Asher
Ich will sie sehen.
Das Winseln meines Wolfes ist laut und erbärmlich in meinem geistigen Gehörgang, aber ich ignoriere es. Er hat einen Käfer im Arsch, seit er gegen meine Befehle bei der Gefährtensuche des Blauer-Berg-Rudels eingeschlichen ist.
Er sollte die Bewegungen des Alphas des Blauen Berges überprüfen, nicht irgendein menschliches Mädchen jagen...
Das Krachen von Knochen gegen Knochen hallt durch den Trainingsraum. Die Faust meines Betas trifft auf meinen Kiefer, ein Schlag, der jeden anderen Wolf bewusstlos schlagen sollte.
"Du bist nicht bei der Sache." Wolf-Auge umkreist mich auf der Matte, sein rotes Haar hat sich aus dem Zopf gelöst. "Wann habe ich das letzte Mal so leicht einen Treffer gelandet? Als wir fünfzehn waren?"
Ich spucke Blut auf den Boden. Der kupferne Geschmack verweilt auf meiner Zunge. "Nochmal."
"Warum sagst du mir nicht einfach, was los ist? Du bist seit Tagen ein erstklassiges Arschloch von einem Chef."
Sie riecht köstlich. Wie Blaubeermuffins und Frühlingsmorgen. Fenris' Stimme schwebt durch meinen Geist, verspottend.
"Halt den Mund," fahre ich ihn an.
Wolf-Auges Augenbraue hebt sich. "Ich habe nichts gesagt."
Meine Finger ballen sich zu Fäusten. Die Tätowierungen unter meinem Hemd brennen, eine ständige Erinnerung an den Segen des Lykaner-Throns. Ein Segen, der sich in den letzten Tagen in einen Fluch verwandelt hat.
Fenris schnaubt. Du kannst mich nicht von ihr fernhalten.
"Pass auf." Ich stürze mich auf Wolf-Auge und kanalisiere meine Frustration in jeden Schlag.
Er blockt, kaum. "Mit wem redest du? Macht Fenris dir Ärger?"
Ein tiefes Knurren dringt aus meiner Brust. "Konzentriere dich auf den Kampf."
"Du zuerst!" Wolf-Auge fegt mir die Beine weg.
Ich schlage auf der Matte auf. Der Aufprall schießt durch meine Wirbelsäule, aber ich rolle mich ab und springe wieder auf. Schweiß tropft über meine Brust und durchnässt mein Hemd.
Sie braucht uns, beharrt Fenris.
"Sie braucht nichts von uns." Es dauert nur eine Sekunde, um die Lücke zwischen uns zu schließen. Meine Faust trifft Wolf-Auges Rippen. Das befriedigende Knirschen tut nichts, um Fenris zum Schweigen zu bringen.
Wolf-Auge taumelt zurück, keuchend. "Sie? Ist eine Frau involviert?"
Meine Augen verengen sich, als er jeden Anschein des Sparrings aufgibt. "Lass es," warne ich ihn, als ob er nicht mein bester Freund und zudem mein Beta wäre.
"Du hast Fenris ins Territorium des Blauen Berges gelassen." Er richtet sich auf und drückt eine Hand an seine Seite, während er die Situation einschätzt. "Während ihrer Gefährtensuche. Hast du deine gefunden?"
Sag es ihm. Sag ihm, wie perfekt sie ist. Wie sie uns im Wald vertraut hat.
"Fenris, ich schwöre—"
Du kannst nicht leugnen, was du gefühlt hast. Was wir beide gefühlt haben.
Wolf-Auges Augen verengen sich. "Das hast du. Du hast deine Gefährtin gefunden, nicht wahr? Dein Wolf ist von jemandem besessen."
Meine Backenzähne mahlen aufeinander. "Mein Wolf muss sich an seinen Platz erinnern."
Mein Platz ist, wo immer sie ist.
Der Raum dreht sich. Die Tätowierungen brennen heißer, Fenris kämpft gegen unsere Verbindung. Ich greife nach der nächsten Wand, um mich zu stabilisieren.
"Asher?" Wolf-Auge tritt vor.
"Bleib zurück!"
Ich gehe zu ihr. Heute Nacht. Mit oder ohne deine Erlaubnis.
"Einen Teufel wirst du." Die Worte reißen in einem Knurren aus meiner Kehle.
Schmerz zerreißt meine Brust. Die Tätowierungen leuchten blau unter meinem Hemd, pulsierend mit jedem von Fenris' Versuchen, sich zu befreien. Meine Knie geben nach.
"Was passiert?" Wolf-Auges Stimme klingt fern.
Sie ist allein. Verängstigt. Sie haben sie verstoßen. Sie haben meinen Geruch abgewaschen.
"Das ist nicht unser Problem."
Es wurde zu unserem Problem, als du mich in dieser Nacht beschützen ließest.
Meine Finger graben sich in die Matte. "Ich habe dich nichts tun lassen. Du bist ohne meine Zustimmung weggelaufen."
"Wer ist sie?" Wolf-Auge hockt sich neben mich, seine übermäßig freundliche Stimme geht mir auf die Nerven.
Sag es ihm. Sag ihm, wie du durch meine Augen zugesehen hast, als sie sich an unser Fell schmiegte. Wie dein Herz stehen blieb, als sie lächelte.
"Genug!"
Die Tätowierungen flammen auf, und blaues Licht erfüllt den Raum. Als es verblasst, steht Fenris vor uns, seine massive Gestalt wirft Schatten über den Boden. Seine sturmgrauen Augen treffen auf meine.
"Du kannst mich nicht aufhalten, Asher." Fenris' Stimme hallt sowohl in meinem Geist als auch im Raum wider, fließt mit einem Puls von Alpha-Aura heraus und lässt Wolf-Auge stolpern. "Nicht dieses Mal."
"Verdammt. Ich hasse es, wenn er das tut."
"Komm zurück." Ich stoße mich auf die Füße, aber Fenris wendet sich ab.
"Ich bin es leid, dir zuzusehen, wie du leugnest, was wir beide wissen." Seine Krallen klicken auf dem Boden, während er geht. "Sie steht unter unserem Schutz."
"Sie ist ein Mensch. Es gab noch nie eine schicksalhafte Verbindung zwischen einem Lykaner und einem Menschen, und das weißt du."
Fenris hält an der Tür inne. "Sie gehört zu uns."
Das blaue Leuchten verstärkt sich, und er verschwindet. Die plötzliche Leere in meinem Geist bestätigt, dass er weg ist, rast in Richtung des Territoriums des Blauen Berges. Zu ihr.
"Willst du mir erzählen, worum es ging?" Wolf-Auges Stimme durchbricht meine Wut.
Ich stöhne. Er ist der hartnäckigste Bastard und hat eine seltsame Vorliebe für die Filme der Menschen. Solche mit unerklärlich dramatischen Handlungssträngen. Er wird nicht aufhören, bis er alles weiß. "Nein."
"Pech. Dein Wolf hat sich gerade ohne deine Erlaubnis manifestiert und ist zu irgendeiner Frau gerannt. Fang an zu reden."
Ich schlage meine Faust in die Wand. Der Beton reißt, Blut läuft über meine Knöchel. "Es gibt nichts zu sagen."
Mein Beta blinzelt nicht einmal, unbeeindruckt von meinem Zorn. Er ist sowieso nicht auf ihn gerichtet, und das weiß er. "Klar. Weil es völlig normal ist, dass der Wolf des Lykaner-Königs ausbricht und einem menschlichen Mädchen hinterherläuft."
"Lass es."
"Ist sie der Grund, warum du abgelenkt warst? Warum du mich Treffer landen lässt, die nicht treffen sollten?"
Das Blut tropft auf den Boden. Ein Tropfen. Zwei. Drei. "Sie ist nichts."
"Sag das Fenris." Wolf-Auge bewegt sich zur Tür. "Ich werde ihn verfolgen—"
"Nein." Das Wort kommt als Knurren heraus, und es liegt nicht daran, dass eine Vision von Wolf-Auge, der die fremde Frau tröstet, irritierender ist als Fenris' Besessenheit von ihr. Das kann unmöglich der Grund sein. Sie ist nur ein menschliches Mädchen. "Ich werde mich selbst darum kümmern."
Wolf-Auge grinst. "Weißt du, ich glaube, wir haben das Blauer-Berg-Rudel seit Jahren nicht besucht. Sie sind fällig für eine offizielle Delegation, was in den Zuständigkeitsbereich des Betas fällt—"
Meine Augen verengen sich bei Wolf-Auges Grinsen. Das Blut an meinen Knöcheln ist bereits getrocknet, die Schnitte bereits geheilt, aber das Brennen bleibt. "Welches Schema du auch immer planst, lass es fallen."
"Weißt du, was lustig wäre?" Er lehnt seinen Rücken gegen die Wand und verschränkt die Arme. "Wenn sich herumspräche, dass der mächtige Lykaner-König nach seiner Gefährtin sucht. Sie würden die Delegation mit offenen Armen empfangen."
"Denk nicht einmal daran."
"Komm schon. Denk an die Möglichkeiten." Er gestikuliert mit seinen Händen und malt ein unsichtbares Bild. "Der mysteriöse und grüblerische Hohe Alpha, endlich bereit, sein Herz wieder zu öffnen—"
"Ich werde dir die Zunge herausreißen."
"Es würde diese anderen Gerüchte zum Schweigen bringen. Die über..." Seine Stimme verstummt, aber die Bedeutung hängt schwer in der Luft.
"Die Gerüchte helfen mehr, als sie behindern." Eis überzieht jedes Wort. Angst hält die Ordnung besser aufrecht als Respekt.
Wolf-Auges Ausdruck wird ernster. "Und wie genau planst du, das dem neuen Mädchen zu erklären? 'Willkommen im Rudel, übrigens denken alle, ich hätte meine letzte Gefährtin ermordet'?"
Ein Knurren baut sich in meiner Brust auf, tief und bedrohlich. "Ich bringe kein menschliches Mädchen ins Rudel."