Rosemary schlief unruhig.
Die Nacht war kalt, doch ihr Körper glühte – nicht vor Wärme, sondern vor Fieber, Angst, Erinnerung.
Dann brach der Traum über sie herein.
Ohne Warnung. Ohne Gnade.
Feuer.
Hitze.
Schreie, die wie Nadeln ins Trommelfell stachen.
Entlasia, die heilige Stadt, lag in Trümmern.
Über ihr erhob sich schwarzer Rauch, durchzogen von Flammenzungen, die in den Himmel bissen wie hungrige Bestien. Die Straßen waren gefüllt mit Asche und Leichen – zu erkennen nur an den halbverkohlten Überresten ihrer Körper.
Und mitten durch dieses Inferno krochen sie:
Wilde Dämonen – entstellt, fleischlos, verzerrt. Ihre Körper pulsierend wie offenes Fleisch, ihre Klauen tropften von dem Blut unschuldiger Bewohner.
Sie lachten nicht. Sie schrien nicht.
Sie verschlangen.
Ein Mann rannte mit einem Kind auf dem Arm.
Ein Dämon sprang von einem zerbrochenen Dach auf ihn hinab. Es riss den Oberkörper des Mannes in zwei Teile, während das Kind schreiend in dessen Gedärmen lag. Ein anderer Dämon schlang eine Frau mit seiner Schlinge aus Fleisch, nur um sie dann gegen die Wand zu schlagen, bis nichts als eine zitternde Masse übrigblieb.
Und dort, inmitten des Chaos – ein Haus.
Rosemary, noch ein Kind, stand an der Tür. Ihre Hände zitterten, ihr Herz raste. Ihr Vater kniete vor ihr, das Gesicht rußverschmiert, ein Schnitt an der Stirn, die Kleidung zerrissen.
> „Du wirst es brauchen, mein Mädchen,“ sagte er – und reichte ihr ein Schwert. Kein Prunkstück, sondern roh. Hart. Zu groß für ihre kleinen Hände.
„Wenn du lebst, musst du dich erinnern: Dieses Schwert ist nicht dafür da, zu töten. Es ist da, um dich daran zu erinnern, dass du lebst.“
Er küsste ihre Stirn.
Dann drückte er sie in eine Bodenklappe.
Die Klappe fiel zu.
Nur Sekunden später: Ein berstendes Geräusch.
Stille.
Dann ein dumpfer Schlag – als wäre ein Körper gefallen.
Sie öffnete die Klappe wieder.
Was sie sah, zerriss alles.
Ihr Vater lag da, entstellt, die Arme ausgebreitet – als hätte er sie umarmen wollen. Die Dämonen hatten sein Gesicht abgezogen, seinen Brustkorb geöffnet. Seine Augen waren noch da.
Sie sahen sie an.
Nicht aus Hass. Aus Liebe.
In seinem letzten Moment hatte er sie nicht losgelassen.
Sie schrie.
Und die Welt fiel auseinander.
Plötzlich: Schwärze.
Nichts mehr brannte. Kein Rauch. Kein Dämon.
Nur Stille. Schwarze, eiskalte Stille.
Dann:
Ein Flimmern.
Ein blutrotes Licht, das sich aus der Dunkelheit schälte.
Es schwebte über dem Nichts wie ein wachsames Auge.
Und es sprach.
> „Du wirst bekommen, was du am meisten willst...“
Rosemary wollte weglaufen – doch sie konnte sich nicht bewegen.
> „...doch du wirst dafür etwas verlieren...“
Das Licht kam näher.
> „...etwas, das größer ist als alles, was du je besitzen könntest.“
Ein Klirren.
Dann erschien eine Gestalt.
Es war sie selbst – aber Jahre älter.
Vielleicht zwanzig. Vielleicht mehr. Ihre Kleidung war zerrissen, der Körper übersät mit tiefen Wunden, getrocknetem Blut und Schmutz. Ihre Haare waren zerzaust, klebten an der Stirn, und ihre Haut war bleich – wie die eines Toten, der noch nicht begriffen hat, dass er gestorben ist.
Sie kniete.
Ihr Rücken war leicht gekrümmt. Ihre Hände stützten sich am Boden ab.
Der Körper war gezeichnet von Schmerz – doch noch immer stark.
Ein Kriegerkörper. Doch gebrochen.
Ihr Gesicht: leer. Die Augen stumpf, wie erloschene Kerzen.
Dann hob sie den Kopf und sah der träumenden Rosemary direkt in die Augen.
Ihre Stimme war rau. Gebrochen. Schwer.
> „Warum...?“
„Wieso... genau du...?“
Und dann – verschwand sie.
Mit ihr verschwand das Licht.
Nur Dunkelheit blieb zurück.
Rosemary wachte mit einem Ruck auf.
Schweiß rann an ihrer Stirn, ihr Atem war flach, stoßweise. Ihr Herz schlug, als wolle es aus ihrer Brust brechen.
Ein paar Sekunden lang war alles still –
Dann kam der Schmerz. Nicht körperlich.
Etwas in ihr zerbrach.
Leise, aber endgültig.
Und sie begann zu weinen.
Nicht laut. Kein Schluchzen.
Nur stille, schwere Tränen, die ihre Wangen hinabliefen – so warm, so echt, dass sie sich selbst dafür schämte.
Sie zog die Knie an die Brust, das Schwert ihres Vaters lag neben ihr.
Doch es tröstete nicht.
Neben ihr, im Halbdunkel des Raumes, saß Iblis.
Er hatte kein Auge geschlossen. Seine Arme lagen locker auf den Knien, sein Blick war starr ins Nichts gerichtet.
Er drehte sich nicht zu ihr um.
Er beugte sich nicht zu ihr.
Er sprach – mit derselben kühlen, gefassten Stimme wie immer:
> „Du hast geschrien.“
„War es Erinnerung? Oder war es Vorahnung?“
Keine Spur von Trost in seinen Worten. Kein Versuch, sie zu beruhigen.
Nur eine Frage.
Wie ein Arzt, der eine Wunde begutachtet, nicht den Schmerz.