Du stinkst!

Die schwarzhaarige Frau hob ihre Hand, bereit, Sorayah ins Gesicht zu schlagen, hielt jedoch abrupt inne, als die Tür zum Raum aufschwang. Sie trat schnell beiseite, als Chef Magd Melissa hereinstürmte, deren scharfer Blick über die versammelten Frauen schweifte.

"Was geht hier vor?" bellte Frau Melissa, Verärgerung lag schwer in ihrem Ton. "Ich war nur einen Moment weg, und schon herrscht Chaos?"

Ihre durchdringenden Augen richteten sich auf Sorayah und Lily.

"Und ihr zwei, warum steht ihr noch hier? Wechselt sofort eure Kleidung und folgt mir!"

Lily lehnte sich nah an Sorayah heran und flüsterte zögernd: "Wir haben noch nicht gebadet, Eure Hoheit."

Sorayahs Lippen bewegten sich kaum, als sie zurückmurmelte: "Das machen wir später heute Abend. Wenn wir ihren Zorn nicht spüren wollen, sollten wir uns besser jetzt anziehen."

Ohne ein weiteres Wort begann sie, ihre zerlumpten Kleider abzustreifen, wobei nur eine dünne Stoffschicht ihre Brust bedeckte und ein bescheidenes Untergewand den Rest ihres Körpers verhüllte. Ohne Zeit zu verlieren, schlüpfte sie in die neue Kleidung, einen schlichten braunen Rock und eine Bluse, dann frisierte sie schnell ihr Haar mit den spärlichen verfügbaren Accessoires. Schließlich legte sie ihren Schleier über ihr Gesicht und stellte sicher, dass Lily dasselbe tat.

Die anderen Mägde beobachteten schweigend, wie sie sich anzogen, ihre Gesichtsausdrücke unlesbar. Als sie fertig waren, drehte sich Frau Melissa auf dem Absatz um und verließ den Raum, ohne ihnen einen weiteren Blick zu schenken.

Sorayah und Lily folgten ihr, bis sie am Gebäude am äußersten Ende des Dienerquartiers ankamen, dem Latrinenhaus.

Frau Melissa blieb am Eingang stehen und drehte sich zu ihnen um. "Ihr zwei werdet hier eure Pflichten erfüllen. Verursacht keinen Ärger." Und damit drehte sie sich auf dem Absatz um und ging, ihr Abgang war so abrupt wie ihre Ankunft.

Sorayah hatte kaum Zeit, den üblen Gestank wahrzunehmen, bevor sich ihr Magen protestierend verkrampfte. Sie schluckte die Übelkeit hinunter, entfernte schnell den Schleier von ihrem Gesicht und band ihn stattdessen über Nase und Mund. Lily, die in der stinkenden Luft würgte, tat es ihr gleich, woraufhin sie beide hineingingen.

Die anderen Diener, die in die gleichen braunen Uniformen gekleidet waren, arbeiteten hart und schrubbten ihre zugewiesenen Nachttöpfe. Keiner von ihnen schenkte Sorayah oder Lily auch nur einen Blick.

Eine Frau mittleren Alters in einem braunen Gewand, ein Zeichen ihrer Autorität über diesen Bereich, näherte sich ihnen bald. Ihre Augen waren kalt und berechnend, als sie auf einen turmhohen Stapel schmutziger Nachttöpfe in der Ecke deutete.

"Wascht all diese", befahl sie tonlos. "Wenn ihr fertig seid, könnt ihr für den Tag gehen."

Lilys Augen weiteten sich vor Entsetzen.

Es mussten mindestens hundert sein.

Sorayah musste nicht zweimal raten, um zu wissen, dass Frau Melissa diese Frau bereits über ihre Anwesenheit informiert hatte, wahrscheinlich mit der Anweisung, ihr Leben zur Hölle zu machen.

Lily machte einen impulsiven Schritt nach vorne, ihr Mund öffnete sich zum Protest, aber Sorayah packte schnell ihr Handgelenk und hielt sie auf, bevor sie ein Wort sagen konnte.

Sorayahs scharfer Blick huschte durch das Latrinenhaus. Abgesehen von den Mägden, die wie sie braun gekleidet waren, waren mehrere Wachen an jeder Ecke des Gebäudes stationiert. Ihr einziger Zweck war es, mit ungehorsamen Dienern hart umzugehen.

Lily, obwohl sie gehen und sprechen konnte, war immer noch in der Heilung. Eine harte Prügelstrafe und sie könnte wieder bewusstlos werden oder Schlimmeres. Sorayah war nicht bereit, dieses Risiko einzugehen.

Sie senkte ihren Blick und zwang ihren Gesichtsausdruck zu einem von stiller Gehorsamkeit.

"Ja, Ma'am", sagte Sorayah mit einer leichten Verbeugung, ihre Stimme gleichmäßig.

Lily zögerte einen Moment, bevor sie Sorayahs Handlungen nachahmte.

Sorayah atmete leise aus, ihre Finger umklammerten den Rand ihres Rocks. Dies war kein Kampf, den sie heute gewinnen konnten. Aber sie würde sich jedes Gesicht, jede Beleidigung, jede Härte merken.

Eines Tages würde sich das Blatt wenden.

Und wenn es soweit wäre, würden diejenigen, die sie leiden ließen, es bereuen, sich jemals mit ihr angelegt zu haben.

Die Frau warf ihnen einen letzten Blick zu, bevor sie sich auf dem Absatz umdrehte und aus dem Latrinenhaus schritt, ihre Schritte verhallten in der Ferne.

Sobald sie weg war, wandte sich Lily an Sorayah, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern, ihre Augen glänzten von ungeweinten Tränen.

"Ihr könnt einfach sitzen, während ich die Arbeit erledige, Eure Hoheit. Es tut mir so leid, dass Ihr all das durchmachen müsst. Ihr verdient nichts davon", murmelte sie, Tränen liefen still über ihre Wangen.

Sorayah stieß einen kleinen Seufzer aus und streckte die Hand aus, um Lilys Tränen sanft wegzuwischen. "Hör auf zu weinen", sagte sie sanft. "Keiner von uns verdient das. Jeder, der gefangen genommen und ins Werwolf Reich gebracht wurde, hat das gleiche Schicksal erlitten."

Sie schenkte Lily ein warmes Lächeln und versuchte, sie zu beruhigen. "Und außerdem, wenn wir hier rauskommen wollen, müssen wir zusammenarbeiten. Es ist nicht einmal garantiert, dass wir früh fertig werden, wenn wir beide es tun, geschweige denn nur du allein."

Lily öffnete die Lippen, um zu protestieren, aber Sorayah unterbrach sie, bevor sie ein Wort herausbringen konnte.

"Keine Widerrede, bitte", sagte Sorayah bestimmt. "Und denk daran, ich bin jetzt nur noch Sorayah."

Lily senkte den Blick und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Eine weitere Träne lief über ihre Wange, aber diesmal wischte sie sie schnell weg, bevor Sorayah es bemerken konnte.

Entschlossen, die Aufgabe zu beenden, griff sie nach einem der Nachttöpfe. In dem Moment, als sie ihn anhob, griff der üble Gestank ihre Sinne an und ließ ihren Magen heftig aufwallen, trotz des Schleiers, der ihre Nase bedeckte.

Sorayah hingegen schaffte es kaum, hineinzuschauen, bevor sie zurücktaumelte, ihr Körper reagierte instinktiv. Innerhalb von Sekunden drehte sie sich zur Seite und würgte.

Der Anblick war mehr als schrecklich.

Aber sie wusste, dass sie keine Wahl hatte. Wenn sie diesen Ort verlassen wollte, musste sie es ertragen.

Mit zusammengebissenen Zähnen stählte sie sich, hielt den Atem an, als sie einen Lappen in das trübe Wasser tauchte und zu schrubben begann. Alle paar Minuten überwältigte sie der Geruch und zwang sie, zurückzutreten und sich zu übergeben. Es fühlte sich an, als würde sie ihren gesamten Magen entleeren, aber sie weigerte sich aufzuhören.

Auch Lily kämpfte neben ihr, würgte mehrmals, zwang sich aber weiterzuarbeiten. Sie konnten sehen, wie die anderen Mägde nach und nach fertig wurden, bis schließlich nur noch sie beide übrig waren.

Stunden vergingen, und endlich war der letzte Nachttopf sauber geschrubbt.

Sobald die Wachen ihre Arbeit inspiziert und sie weggewunken hatten, traten Sorayah und Lily aus dem Latrinenhaus, die frische Nachtluft begrüßte sie wie ein alter Freund.

Beide atmeten tief ein, verzweifelt bemüht, ihre Lungen von dem üblen Gestank zu befreien, der noch immer an ihrer Kleidung und Haut haftete.

Sie gingen in erschöpfter Stille in Richtung der Mägdequartiere, ihre müden Füße schleppten sich über den Schmutzweg.

Der Hof war schwach beleuchtet, der karmesinrote Mond hing hoch am Himmel, Sterne waren wie winzige Diamanten in der Dunkelheit verstreut. Das einzige Geräusch war das sanfte Rauschen des Windes durch die Bäume.

Als sie sich den Mägdequartieren näherten, spürte Sorayah das Gewicht des ganzen Tages auf sich lasten. Die Demütigung, die zermürbende Arbeit, die ständige Angst, all das klebte an ihr wie eine zweite Haut.

Sie stießen die Tür auf und traten ein, sofort umhüllt von der Wärme der Feuerstelle, die in der Mitte des Raumes brannte.

Bevor sie einen weiteren Schritt machen konnten, ertönte eine scharfe Stimme.

"Verdammt! Geht euch waschen, bevor ihr hier reinkommt. Ihr stinkt!"

Sorayah wandte sich der Quelle der Stimme zu, es war die schwarzhaarige Frau mit einem angewiderten Grinsen im Gesicht.

Lily räusperte sich, ihre Stimme war von Erschöpfung durchzogen. "Wo ist das Badehaus?"

"Geht einfach nach draußen. Es ist auf der rechten Seite", antwortete die Frau tonlos, bevor sie ihnen den Rücken zukehrte.

Sorayah und Lily tauschten müde Blicke aus, bevor sie sich wortlos auf den Weg zum Badehaus machten.

Als sie ankamen, bemerkte Sorayah als Erstes die großen Wasserfässer, die an der Wand aufgereiht waren. Sie tauchte ihre Finger in eines und zuckte sofort zurück, das Wasser war eiskalt.

Lily, die schon bei dem Gedanken an ein Bad darin zitterte, griff nach einem Eimer. "Ich werde sehen, ob ich etwas Wasser kochen kann", bot sie an und machte sich bereits bereit zu gehen.

Aber Sorayah packte ihr Handgelenk und hielt sie auf.

"Es ist zu spät", sagte sie und schüttelte den Kopf. "Ich komme mit dem kalten Wasser zurecht."

Lily runzelte die Stirn. "Aber..."

"Mir geht es gut", unterbrach Sorayah. Sie begann, ihre schmutzigen Kleider auszuziehen und bereitete sich auf das eiskalte Bad vor. "Denk daran, ich mag in meiner Kammer im Palast eine Prinzessin gewesen sein, aber für die anderen war ich ein Prinz, ein Prinz, der auf Schlachtfeldern gekämpft hat. Ich hatte dort niemanden, der sich um mich kümmerte, und ich brauche auch hier niemanden, der sich um mich kümmert."

Lilys Lippen zitterten leicht, als sie Sorayah anstarrte, Bewunderung und Kummer wirbelten in ihren Augen. Eine einzelne Träne entkam, aber sie wischte sie schnell weg, bevor Sorayah es sehen konnte.

Ohne ein weiteres Wort griff Sorayah nach einem Eimer Wasser und verschwand in einer der Badekabinen.

Lily folgte ihrem Beispiel, und schon bald hatten die beiden ihr Bad beendet und ihre Haut wund geschrubbt in dem verzweifelten Versuch, sich von dem Schmutz zu befreien.

Als sie zu den Mägdequartieren zurückkehrten, schliefen alle anderen bereits.

Lily stieß einen Seufzer aus, als sie in einen frischen braunen Rock und eine Bluse wechselte. Sie legte eine Hand auf ihren Magen, der protestierend knurrte. "Was werden wir essen?" flüsterte sie. "Ich wollte sie nach unserem Abendessen fragen, aber sie schlafen alle..."

Sorayah blickte sich in den schwach beleuchteten Quartieren um. "Die Küche für die Mägde sollte irgendwo hier in der Nähe sein. Ich werde nachsehen, ob noch etwas für uns übrig ist."

Sie hatte kaum einen Schritt gemacht, als Lily ihre Hand ergriff.

"Ich mache das", sagte Lily, ihre Stimme fest vor Entschlossenheit.

Sorayah lächelte warm und schüttelte den Kopf. "Keine Sorge, ich bin nicht lange weg." Sie löste sanft Lilys Finger von ihrem Handgelenk. "Außerdem habe ich eine Mission zu erfüllen", fügte sie rätselhaft hinzu, ihre Stimme wurde leiser. "Und ich möchte dich nicht mit hineinziehen."

Lily runzelte die Stirn, Besorgnis blitzte in ihren Augen auf, aber bevor sie protestieren konnte, hatte sich Sorayah bereits umgedreht und war aus dem Raum geschlüpft, verschwand in der Dunkelheit.