Kapitel 11 - In des Königs Griff

Der massive Wolf bewegte sich nicht, seine silbernen Augen auf meine fixiert. Wir verharrten in dieser bizarren Pattsituation, ich auf dem Rücken liegend, die Kreatur über mir aufragend. Sein Atem bildete kleine Wolken in der kalten Nachtluft.

Der Wolf trat einen Schritt zurück und gab mir Raum, mich aufzusetzen. Ich bewegte mich langsam und verzog das Gesicht bei den Schürfwunden und Prellungen von meinem Sturz. Mein Herz hämmerte wild gegen meine Rippen.

"Lässt du... mich gehen?" fragte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Das Biest schnaubte, fast wie ein Seufzen. Dann tat es etwas, das mir völlig den Atem raubte – es senkte seinen massiven Kopf und legte sich auf den Waldboden in einer eindeutigen Geste von... Frieden?

Ich starrte ungläubig. "Du wirst mir nicht wehtun?"

Die silbernen Augen des Wolfes hielten meinen Blick, und ich spürte etwas Unmögliches – eine Verbindung, eine stille Kommunikation. Dies war nicht nur ein Wolf. Dies war etwas völlig anderes.

Vorsichtig streckte ich meine zitternde Hand aus. Der Wolf blieb regungslos und beobachtete, wie meine Finger nur Zentimeter von seiner Schnauze entfernt schwebten. Als ich schließlich das raue schwarze Fell berührte, durchfuhr mich ein Ruck, nicht unangenehm, aber überraschend – wie statische Elektrizität, nur tiefer, in meinen Knochen resonierend.

"Was bist du?" flüsterte ich.

Als Antwort begann das Fell des Wolfes zu schimmern. Ein schwaches Leuchten ging von dem schwarzen Fell aus und erleuchtete die Lichtung mit einem ätherischen blau-weißen Licht.

Ich krabbelte rückwärts, erschrocken von der übernatürlichen Erscheinung. "Heilige Scheiße."

Der leuchtende Wolf stand auf und schüttelte seine massive Gestalt. Das Licht pulsierte sanft und warf lange Schatten durch die Bäume. Er wandte sich von mir ab, ging einige Schritte und blickte dann erwartungsvoll zurück.

"Du willst, dass ich dir folge?"

Ein weiteres Schnauben, diesmal ungeduldig.

Ich wog meine Optionen ab, die schmerzlich wenige waren. Mit diesem mysteriösen, leuchtenden Wolf ins Unbekannte gehen oder weiter allein durch den dunklen Wald stolpern, während möglicherweise Gestaltwandler-Wölfe Jagd auf mich machten.

"Ich schätze, ich habe nicht viel Wahl," murmelte ich und stand unsicher auf.

Mein Knöchel protestierte scharf. Ich biss mir auf die Lippe gegen den Schmerz und humpelte dem Wolf hinterher, der langsam genug ging, um meinem verletzten Zustand entgegenzukommen. Das unnatürliche Leuchten der Kreatur bot bessere Beleuchtung als meine tote Taschenlampe.

Wir reisten stundenlang schweigend. Der Wolf wählte einen Pfad, der absichtlich sanft zu sein schien – keine steilen Anstiege, kein tückisches Gelände. Gelegentlich hielt er an und schaute zurück, um sicherzustellen, dass ich noch folgte.

"Hast du einen Namen?" fragte ich während einer solchen Pause. "Ich bin Hazel."

Die Ohren des Wolfes zuckten.

"Ich rede mit einem Wolf," sagte ich mit einem hohlen Lachen. "Ich muss meinen Verstand verlieren."

Trotz meiner Skepsis beruhigte mich etwas an dieser Kreatur. Seine Präsenz fühlte sich eher beschützend als bedrohlich an.

Als wir einen kleinen Bach erreichten, hielt der Wolf an und deutete an, dass ich trinken sollte. Ich kniete mich neben das klare Wasser und schöpfte es dankbar mit meinen Händen. Es war eiskalt und köstlich.

"Danke," sagte ich und setzte mich auf meine Fersen. "Wohin gehen wir?"

Der Wolf ließ sich neben mir nieder, seine leuchtende Gestalt warf flackerndes Licht über das Wasser. In der seltsamen Beleuchtung konnte ich die Erschöpfung in meinem Spiegelbild erkennen – eingefallene Augen, ein schmutzbedecktes Gesicht, zerzaustes Haar. Ich sah aus wie ein wildes Wesen.

"Ich weiß nicht einmal, ob ich hier draußen überleben kann," gab ich leise zu. "Ich war noch nie auf mich allein gestellt. Musste es nie sein."

Der Kopf des Wolfes neigte sich, lauschend.

"Die Menschenwelt macht mir fast genauso viel Angst wie zurückzugehen," fuhr ich fort und überraschte mich selbst mit diesem Geständnis. "Ich habe keine Ausweispapiere, kein Geld und keine richtige Ausbildung. Was für ein Leben könnte ich mir überhaupt aufbauen?"

Meine Kehle schnürte sich zu. "Aber ich konnte nicht bleiben. Nicht nach allem, was Julian getan hat. Nicht als Omega."

Der Wolf rückte näher, sein massiver Körper strahlte unerwartete Wärme aus. Ich lehnte mich an seine Seite und schöpfte Trost aus diesem seltsamen, stillen Begleiter.

"Julian war nicht immer grausam," flüsterte ich. "Sechs Jahre lang war er alles für mich. Meine ganze Welt. Dann, eines Nachts, fand er seine Gefährtin, und es war, als..." Ich schluckte schwer. "Als hätte ich nie existiert."

Der Wolf brummte tief in seiner Brust. Ob aus Mitgefühl oder etwas anderem, konnte ich nicht sagen.

"Ich bereue es nicht, gegangen zu sein. Ich wünschte nur, ich hätte besser geplant. Mich besser vorbereitet." Meine Finger krallten sich in das Fell des Wolfes. "Ich wünschte, ich hätte nicht solche Angst."

Wir saßen mehrere Minuten schweigend da. Die Nachtgeräusche – Grillen, raschelnde Blätter, entfernte Eulen – schufen ein seltsames Wiegenlied. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich so etwas wie Frieden.

Er zerbrach in einem Augenblick.

Der Kopf des Wolfes schnellte hoch, sein Körper spannte sich an. Ein tiefes Knurren drang aus seiner Brust.

"Was?" flüsterte ich dringend und sprang auf die Füße. "Was ist los?"

Bevor der Wolf antworten konnte, senkte sich Dunkelheit auf uns herab – nicht die natürliche Dunkelheit der Nacht, sondern etwas Tieferes und Bösartigeres. Die Luft wurde dicker, der Druck baute sich auf wie vor einem heftigen Sturm.

Ein Mann trat in die Lichtung.

Nein, nicht nur ein Mann. Eine Präsenz. Macht in Fleisch und Blut.

Er war groß und breitschultrig, mit scharfen, aristokratischen Zügen, die schön gewesen wären, wenn sie nicht von Wut verzerrt worden wären. Komplizierte schwarze Tätowierungen schlängelten sich seinen Hals hinauf und verschwanden unter seinem eng anliegenden schwarzen Hemd. Seine Augen – sturmgrau und vor Wut brennend – fixierten den leuchtenden Wolf neben mir.

"Lykos," knurrte er, das einzelne Wort vibrierte vor kontrollierter Gewalt. "Was hast du getan?"

Der Wolf – Lykos – stellte sich schützend vor mich, sein Licht pulsierte heller.

"Du solltest Alpha Maxens Bewegungen verfolgen, nicht mir sein menschliches Haustier bringen," fuhr der Mann fort, sein Blick streifte mich mit kalter Einschätzung.

Ich konnte nicht sprechen. Konnte mich nicht bewegen. Jeder Instinkt schrie Gefahr, doch mein Körper blieb wie erstarrt. Dieser Mann strahlte eine tödliche Macht aus, wie ich sie noch nie erlebt hatte.

Er trat näher, und die Luft um ihn herum schien sich zu verzerren, sich seinem Willen zu beugen. "Erkläre dich."

Lykos knurrte, der Klang hallte durch die Lichtung.

"Nicht gut genug," schnappte der Mann. In einer verschwommenen Bewegung, zu schnell um sie zu verfolgen, war er plötzlich neben mir, seine Hand umklammerte meinen Arm wie ein eiserner Schraubstock.

Schmerz explodierte bei seiner Berührung. Ich keuchte und sah nach unten, wo seine Finger sich in mein Fleisch gruben. Schwarze Adern breiteten sich unter seinem Griff aus und krochen wie Gift meinen Arm hinauf.

"Wer bist du?" forderte er, sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt. "Warum hat mein Wolf dich zu mir gebracht?"

Sein Wolf? Die Erkenntnis traf mich mit verblüffender Klarheit. Die Tätowierungen. Die überwältigende Macht. Die beiläufige Erwähnung von Alpha Maxen, als wäre der mächtige Anführer meines ehemaligen Rudels nur ein Untertan.

Dies war der Lykaner-König.

Terror überkam mich wie eine eisige Welle. Die Gerüchte, die geflüsterten Geschichten – sie wurden der Realität seiner Präsenz nicht gerecht. Er war Verwüstung in menschlicher Form.

"I-Ich weiß es nicht," stammelte ich, meine Stimme peinlich schwach. "Ich bin geflohen. Er hat mich gefunden."

Sein Griff verstärkte sich und schickte frische Qualen durch meinen Arm. "Lügen ist unklug."

"Ich lüge nicht!" keuchte ich. "Bitte, du tust mir weh."

Etwas blitzte in seinen Augen auf – Verwirrung? Überraschung? Es verschwand sofort, ersetzt durch kalte Berechnung. Seine Nasenflügel blähten sich leicht, und mir wurde klar, dass er mich witterte.

"Mensch," murmelte er, als ob er etwas für sich selbst bestätigte. "Und doch..."

Was auch immer er sagen wollte, wurde durch einen verschwommenen Schemen aus leuchtendem Fell unterbrochen. Lykos rammte den König, seine massiven Kiefer schlossen sich um den Arm, der mich festhielt. Der Aufprall brach den Griff des Königs und schleuderte mich zu Boden.

Ein unmenschliches Brüllen zerriss die Nacht. Der Wolf und der König wurden zu einem verschwommenen Durcheinander aus Bewegungen, die mit einer Gewalt rangen, die die Bäume um uns herum erschütterte.

Ich wartete nicht, um mehr zu sehen. Ich ignorierte den brennenden Schmerz in meinem Arm und das Pochen meines Knöchels, rappelte mich auf und rannte.

Zweige peitschten mir ins Gesicht, als ich durch das Unterholz stürzte. Hinter mir erzählten Knurren und Krachen vom anhaltenden Kampf. Ich hatte keine Ahnung, warum der Wolf seinen Meister angegriffen hatte, aber ich würde die Gelegenheit nicht verschwenden.

Ich rannte blindlings, ohne mich um Richtung oder Ziel zu kümmern. Mein einziger Gedanke war Flucht.

Der Wald wurde dichter, dunkler. Ohne Lykos' Leuchten konnte ich kaum sehen. Ich stolperte wiederholt, jeder Sturz schmerzhafter als der letzte. Meine Lungen brannten, meine Beine schrien vor Anstrengung, aber ich trieb mich weiter.

Eine schreckliche Stille senkte sich hinter mir. Der Kampf hatte aufgehört.

Er kam.

Panik gab mir neue Kraft. Ich bog scharf nach rechts ab, in der Hoffnung, die Verfolgung abzuschütteln. Mein Fuß verfing sich in etwas – einer Wurzel, einem Stein – und schickte mich erneut zu Boden. Diesmal explodierte Schmerz in meinem Knie, als es auf einen Felsen traf.

Ich unterdrückte einen Schrei und zwang mich aufzustehen. Weiterbewegen. Einfach weiterbewegen.

Die Luft veränderte sich. Druck baute sich auf. Er war nah.

Ich huschte zwischen zwei massiven Kiefern hindurch und duckte mich unter tief hängenden Ästen. Wo konnte ich mich vor jemandem verstecken, der durch Geruch verfolgen konnte? Der sich schneller bewegen konnte, als meine Augen folgen konnten?

Ein Schatten löste sich vor mir aus der Dunkelheit. Ich kam schlitternd zum Stehen und änderte die Richtung. Ein weiterer Schatten zu meiner Linken. Ich wurde eingekreist.

"Genug," kam seine Stimme, unheimlich ruhig und direkt hinter mir.

Ich wirbelte herum und wich zurück. Der Lykaner-König stand nur wenige Meter entfernt, nicht einmal außer Atem von der Jagd. Seine Kleidung war vom Kampf zerrissen und gab Einblicke auf einen muskulösen Oberkörper, der mit weiteren komplizierten Tätowierungen bedeckt war. Blut – sein eigenes – verschmierte seinen Kiefer, aber er schien sich nicht um die Verletzung zu kümmern.

"Bleib weg von mir," warnte ich, obwohl das Zittern in meiner Stimme jeden Versuch von Tapferkeit zunichte machte.

Sein Gesichtsausdruck blieb unbewegt. "Du kannst nicht vor mir davonlaufen."

"Sieh zu," spuckte ich und drehte mich um, um wieder zu sprinten.

Ich schaffte genau zwei Schritte, bevor er mich von hinten zu Boden riss. Sein Körper drückte meinen auf den Waldboden, eine Hand vergrub sich in meinem Haar, um meinen Kopf zurückzuziehen. Sein anderer Arm schlang sich wie ein Stahlband um meine Taille.

"Ich sagte genug," knurrte er in mein Ohr.

Ich wand mich wild und versuchte, seinen Griff zu brechen. Es war, als würde man gegen einen Berg kämpfen.

"Lass mich los!" schrie ich, Terror und Wut verschmolzen zu verzweifelter Kraft.

Sein Griff wurde nur fester. "Sei still, Mensch, oder ich werde dich zum Stillsein bringen."

"Fick dich," knurrte ich und stieß meinen Ellbogen mit aller Kraft nach hinten.

Ich spürte, wie der Schlag seine Rippen traf. Er grunzte und lockerte kurz seinen Griff. Ich drehte mich und rutschte teilweise unter ihm hervor, aber er erholte sich sofort. Seine Hand klemmte sich über meinen Mund und erstickte meine Schreie. Sein Gewicht verlagerte sich und nagelte mich vollständig fest.

"Hör gut zu," sagte er, seine Stimme ein tödliches Flüstern an meinem Ohr. "Meine Geduld ist erschöpft. Du wirst aufhören zu kämpfen. Du wirst meine Fragen beantworten. Oder ich werde dich bewusstlos machen, und du wirst sie beantworten, wenn du aufwachst. Die Wahl liegt bei dir."

Seine kalte Präzision erschreckte mich mehr als jedes Schreien es gekonnt hätte. Dies war ein Mann, der absoluten Gehorsam gewohnt war.

Ich nickte leicht, die einzige Bewegung, die sein Griff erlaubte.

"Gut," sagte er und nahm seine Hand von meinem Mund, behielt aber sein erdrückendes Gewicht auf mir. "Nun, wer bist du und warum bist du in diesen Wäldern?"

"Hazel Croft," keuchte ich und rang unter seinem Gewicht nach Luft. "Ich bin vor dem Blue Mountain Pack weggelaufen."

"Warum?"

"Sie haben mich verstoßen. Mich zum Omega gemacht." Ich schluckte schwer. "Sie haben mir wehgetan."

Etwas veränderte sich in seinem Gesichtsausdruck – nicht gerade Mitgefühl, aber ein Funken Interesse. "Mensch. Omega. Und du hast lange genug überlebt, um zu fliehen?"

Bevor ich antworten konnte, umhüllte Dunkelheit die Ränder meines Sichtfeldes. Die Kombination aus Erschöpfung, Angst und seinem erdrückenden Gewicht wurde zu viel. Das Letzte, was ich sah, waren diese sturmgrauen Augen, die mich mit kalter Faszination studierten, während das Bewusstsein entglitt.