Kapitel 5: Der Preis des Wunsches

Rosemary erwachte mit einem Ruck.

Ihre Kehle war trocken, als hätte sie Staub geschluckt. Kalter Schweiß bedeckte ihre Stirn, ihr Rücken war klatschnass, ihre Fingernägel hatten sich in das grobe Laken gebohrt. Sie japste nach Luft, doch kein Atemzug fühlte sich an, als reiche er bis zu ihrer Lunge. In ihrem Inneren tobte noch immer der Sturm.

Sie wollte schreien – doch ihre Stimme gehorchte ihr nicht.

Dann bemerkte sie ihn.

Iblis saß in der Dunkelheit des Raumes. Nur sein Umriss war im matten Mondlicht zu erkennen, das sich durch einen schmalen Fensterspalt drückte. Seine Augen glänzten kalt. Er hatte sie beobachtet – nicht wie ein Wächter, sondern wie ein Jäger.

Doch diesmal... wirkte selbst er nicht unberührt.

„Du hast gezittert“, sagte er.

Rosemary brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er meinte. Ihre Arme, ihre Beine, ihr ganzer Körper bebte noch immer. Die Decke hatte sie unbewusst beiseite geworfen.

Dann erst spürte sie das Nasse auf ihren Wangen. Sie weinte. Tränen, die sie nicht bemerkt hatte. Ihre Stimme war kaum hörbar, als sie antwortete:

„Ich… Ich hatte einen Traum.“

Iblis beugte sich ein wenig vor. Für einen Moment schien seine sonst so stoische Miene zu zucken.

„Ein Albtraum?“ fragte er. Aber da war etwas in seiner Stimme – kein Spott, keine Gleichgültigkeit, sondern… Interesse. Überraschung.

Sie nickte.

„Erzähl ihn mir“, sagte er. „Jedes Detail.“

Rosemary schloss für einen Moment die Augen, als wolle sie sich wappnen. Doch es war zu spät – die Bilder brannten noch in ihr, lodernd wie Flammen.

„Ich war… wieder dort“, begann sie heiser. „In Entlasia.“

Iblis sagte nichts. Er wusste, was das bedeutete.

„Die Sonne war schwarz. Der Himmel... brannte. Menschen rannten. Kinder schrien. Häuser stürzten ein wie Karten. Und dann kamen sie – diese... Dinger. Diese wilden Dämonen.“

Sie schluckte schwer.

„Sie haben keine Form. Keine Regeln. Keine Sprache. Nur Chaos. Sie reißen alles auseinander. Ich sah einen Mann – er hatte keine Chance. Er schrie nur, als er zerrissen wurde. Wie Papier.“

Iblis starrte sie an. Seine Augen verengten sich leicht.

„Und mein Vater…“ Ihre Stimme brach.

„Er... drückte mir ein Schwert in die Hand. Es war blutverschmiert. Er sagte kein Wort, aber... seine Augen. Ich konnte sie nicht vergessen. Verzweiflung. Und dann... hat ihn etwas gepackt. Es hat ihn einfach... auseinandergerissen.“

Sie hielt inne. Der Schmerz schnitt ihr durchs Herz wie ein kalter Dolch.

„Danach war nur noch Dunkelheit. Alles verschwand. Nur ich… blieb.“

Iblis’ Blick wurde schärfer.

„Und dann? War das der ganze Traum?“

Rosemary zögerte. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Nein. Etwas... Schlimmeres kam danach.“

Sie umklammerte die Decke, als könne sie sich daran festhalten.

„Da war ein Licht. Tiefrot. Wie Blut. Es war… lebendig. Es sah mich an. Ich konnte nichts sehen, aber ich wusste, dass es mich sah.“

Ihre Stimme sank zu einem Flüstern.

„Es sprach zu mir…“

Iblis bewegte sich kaum noch.

> „Du wirst bekommen, was du am meisten willst…“

„Aber du wirst etwas noch Größeres verlieren.“

Iblis runzelte die Stirn. „Diese Worte…“

Rosemary nickte. „Sie haben sich eingebrannt. Ich... ich kann sie nicht vergessen.“

„Gab es noch mehr?“, fragte Iblis.

Sie zögerte, dann schluckte sie schwer.

„Ich habe… mich gesehen. Älter. Vielleicht zehn Jahre älter. Ich war stark. Mein Körper war… geformt, erwachsen. Aber... ich kniete im Dreck. Überall Blut. Meine Haut war zerkratzt, meine Rippen zu sehen. Narben. Wunden. Meine Haare waren zerzaust, mein Blick... leer.“

Ihre Stimme begann wieder zu zittern.

„Ich... war wunderschön. Und gleichzeitig... tot. Nicht im Körper. Im Inneren.“

Iblis' Blick blieb auf ihr. Hart. Prüfend. Aber in seinen Augen flackerte etwas.

„Und dann sagte ich selbst… also, mein älteres Ich…

> ‚Warum...? Wieso genau du…?‘

Und dann verschwand ich einfach. Einfach so.“

Schweigen.

Rosemary legte die Arme um sich, kauerte sich fast zusammen.

„Ich will das nicht…“, flüsterte sie.

„Was genau willst du nicht?“ fragte Iblis leise.

„Dass es wahr wird.“

Ein langer Moment verging.

Dann stand Iblis auf, trat langsam ans Fenster und blickte hinaus. Sein Gesicht lag im Schatten, nur seine Stimme sprach:

„Das war keine Vision. Es war ein Echo. Eine Möglichkeit.“

„Ein… Echo?“

„Die Welt hat viele Schatten. Manche davon sind Gedanken. Andere sind Erinnerungen, die noch nicht geschehen sind.“

Rosemary blickte ihn mit großen Augen an.

Er drehte sich zu ihr. „Etwas hat dich gesehen. Und es hat dir die Ketten gezeigt, die du selbst schmiedest.“

„Und… was soll ich tun?“

„Weitermachen“, antwortete er.

„Wie?“ Sie klang verzweifelt. „Wie kann ich…? Nach all dem?“

Iblis schwieg einen Moment. Dann sagte er:

,, In dem du lernst wie du mit dem Schwert umgehst“.

Sie sah ihn an – ihre Augen voller Hoffnung und Fröhlichkeit sagte entschlossen:,,jawohl!“

Er setzte sich wieder neben sie. Nicht näher. Nur dort.

„Wenn du weiterträumst“, sagte er leise, „dann will ich wissen, was du siehst. Denn vielleicht… wirst du irgendwann etwas sehen, was selbst ich nicht kenne.“