Wie lange stehe ich hier schon, die Augen angestrengt in die stetig wachsende Dunkelheit gerichtet?
Wer weiß das schon. Ich jedenfalls nicht.
Die Heuler verändern sich; viele jagen noch immer. Einige haben ihre Gefährten gefunden. Heult Xander da draußen, teilt er einen freudigen Lauf mit seiner neugefundenen Gefährtin?
Diese hübsche kleine rote Wölfin, die wunderschöne Frau darin – sie ist alles, was ich nicht bin.
Mein Atem entweicht in nebligen Schwaden, eine sichtbare Erinnerung an die Temperatur, obwohl mein Körper schon längst kalt ist.
Meine Zähne klappern, als ich meine Arme um mich schlinge, endlich aus meinem Trancezustand erwacht, um über unmittelbarere Sorgen nachzudenken. Wie zum Beispiel, wie ich nach Hause komme.
Ich war noch nie besonders gut darin, die Sterne zu lesen. Alpha hat mich immer gewarnt, dass ich diese grundlegenden Fähigkeiten lernen sollte; ich habe keinen inneren Kompass und bin schrecklich im Spurenlesen. Aber ich lebe mit Wölfen zusammen, also verbringe ich nicht viele Nächte allein draußen. Es ist zu gefährlich.
Der Wald erstreckt sich endlos, nichts als Schatten und das Rascheln von Blättern und Heulen in der Ferne.
Zumindest scheint niemand in meiner Nähe zu sein. Hoffentlich bedeutet das, dass ich nahe an zu Hause bin. Ich wähle eine Richtung nach dem Zufallsprinzip und bete, dass sie mich aus diesem Albtraum herausführt.
Wer würde mir das antun, mich für ein so grausames Schicksal aufstellen? Die Fragen wirbeln in meinem Kopf, aber Antworten sind außer Reichweite. Ja, es gibt gelegentlich Streiche, wenn man mit Wölfen zusammenlebt. Es gibt Belästigungen. Es gibt sogar eine ganze Menge Mobbing, das ich schweigend ertrage.
Aber das hier? Mein Leben zu bedrohen, mich mitten in die Gefährtensuche zu stellen, wissend, dass jederzeit ein frustrierter Wolf mich jagen könnte?
Menschliche Frauen sind sich der Statistiken vollkommen bewusst; ungebundene männliche Gestaltwandler sind ihre größte Angst. Jeder männliche Gestaltwandler in menschlichem Gebiet steht automatisch unter Verdacht, wenn ein Fall von sexuellem Übergriff auftaucht.
Es ist kein Geheimnis in der Gestaltwandler-Gemeinschaft; es ist ein Kampf, mit dem jedes Rudel zu tun hat. Die meisten Übergriffe kommen von Einzelgängerwölfen, aber nicht alle. Es ist einer der vielen Gründe, warum sie in den meisten menschlichen Gemeinschaften nicht willkommen sind.
Wer also würde so grausam sein, in dem Wissen um mein wahrscheinliches Schicksal?
So unbeliebt ich im Rudel auch sein mag, gehasst werde ich im Allgemeinen nicht.
Der Waldboden beißt bei jedem Schritt in meine nackten Füße. Zweige knacken, Blätter rascheln, und scharfe Steine bohren sich in meine Sohlen. Meine Zehen krümmen sich gegen die kalte, feuchte Erde. Jeder Schritt sendet einen Schmerzstoß von meinem pochenden Knöchel mein Bein hinauf.
Ich krache durch das Unterholz, alle Violet aufgegeben. Äste peitschen über mein Gesicht und meine Arme und hinterlassen stechende Striemen.
"Bewege dich leise. Verschmelze mit dem Wald. Besonders weil du ein Mensch bist, musst du dich wie ein Wolf bewegen."
Xanders Stimme hallt ungebeten in meinem Kopf wider. Tränen stechen in meinen Augen, als ich mich an seine geduldigen Anweisungen erinnere, seine warmen Hände, die mich durch den Wald führten. Wie viele Nächte haben wir hier draußen verbracht, während er mir beibrachte, mich in der Wildnis zurechtzufinden?
Nein. Ich schiebe die Erinnerungen beiseite und blinzle wütend gegen die Feuchtigkeit an, die überzulaufen droht.
Aber sie kommen weiter, unerbittlich wie die Kälte, die in meine Knochen kriecht.
"Pass auf, wohin du trittst. Siehst du, wie ich meinen Fuß aufsetze? Rolle von der Ferse zu den Zehen, vermeide alles, was knacken oder rascheln könnte."
Ich stolpere über eine Wurzel und falle fast mit dem Gesicht voran in die Blätterschicht. Jede meiner Bewegungen kündigt meine Anwesenheit an.
"Du machst das großartig, Violet. Bald wirst du dich so gut bewegen wie jeder Wolf."
Ein ersticktes Schluchzen entweicht meinen Lippen, bevor ich es aufhalten kann. Xanders stolzes Lächeln, die Wärme in seinen Augen, als er meine Fortschritte beobachtete – all das ist jetzt beschmutzt. Vergiftet durch die kalte Ablehnung in denselben Augen vor wenigen Stunden.
Scheiß auf diesen Gefährten-Quatsch.
Wer will schon einen Mann, der sich wegen ein bisschen Pheromonen so sehr verändert?
Ich hinke weiter, jeder Schritt ein Kampf gegen Schmerz und Erschöpfung. Schatten tanzen am Rande meines Blickfelds und nehmen die Gestalt von lauernden Wölfen an. Ab und zu zucke ich herum, überzeugt, dass mir etwas folgt.
Aber da ist nichts.
Selbst entfernte Heuler sind verstummt.
"Wenn du dich jemals verloren oder verängstigt fühlst, dann höre einfach. Der Wald wird dich nach Hause führen."
Zuhause. Das Wort klingt jetzt hohl. Die Person, von der ich dachte, sie sei meine Zukunft, hat mir den Rücken gekehrt.
Ein weiterer Zweig bricht unter meinem Fuß, das Geräusch unmöglich laut in der stillen Nacht. Erst da wird mir bewusst, dass sogar das Geräusch der Insekten verstummt ist.
Das ist nicht gut.
Irgendwo ist ein Raubtier.
Ich erstarre, das Herz hämmert, während ich meine Ohren nach jedem Anzeichen einer Verfolgung anstrenge. Nichts außer dem Flüstern des Windes durch die Blätter. Ein weiteres fernes Heulen. Und noch eines, das von den Bäumen widerhallt.
Aber nichts in der Nähe, trotz der unheimlichen Stille.
Ich zwinge mich weiterzugehen und ignoriere das Brennen in meinen Muskeln und den Schmerz in meiner Brust, der nichts mit körperlicher Anstrengung zu tun hat. Wie spät ist es? Ich kann meine Zehen nicht mehr spüren. Oder meine Finger.
Und jeder Baum sieht aus wie der letzte, jeder Schatten verbirgt potenzielle Gefahren.
"Denk daran, Violet. Du bist stärker, als du weißt. Lass niemals zu, dass jemand dich weniger fühlen lässt, als du bist."
Xanders Worte waren einst eine Quelle des Trostes. Der Stärke. Jetzt sind sie ein Messer. Eines dieser gezackten mit den seltsamen kleinen Haken am Ende. Wenn man sie herauszieht, zerstören sie alles.
Wie schnell sich diese Gefühle änderten, als er seinem wahren Gefährten gegenüberstand. Wie leicht ich weggeworfen wurde, all unsere gemeinsamen Momente bedeutungslos gemacht.
Tränen verschwimmen meine Sicht, als ich mich durch ein dichtes Stück Unterholz kämpfe. Dornen schneiden über meine Haut, aber ich spüre den Stich kaum. Es ist nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der durch mein Herz reißt.
Ich tauche in eine kleine Lichtung ein. Keine Bäume über mir. Keine unheimlichen Schatten. Nur silberblaues Mondlicht, das auf unmöglich üppigem Gras ruht, unversehrt von toten Blättern.
Es ist unnatürlich perfekt hier.
In der Ferne heult ein Wolf. Egal wie viele Jahre ich mit diesem Rudel gelebt habe, der Klang sendet immer einen Schauer über meinen Rücken. Urinstinkt, sagte Alpha immer.
Wie oft hatte ich neben Xander gestanden und voller Ehrfurcht zugesehen, wie er sich verwandelte und seine Stimme zum Lied des Rudels hinzufügte?
Jetzt enthält dieses Heulen kein Wunder, keine Schönheit mehr.
Nur Bitterkeit und Schmerz.
Ich reibe meine Hände über meine Arme, ein vergeblicher Versuch, Wärme zu erzeugen. Meine Zähne klappern, als ich vorwärts stolpere, die Augen huschen um die unheimlich perfekte Lichtung. Irgendetwas an diesem Ort fühlt sich seltsam an, aber ich kann nicht genau sagen, warum.
War ich schon einmal hier? Das Gras, unberührt von herabgefallenen Blättern, schimmert silberblau im Mondlicht. Es ist wunderschön, aber falsch. Unnatürlich.
Eine Falte zieht an meinen Lippen. Dieser Wald ist mein Zuhause – oder war es. Ich habe so viel davon mit Xander erkundet. Aber ich habe keine Erinnerung an diesen Ort.
Wenn es nur Tageslicht wäre. Die Sonne würde mich führen, selbst mit meinem schlechten Orientierungssinn. Ich könnte dann so leicht meinen Weg zurückfinden.
Ein Zweig knackt.
Mein Kopf schnellt hoch, das Herz springt mir in den Hals. Die unnatürliche Stille drückt herein, erstickend. Keine Insekten zirpen. Keine Nachtvögel rufen. Selbst der Wind scheint den Atem anzuhalten.
Etwas bewegt sich in den Schatten.
Ich erstarre, die Augen angestrengt gegen die Dunkelheit. Noch ein Rascheln. Jetzt näher.
Und dann—
Oh. Gott.
Ein massiver Wolf taucht aus der Baumgrenze auf. Nein, nicht nur massiv. Kolossal. Monströs.
Ich habe Alpha in seiner Wolfsform gesehen. Ich habe Xanders kraftvollen Körperbau bewundert. Dieses Geschöpf lässt beide wie Zwerge aussehen. Es könnte Xanders Wolf mit einem einzigen Biss verschlingen. Wie konnte es sich überhaupt zwischen den Bäumen verstecken? Es ist unmöglich groß.
Mitternachtsschwarzes Fell absorbiert das Mondlicht, als würde die Essenz des Schattens selbst an seinem Pelz haften. Aber dort – ein schwaches blaues Glühen pulsiert darunter, wie Adern aus Sternenlicht.
Mir stockt der Atem. Mein Herz schlägt so hart, dass ich sicher bin, das Biest kann es hören.
Das ist nicht möglich. Wölfe werden nicht so groß. Sie leuchten nicht.
Ich blinzle heftig, sicher, dass ich halluziniere. Vielleicht habe ich mir den Kopf gestoßen. Vielleicht liege ich bewusstlos im Wald, und das ist alles nur ein Fiebertraum.
Der Wolf macht einen Schritt nach vorne. Der Boden zittert.
Also kein Traum.
Ich sollte rennen. Jeder Instinkt schreit mich an zu fliehen. Aber meine Beine bewegen sich nicht. Ich bin wie festgewurzelt, gefangen im Blick des Geschöpfs.
Seine Augen. Gott, seine Augen. Sie brennen mit einer Intelligenz, die weit über jedes Tier hinausgeht, dem ich je begegnet bin. Selbst die Gestaltwandler in ihrer Wolfsform haben keine solchen Augen. Sie sind wie Sturmwolken, grau und turbulent.
Uralt. Wissend. Mächtig.
Und natürlich direkt auf mich gerichtet. Hat mich wahrscheinlich schon von einer Meile Entfernung gehört. Dumme, dumme Violet. Hätte mein Bestes tun sollen, um leise zu sein, selbst wenn es ein Jahr gedauert hätte, nach Hause zu kommen. Zumindest wäre ich nach Hause gekommen und nicht von einem riesigen, leuchtenden Wolf gefressen worden – oder Schlimmeres.
"Du übertrittst das Gebiet des Blauer-Berg-Rudels," sage ich dem Wolf mit einer Kühnheit, die in meinem Körper gar nicht existiert.
Meine Beine zittern, und ich bin ziemlich sicher, dass er meine Erschöpfung und meinen Schmerz riechen kann. Es gibt keine Möglichkeit, dass ich einen Wolf alleine verscheuchen kann. Ich kann nur hoffen, dass sie Alphas furchterregenden Ruf fürchten.
Der Wolf schnaubt nur. Alphas furchterregender Ruf beeindruckt ihn wohl nicht.
Mein Herz hämmert, als er näher trottet, jeder Schritt bedächtig und ohne Eile. Mondlicht fängt sich in seinem Fell, aber ich schwöre, es saugt es einfach auf und erzeugt Dunkelheit um sich herum.
"Bleib zurück," warne ich ihn und versuche, stark zu bleiben, trotz des Zitterns in meiner Stimme.
Ich bin nicht so mutig, okay? Ich bin nur ein Mensch. Wölfe sind furchterregende Kreaturen. Versuch mal, in der Wildnis einem gegenüberzustehen; wenn man die Kraft in ihren Körpern kennt, ist es unmöglich, ruhig zu bleiben, wenn sich ein fremder nähert.
Sie sind nicht wie Hunde – nicht dass wir hier Hunde hätten. Die wollen nichts mit Wölfen zu tun haben.
Ich mache einen Schritt zurück, verzweifelt bemüht, Abstand zu halten, aber mein Knöchel gibt unter mir nach. Eine Sekunde später trifft mein Hintern auf Gras.
Panik flutet mein System. Ich versuche, wieder auf die Füße zu kommen, die Hände kratzen über die Erde. Aber bevor ich mich aufrichten kann, tut der Wolf etwas Unerwartetes.
Er legt sich hin.
Die massive Kreatur lässt sich auf den Bauch sinken, nur wenige Meter von mir entfernt. Seine Ohren stellen sich nach vorne, der Kopf in dem, was nur als Neugier beschrieben werden kann, geneigt. Ich erstarre, der Atem in meiner Kehle gefangen.
Das ist nicht das Verhalten eines Raubtiers, das kurz vor dem Angriff steht. Die Körpersprache des Wolfes spricht eher von Interesse als von Aggression. Dennoch bleiben meine Muskeln angespannt, bereit, bei der geringsten Provokation davonzustürzen.
"Was willst du?" flüstere ich, als ob das Erhöhen der Lautstärke meiner Worte den unsicheren Frieden zerstören könnte.
Die Ohren des Wolfes zucken beim Klang meiner Stimme. Seine Augen, leuchtend in der Dunkelheit, bleiben mit einer beunruhigenden Intensität auf mich gerichtet.
Ein Windstoß peitscht durch die Bäume, und heftige Schauer rütteln an meinen Knochen. Wer auch immer mich nur mit BH und Unterhose in die Wildnis geworfen hat, ist ein sadistischer Bastard. Es ist kalt in der Nacht. Fast Gefrierpunkt.
Der Wolf muss mein Unbehagen bemerken, denn er stößt ein sanftes Schnauben aus. Er neigt den Kopf zur anderen Seite, als versuche er, mich zu enträtseln.
"Ich nehme nicht an, dass du eine Decke in diesem Fellmantel versteckt hast?"
Der Schwanz des Wolfes schlägt einmal gegen den Boden, aber natürlich antwortet er nicht. Großartig. Jetzt mache ich schon Witze über eine potenziell tödliche Kreatur. Der Schock muss eingesetzt haben.
Ich nehme einen tiefen, beruhigenden Atemzug und versuche, meine Situation einzuschätzen. Ich bin allein im Wald, verletzt und stehe einem Wolf gegenüber, der größer ist als jeder, den ich je gesehen habe. Und doch... er scheint nicht die Absicht zu haben, mir zu schaden.
Vielleicht soll er hier sein? Aber ich denke, ich hätte von einem riesigen Wolf gehört. Die Leute reden ständig über Alphas Größe und sagen, er sei massiv. Sie haben diesen Kerl offensichtlich noch nie gesehen.
"Bist du wegen der Gefährtensuche hier?"
Das Ohr des Wolfes zuckt. Ich bin mir sicher, dass es ein Gestaltwandler ist, aber warum verwandelt er sich nicht, um mit mir zu sprechen? Warum in Wolfsform bleiben, wenn er nicht angreifen will?
Ein weiterer Schauer schüttelt meinen Körper, und ich schlinge meine Arme um mich, um die wenige Wärme zu bewahren, die ich noch habe. Der Wolf beobachtet diese Aktion mit etwas, das fast wie Besorgnis aussieht. Oder vielleicht ist das nur Wunschdenken.
"Ich nehme nicht an, dass du bereit wärst, etwas von dieser Körperwärme zu teilen?" scherze ich schwach. "Nein? Dachte ich mir."
Zu meinem völligen Schock erhebt sich der Wolf auf die Füße. Mein Atem stockt, Angst schießt erneut durch mich. Aber anstatt anzugreifen, macht er einen Schritt näher, dann noch einen.
Panik durchströmt mich. Warum kommt er jetzt auf mich zu? Ich dachte, wir hätten bereits festgestellt, dass er mich nicht fressen will. "Was machst du?" frage ich, meine Stimme nur ein kleines bisschen schrill.
Der Wolf antwortet natürlich nicht. Er setzt einfach seinen Weg fort, bis er direkt neben mir ist. Dann, mit einer Violet, die seine massive Größe Lügen straft, lässt er sich erneut zu Boden sinken. Diesmal drückt er jedoch seinen warmen, pelzigen Körper gegen meine Seite.
Ich sitze da, starr vor Ungläubigkeit, während die Wärme des Wolfes in mich eindringt. Es ist, als säße man neben einem pelzigen Ofen.
Einem stinkenden.
Da ist auch ein moschusartiger Geruch, der nicht ganz unangenehm, aber schwer zu ignorieren ist.
"Danke," sage ich diesem seltsamen Gestaltwandler, der es vorzieht, anonym zu bleiben.
Er wickelt seinen Schwanz um mich, wie eine Decke, die den eisigen Wind abhält, während er seinen Kopf auf seine Pfoten legt und die Augen schließt.
Während die Minuten verstreichen und der Wolf keine Anstalten macht, mir zu schaden, entspanne ich mich allmählich. Die Wärme seines Körpers und der stetige Rhythmus seines Atems wiegen mich in einen Zustand der Ruhe, den ich angesichts der Umstände nicht für möglich gehalten hätte.
Ab und zu durchbricht ein Heulen die Nacht und lässt mich zusammenzucken. Das wird wahrscheinlich bis zum Morgen so weitergehen. Der Wolf blickt jedes Mal zum Himmel, seine Ohren zucken herum, während er lauscht, aber er antwortet nicht ein einziges Mal.
Als das Gefühl in meine Gliedmaßen zurückkehrt, meist in Form von schmerzhaftem Kribbeln, schweifen meine Gedanken zu Gedanken an zu Hause. Das Rudel-Haus ist nicht weit – vielleicht eine Stunde Fußmarsch durch vertrautes Gebiet. Aber es ist kalt, und ich habe das Gefühl, dass mein lebender Ofen kein Interesse daran hat, mein tragbarer zu werden.
"Planst du, vor Sonnenaufgang aufzubrechen?" frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne.
Der Wolf atmet schwer durch die Nase aus, ein Geräusch, das zu sagen scheint: "Keine Chance."
Ich seufze und ergebe mich einer Nacht im Wald. Zumindest bin ich nicht mehr allein. Der Gedanke an Alexander blitzt durch meinen Kopf und bringt eine neue Welle des Schmerzes mit sich. Ich schiebe ihn beiseite und konzentriere mich stattdessen auf das stetige Heben und Senken der Brust des Wolfes.
Sein Schwanz bleibt über mich drapiert wie eine lebende Decke, und ich ertappe mich dabei, wie ich gedankenverloren das dicke Fell streichle. Es ist weicher als erwartet, fast seidig unter meinen Fingerspitzen.
"Warum verwandelst du dich nicht? Wir könnten tatsächlich reden, weißt du."
Der Kopf des Wolfes hebt sich, graue Augen fixieren mich mit einem unlesbaren Blick. Dann, ohne Vorwarnung, zieht er seinen Schwanz weg. Der Schwall kalter Luft nimmt die Wärme, die ich gesammelt habe, in einer bloßen Sekunde mit, und ich kann einen Anfall von heftigen Zittern nicht unterdrücken.
Genauso schnell, wie er verschwand, kehrt der Schwanz zurück und legt sich wieder um mich. Der Wolf stößt ein Schnauben aus, das verdächtig nach Verzweiflung klingt. Botschaft laut und deutlich empfangen.
"Okay, okay. Ich verstehe," murmle ich und vergrabe mich tiefer in seiner Wärme. "Keine Verwandlung. Verstanden."
Die Erkenntnis dessen, was dieser Fremde für mich tut – einen Menschen, den er nicht einmal kennt – lässt Dankbarkeit tief in mir aufsteigen, die droht, in Form von Tränen überzulaufen. Ich weigere mich, Tränen über diese Situation zu vergießen. Über Xander. Über... all das.
"Danke," flüstere ich, meine Stimme dick vor Emotionen. "Du bist sehr freundlich. Ich meine es ernst."
Der Wolf nimmt meine Worte nicht zur Kenntnis, legt einfach seinen massiven Kopf zurück auf seine Pfoten. Aber ich schwöre, ich spüre, wie sein Körper sich nur einen Bruchteil mehr gegen meinen entspannt.
Während die Nacht voranschreitet, beginnt das Adrenalin, das mich wach gehalten hat, zu verblassen. Meine Augenlider werden schwer, während ich kämpfe, um wach zu bleiben. Es ist ein verlorener Kampf. Der rhythmische Klang des Atems des Wolfes wiegt mich in einen Zustand des Halbschlafs, meine Gedanken werden verschwommen und zusammenhanglos.
Ich treibe in und aus dem Bewusstsein, nie ganz schlafend, aber auch nicht ganz wach. In diesem Dämmerzustand verschwimmen Erinnerungen und Träume miteinander. Alexanders Gesicht schwebt vor mir, aber es ist irgendwie anders – kälter, distanzierter. Dann verändert es sich, schmilzt in die warmen, stürmisch grauen Augen des Wolfes neben mir.
Ein besonders lautes Heulen reißt mich für einen Moment zurück ins Bewusstsein. Die Ohren des Wolfes zucken, aber er bewegt sich ansonsten nicht. Ich lehne mich wieder an seine Seite und lasse mich erneut hinunterziehen.
Ich bin mir nicht sicher, wie viel Zeit so vergeht. Minuten? Stunden? Es fühlt sich an, als wäre ich für immer in diesem seltsamen, traumähnlichen Zustand suspendiert gewesen, als sich plötzlich alles ändert.
Der Körper unter mir wird steif. Ein tiefes, rumpelndes Knurren vibriert durch die Brust des Wolfes und in meine, reißt mich in einem Augenblick vollständig wach. Mein Herz springt mir in den Hals, als ich mich aufsetze, jeder Nerv in höchster Alarmbereitschaft.
"Was ist los?" flüstere ich und scanne die Dunkelheit nach jedem Anzeichen von Gefahr. "Was stimmt nicht?"
Der Wolf antwortet natürlich nicht. Er steht jetzt auf den Beinen, die Nackenhaare gesträubt und die Zähne gefletscht gegen etwas, das ich nicht sehen kann. Das Knurren geht weiter, tief und bedrohlich.