Ich lag noch immer da. Der Schweiß trocknete langsam auf meiner Haut, aber mein Blick war klarer. Die Hitze war gewichen, zurück blieb eine seltsame Stille in mir – nicht leer, sondern lauernd.
Fenris hatte nicht gesprochen, seit ich erwacht war. Doch sie war da.
Ich richtete mich langsam auf, stützte mich auf den gesunden Arm und sah sie an.
„Du sagtest, das Blut in mir war immer ein Teil von mir.“
Meine Stimme war leise, heiser.
„Aber das stimmt doch nicht. Es ist dein Blut. Dein Erbe. Deine Kraft. Und du hast es mir gegeben. Es war nie in mir. Es ist jetzt… einfach dort.“
Sie schwieg. Lange.
Dann senkte sie leicht den Kopf.
„Du hast recht.“
Sie schloss für einen Moment die Augen, als würde sie etwas längst Verschüttetes aus der Tiefe holen.
„Mein Blut ist kein Geschenk wie ein Mantel oder ein Ring. Es ist… ein heiliger Strom. Alt. Wild. Gebunden an Fenrir, meinen Urahn. Gebunden an den Tod der Götter und an das Leben der Wölfe, die danach kamen.
Ich habe es nie zuvor gegeben. Nie. Nicht einmal einem anderen aus meinem Rudel.“
Ich hielt den Atem an.
„Warum mir?“ flüsterte ich.
Sie öffnete die Augen wieder – goldene, klare Tiefe.
„Weil du nicht weggelaufen bist.“
Stille.
Dann sprach sie weiter, ihre Stimme wurde dunkler.
„Weißt du, was passiert, wenn der Falsche mein Blut bekommt?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Es verzehrt ihn. Nicht sofort. Erst wird er stark. Mächtig. Er spürt alles – riecht besser, hört die Gedanken der Nacht, träumt in Runen. Doch dann… zerreißt es ihn von innen. Weil er nicht gelernt hat, zu lauschen. Nur zu nehmen.“
Sie sah mich an, durch mich hindurch.
„Mein Blut verlangt ein Gleichgewicht. Es will, dass du dein Tier erkennst – aber nicht, dass du ein Tier wirst.
Ein Mensch, der nur Macht will…
…wird zu etwas, das weder Wolf noch Mensch ist.“
Ich schluckte schwer.
„Und das ist schon passiert?“
Sie nickte nur.
„Vor vielen Wintern. Der letzte, der trank… hat ein ganzes Tal ausgelöscht. Er war stark. Aber leer. Gierig.“
Sie rückte näher. Legte eine Hand an meine Brust – genau dort, wo mein Herz schlug.
„Ich weiß nicht, warum ich dich gewählt habe. Vielleicht hat etwas in mir gesprochen, das älter ist als mein Wille.
Aber ich habe es getan.
Und jetzt… gehörst du zu mir. Und zu diesem Blut.“
Ich atmete tief.
Nicht aus Angst. Sondern aus Ehrfurcht.
Ich sah sie an. Die Wölfin. Die Frau. Die, die mir ihr Herz gegeben hatte – wortlos, durch Schmerz, durch Risiko.
„Dann werde ich es führen lernen“, flüsterte ich.
„Oder ich verdiene es nicht.“
Fenris lächelte zum ersten Mal nicht wild – sondern weich.
„Dann gibt es Hoffnung.“
Ich sah zu Boden. Meine Stimme zitterte, obwohl mein Körper still war.
„Du sagtest… der Mann damals war innerlich leer.
Aber das bin ich doch auch, Fenris.“
Sie hob den Blick – aufmerksam, vorsichtig.
„Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Vielleicht wusste ich es nie. Vielleicht hab ich mein ganzes Leben nur funktioniert – reagiert statt entschieden. Und jetzt… jetzt lebt etwas in mir, das ich nicht kenne.
Was, wenn ich auch… brenne? Und das Feuer wird nicht Licht – sondern… Zerstörung?“
Sie antwortete nicht sofort. Ich fuhr fort:
„Ich will nicht eines Tages aufwachen und sehen, dass ich… Dörfer niedergerissen, Leben zerstört habe, nur weil ich mich verloren hab. Ich will wissen… wie lange es dauert, bis ich weiß, ob ich zu einer Bestie werde.
Ob ich wirklich für dieses Blut gemacht bin.“
Stille legte sich über den Raum.
Dann trat Fenris näher. Sehr langsam. Kein Raubtier mehr – sondern… eine Wölfin, die etwas sehr Kostbares beschützt.
Sie hockte sich vor mich, ihre Stirn fast auf Augenhöhe mit meiner. Und dann legte sie eine Hand an meine Wange – fest, warm, ruhig.
„Weißt du, warum ich dir vertraue?“
Ich sah sie an. Fragend.
„Weil du dich genau das fragst.“
Ihr Blick brannte sich in mich.
„Die, die zur Bestie werden, sind die, die glauben, sie hätten alles unter Kontrolle. Die, die niemals zweifeln.
Du zweifelst. Du fragst. Du fürchtest, was du werden könntest – und genau das ist dein Anker.“
Ich schloss kurz die Augen. Ihre Hand zitterte nicht. Meine auch nicht mehr.
„Dann bleib“, sagte ich leise. „Bitte.
Du hast mir dein Blut gegeben. Eine Möglichkeit zu überleben.
Aber ich brauche mehr.
Wenn ich falsch gehe –
zieh mich zurück.
Wenn ich die Richtung verliere –
halt mich fest.
Bleib bei mir. Nicht als Führerin. Sondern als die, die diesen Weg mit mir geht.“
Fenris sah mich an. Dann trat sie noch näher. Legte ihre Stirn an meine.
Ein altes Wolfsritual. Kein Kuss. Keine Romantik.
Ein Schwur.
„Ich bleibe.
Ich führe dich nicht – ich geh mit dir.
Und wenn dein Weg dunkel wird…
reiß ich dich zurück ins Licht,
auch wenn du mich hasst.
Denn ich habe dich nicht gerettet, damit du mich verlierst.“
Ich spürte ihr Herz. Es schlug fest. Stark. Und es schlug… mit meinem.
Und für den Bruchteil eines Moments – war ich nicht leer.
Ich war ganz.