Tische, Köpfe gesenkt, ihre Stimmen kaum mehr als ein Murmeln. Spekulationen verbreiteten sich schnell.
Die meisten fragten sich dasselbe wie Max.
Was ist wirklich mit Sam passiert?
Und noch wichtiger, hatte das Trio ihn zu weit getrieben?
Von seiner Ecke aus hielt Max seine Augen auf sie gerichtet. Ko grinste zum ersten Mal nicht.
"Scheiße, Scheiße, Scheiße," murmelte Ko unter seinem Atem, kaute an seinem Daumennagel und ließ seine Augen durch den Raum huschen. Was zum Teufel war mit diesem Typen los? Warum musste er so etwas tun? Dieses verdammte Schwein verursacht sogar nach seinem Tod noch Probleme!
"Was sollen wir tun?" zischte Mo und lehnte sich nah heran.
Ohne ein Wort zog Ko sein Handy heraus, seine Finger flogen über den Bildschirm.
"Wir stecken alle zusammen in dieser Sache," sagte er mit einem tiefen Knurren. "Es gibt nur eine Person, an die wir uns jetzt wenden können."
Joe lehnte sich vor, seine Augen verengten sich, als er den Namen auf dem Bildschirm sah: Dipter. Der Schulleiter.
Selbst Kos Hände zitterten leicht, als er die Nachricht abschickte. Es dauerte nicht lange, bis eine Antwort zurückkam.
Ko stand auf, seine Stimme kalt und abgehackt.
"Dipter will uns treffen. Am Käfig."
Ohne zu zögern standen die drei von ihren Plätzen auf und schlichen zur Tür. Max beobachtete sie mit verengten Augen.
Der Käfig war nicht irgendein Ort auf dem Schulgelände, es war der Ort. Technisch gesehen sollte es ein Indoor-Fußballbereich sein, komplett mit zwei abgenutzten Torpfosten. Aber niemand spielte dort mehr. Stattdessen war es zum inoffiziellen Treffpunkt für die schlimmsten Schulschwänzer der Schule geworden.
Als Max beobachtete, wie das Trio aus dem Klassenzimmer schlüpfte und sich in Richtung des Käfigs bewegte, begannen seine Gedanken zu kreisen.
Sollte ich ihnen folgen? fragte er sich, die Muskeln angespannt. Ihr Verhalten heute ist viel zu verdächtig. Aber wenn ich ihnen nachgehe und erwischt werde... könnte das in einer Katastrophe enden. Besonders mit der Polizei in der Nähe.
Dennoch sagte ihm etwas, dass keiner von ihnen riskieren würde, etwas Dummes zu tun, während die Behörden anwesend waren.
Andererseits sollte ich auch keine Probleme verursachen... nicht heute.
Vielleicht könnte er Joe einfach später fragen, herausfinden, worüber sie gesprochen hatten, wenn er bereit war zu reden. Aber irgendetwas an diesem Moment kratzte an Max' Hinterkopf. Er brauchte ein klareres Bild. Er musste es selbst sehen.
Also stand er auf und schlüpfte leise aus der Klassenzimmertür, wobei er einen vorsichtigen Abstand hielt, während er folgte. Mit verengten Augen und ruhiger Haltung blieb er konzentriert. Alles, was er wissen musste, war, wen sie trafen. Das könnte die Antwort auf alles sein.
Aber genau dann-
"Max!" rief eine Stimme hinter ihm.
Er erstarrte.
So konzentriert darauf, dem Trio zu folgen, hatte er nicht einmal bemerkt, dass sich jemand näherte. Eine Sekunde Ablenkung, und sie waren bereits um die Ecke gebogen.
Verdammt... Ich habe sie verloren.
Als Max sich umdrehte, sah er sie, dasselbe Mädchen, das ihn einmal zuvor im Flur aufgehalten hatte. Abby.
Ihre sanften Augen trafen seine. "Max... geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?"
"Weißt du, was passiert ist?" fragte Max und übersprang den Smalltalk.
"Du meinst wegen Sam?" antwortete sie sanft. "Ja. Ich denke, die ganze Schule weiß es inzwischen."
Natürlich wissen sie es, dachte Max. Mit Handys in jedermanns Händen gibt es keine Geheimnisse mehr.
Abby verlagerte ihr Gewicht und zögerte einen Moment, bevor sie fortfuhr. "Es ist nur... es schien, als wärt ihr zwei eng befreundet. Ich meine, ich habe gesehen, wie du oft mit ihm gesprochen hast. Ich dachte, ihr wärt Freunde, also habe ich mich gefragt... wie kommst du damit klar?"
Max blickte weg. "Es ist schwer zu verarbeiten," gab er zu. "Es hat mich überrascht. Ich habe nicht erwartet, dass so etwas passieren würde."
Abby nickte, ihr Pferdeschwanz schwang leicht. "Sam war ein guter Mensch. Weißt du... als er dachte, du wärst in Schwierigkeiten, kam er angerannt, um mich zu finden. Er war wirklich besorgt um dich."
Max' Augenbrauen zogen sich zusammen. "Wann war das?"
"Gestern," sagte sie mit leiser Stimme. "Er sagte, deine Klassenkameraden hätten dich aus dem Unterricht geholt. Er hatte Angst, dass sie dir wehtun würden... also sind wir beide losgegangen, um einen Lehrer zu holen."
Max' Brust zog sich zusammen. Abby hatte keine Ahnung, keine Ahnung, was dieser eine Moment Sam gekostet haben könnte.
Max' Gedanken blitzten zurück zu dem Moment im Musikzimmer, als er bei Joe war und der Lehrer mit Abby aufgetaucht war. Damals hatte er es als Zufall abgetan. Aber jetzt, da er die Wahrheit hörte, wurde ihm klar, warum der Lehrer wirklich gekommen war.
Es war wegen Sam.
Wie ein Puzzleteil, das an seinen Platz fällt, fügte sich alles zusammen. Und damit kam dieses kranke Gefühl, das sich tief in Max' Magen drehte.
Der Ausdruck auf ihren Gesichtern... die Panik, die Ko und die anderen hatten, als sie die Nachricht hörten... das war nicht normal. Es war kein Schock, es war Angst. Sie wussten etwas. Sie hatten etwas getan.
Und jetzt schlich sich ein erschreckender Gedanke in Max' Kopf wie ein Flüstern, das er nicht ignorieren konnte.
Könnte all das... wirklich nur passiert sein, weil Sam versuchte, mir zu helfen?
Diese Erkenntnis würde zu einer Veränderung in Max' ganzem Leben führen.