Draven.
Der Mondball war ein Ort, an dem schwache Männer um ihre Gefährtinnen kämpften.
Ich hatte kein Interesse an dieser Veranstaltung. Keine Geduld für die kleinliche Politik verzweifelter Alphas, die versuchten, mir ihre Töchter in die Arme zu schieben.
Aber in dem Moment, als ich mit meinem Beta und einigen anderen wichtigen Personen den Ballsaal betrat, änderte sich etwas. Mein Wolf knurrte heftig in mir und zwang mich, mitten im Schritt anzuhalten.
Ein Duft traf mich wie eine Droge.
Etwas Wildes. Etwas Ungezähmtes. Etwas... Falsches.
Der gesamte Raum war erstarrt, alle Augen auf das Mädchen in der Mitte des Spektakels gerichtet.
Sie saß dort auf dem Boden, ihr silberweiße Haar ergoss sich wie Mondlichtsträhnen, ihre schlanke Gestalt war steif vor kaum unterdrückter Wut.
Selbst von der anderen Seite des Ballsaals konnte ich sehen, wie ihre violetten Augen mit ungeweinten Tränen brannten. Und dann sah ich die Narbe. Eine gezackte, brutale Wunde, die sich über ihre linke Wange zog – eine Wunde, die hätte heilen müssen, wenn sie ein richtiger Wolf wäre.
Mein Wolf grollte, beunruhigt. Dann erreichten mich die Flüstereien.
"Beta Marc hat sie abgelehnt. Direkt vor allen Leuten."
"Sie ist verflucht. Sie hat keinen Wolf."
"Und dann hatte sie auch noch die Frechheit, ihre wilden Pheromone freizusetzen. Erbärmlich!"
Mein Blick kehrte zu dem Mädchen zurück – Meredith Carter. Und dann bemerkte ich noch etwas. Ihre Pheromone, die noch vor Augenblicken wild ausgeströmt waren – verschwanden plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Das sollte nicht möglich sein.
Ich machte einen weiteren Schritt nach vorne und sah ihr direkt in die Augen. Ihr Atem stockte, und für einen kurzen Moment kratzte etwas Uraltes und Gefährliches an meiner Brust.
Erkennung. Besitz. Mein.
Ich ignorierte es. Ich ignorierte, wie ihr Duft sich in meinen Lungen kräuselte, wie mein ganzer Körper sich anspannte, als würde er sich auf einen Krieg vorbereiten.
Ich ignorierte die Frau vor ihr völlig und konzentrierte mich auf den Narren zu ihrer Rechten.
Marc Harris; der zukünftige Beta des Mondstein-Rudels. Ein Mann, für den ich keinen Respekt hatte.
Er stand da, grinste, seine Haltung entspannt, als hätte er nicht gerade seine Schicksalsgefährtin vor einem Raum voller Wölfe gedemütigt.
Ich könnte ihn in Sekunden erledigen. Ich erwog es.
Stattdessen ließ ich meine Macht in Wellen von mir ausgehen, während ich vorwärts schritt. "Was zum Teufel geht hier vor?"
Das Lachen erstarb sofort. Die Wölfe senkten ihre Köpfe, verbeugten sich instinktiv. Und Marc, zu seiner Ehre, versteifte sich, kniete aber nicht nieder.
Mutig. Aber dumm.
Ich blieb nur wenige Meter entfernt stehen.
Meredith, das verfluchte Mädchen, starrte mich an, ihre Hände zu Fäusten geballt, wappnete sich für einen weiteren Angriff, als sie endlich auf die Füße kam und vor Schmerz zusammenzuckte. Sie senkte ihren Blick nicht.
Interessant.
"Marc Harris." Meine Stimme war kalt, scharf wie eine Klinge. "Lehnst du sie ab?"
Marc grinste. "Das habe ich bereits, Alpha."
Mein Wolf knurrte.
Falsche Antwort.
Ich konnte den Drang kaum unterdrücken, die Kehle des Bastards zwischen meinen Fingern zu zerquetschen. Stattdessen wandte ich mich wieder Meredith zu. Sie stand jetzt trotz allem aufrecht.
Der ganze Raum erwartete, dass ich mich abwenden würde. Sie ignorieren wie alle anderen. Sie waren Narren.
Ich sah, was sie zu sehen sich weigerten. Die Kraft, die sich unter ihrer Haut kräuselte. Die Wut, die in ihren Adern schwelte.
Sie war nicht schwach. Sie war eingesperrt.
Und wenn es eine Sache gab, die ich wusste, dann war es, dass eingesperrte Kreaturen die gefährlichsten waren. Also traf ich meine Entscheidung. Und ich brannte den gesamten Ballsaal mit meinen nächsten Worten nieder.
"Dann werde ich sie nehmen."
Stille.
Absolute, fassungslose Stille.
Merediths Atem stockte. Marc blinzelte, sein Grinsen verschwand. "Was?"
Ich schenkte ihm kaum einen Blick. "Du hast sie abgelehnt," sagte ich schlicht. "Sie gehörte niemandem, was bedeutet, dass sie jetzt mir gehört."
Ein Keuchen ging durch die Menge.
Ich trat näher an Meredith heran und beobachtete, wie ihr Körper sich versteifte. Ich erwartete Angst, aber ich bekam Feuer. Ihre violetten Augen loderten vor Trotz.
"Ich bin kein Objekt, das man herumreichen kann," sprach sie plötzlich und erwiderte meinen Blick direkt.
Der Raum wurde still.
Interessant.
Zum ersten Mal seit Jahren spürte ich, wie mein Mundwinkel vor Belustigung zuckte. 'Oh, kleiner Wolf, du hast keine Ahnung, was du bist.'
Aber das sagte ich nicht. Ich streckte die Hand aus – langsam genug, damit sie zurückweichen konnte, wenn sie wollte, aber sie bewegte sich nicht.
Gut.
Ich nahm die zerrissenen Überreste ihres Schleiers vom Boden. Behutsam hob ich ihn hoch und bedeckte ihr Gesicht erneut, schirmte sie vor ihren Blicken ab. Dann sprach ich.
"Morgen werde ich dich holen. In zwei Tagen wirst du meine Frau sein," erklärte ich und ließ keinen Raum für Verhandlungen.
Eine weitere Schockwelle ging durch den Raum. Marcs Gesichtsausdruck verzerrte sich vor Unglauben. "Du machst Witze."
Ich richtete meinen Blick wieder auf ihn, meine Macht rollte in Wellen von mir ab. "Sehe ich aus, als würde ich Witze machen?"
Marc erbleichte und trat zurück. Die Botschaft war klar. Ich beanspruchte Meredith, und niemand würde mich aufhalten.
Ein Keuchen ging durch die Menge. Niemand bewegte sich. Niemand atmete.
Dann, im nächsten Moment, explodierte der Raum mit Gemurmel, Keuchen und gedämpften Auseinandersetzungen.
Ich hatte es erwartet. Begrüßte es sogar.
Werwölfe hatten ihre kostbare Hierarchie, ihre Besessenheit von Blutlinien und Rängen. Ein Beta, der seine Gefährtin ablehnte, war bedauerlich. Aber ein Alpha, der eine wolflose, verfluchte Frau beanspruchte?
Inakzeptabel.
Ich ließ den Lärm für einige Momente anschwellen und ließ das Gewicht meiner Worte wie einen Felsbrocken auf ihrer Brust lasten.
Gerade als das Flüstern in Chaos ausbrach, durchschnitt eine andere Stimme die Spannung.
"Draven."
Ich drehte meinen Kopf leicht, als meine Kindheitsfreundin, Wanda Fellowes, nach vorne trat. Ihr rotes Kleid schimmerte unter den Kronleuchtern, ihre grünen Augen waren scharf, als sie meinen Blick mit kaum verhohlener Empörung trafen. Anders als die anderen kauerte sie nicht.
Wanda hatte sich immer mit Kontrolle getragen, war immer kalkuliert in ihren Worten. Aber heute Abend war es nicht anders.
"Bist du dir dabei sicher?" Ihre Stimme war leise, vorsichtig. Keine Herausforderung, nur eine Frage.
Ich hielt ihrem Blick stand. "Du missbilligst es?"
"Ich hinterfrage die Weisheit dieser Wahl." Ihre Aufmerksamkeit flackerte zu Meredith, die schweigend, aber angespannt neben mir stand.
"Diese Frau ist verflucht. Sie hat keinen Wolf und keine Stärke. Ihre Pheromone sind wild und unnatürlich. Und sieh sie dir an—" Sie gestikulierte mit einem übertriebenen Seufzen in Richtung Meredith. "Sie trägt eine Narbe, die für immer ihr Gesicht entstellen wird. Ist das die Luna, die du an deiner Seite haben willst? Ist das die Königin, die du unserem Volk präsentieren willst? Du brauchst eine Luna, die dich erhebt, nicht—"
Nicht schwächt. Das wollte sie sagen.
Ich unterbrach sie, meine Augen auf sie gerichtet. "Und du glaubst, sie schwächt mich?"
Es gab eine kurze Pause. Dann antwortete sie leise: "Ich glaube, du solltest vorsichtig sein."
Wir starrten uns einen Moment lang an. Wanda war nicht meine Feindin. Aber sie würde das nie verstehen.
Ich gab ihr ein leichtes Nicken – Anerkennung, aber keine Zustimmung. Sie atmete leise aus und trat zurück. "Ich hoffe, du weißt, was du tust."
Das hoffe ich auch, Wanda.
Bevor ich wieder sprechen konnte, durchschnitt eine andere Stimme die Luft.
"Draven."
Ich wusste bereits, wer es war. Ich drehte mich um und sah Randall Oatrun, meinen Vater.
Er bewegte sich durch die Menge wie ein Mann, der noch an Macht gewöhnt war, jeder Schritt abgemessen, jeder Blick scharf. Als sich unsere Augen trafen, sah ich keinen Zorn. Nur Enttäuschung.
"Was tust du da?" Seine Stimme war glatt, unlesbar.
Ich zuckte mit den Schultern. "Ich beanspruche meine Frau."
Sein Blick wanderte zu Meredith und dann zurück zu mir. "Du hättest jede Frau hier wählen können. Jede starke, fähige Frau, die der Seite eines Königs würdig ist."
Und doch hatte ich die gefährlichste Option gewählt.
Er atmete langsam aus, sein Ton war mit Endgültigkeit versehen. "Draven, dies ist deine letzte Chance. Du musst diesen Ball mit einer Frau verlassen. Ich habe dir dieses Ultimatum gestellt. Und ich erwarte, dass du eine Wahl triffst, die unserer Blutlinie würdig ist."
Ich lächelte. "Dann solltest du erfreut sein, Vater. Ich habe gewählt."
Der Kiefer meines Vaters zuckte. Er hatte erwartet, dass ich nachgeben würde. Ich hatte es nie zuvor getan, und ich würde jetzt nicht damit anfangen.
Ich wandte mich Meredith zu. Sie war wütend. Verwirrt. Rasend.
Sie wollte mich nicht. Das war in Ordnung, denn in dem Moment, als ich sie heute Abend angesehen hatte, in dem Moment, als mein Wolf etwas in ihr erkannt hatte—
Sie gehörte bereits mir.