Fenris dunkles Geheimnis

Die ersten Tage nach deiner vollständigen Verwandlung waren eine Mischung aus Klarheit und Verwirrung.

Du konntest riechen, wer log.

Du konntest hören, wenn ein Tier starb, Stunden entfernt.

Du konntest fühlen, wie Fenris sich bewegte, selbst im Schlaf.

Doch das neue Ich brachte auch neue Fragen.

> „Bin ich der Einzige?

Gibt es andere wie mich – oder bin ich ein Irrtum?“

Fenris antwortete leise:

> „Du bist kein Irrtum.

Aber du bist… selten.“

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Das erste Rudel

Eines Morgens, noch vor Sonnenaufgang, weckte sie dich.

Ohne ein Wort führte sie dich durch die Wälder, bis zu einem Bach, der in tiefen Nebel gehüllt war.

„Hier“, sagte sie, „sind ihre Spuren.“

Du rochtest es sofort – Menschen… und etwas anderes.

Verwandlung. Wildheit.

Aber nicht wie Fenris.

Nicht rein.

Nicht ganz.

Ihr fandet sie in einer alten Jagdhütte.

Vier Gestalten.

Drei Männer, eine Frau.

Dreckig, witternd, nicht ganz Mensch, nicht ganz Wolf.

Sie sahen dich.

Und erstarrten.

Nicht aus Angst.

Sondern aus Erkennen.

Sie sahen in dir etwas, das sie selbst nicht kontrollierten.

Etwas, das sie wollten – oder fürchteten.

Fenris trat vor.

„Sie sind wie du.

Aber sie hatten niemanden wie mich.“

Die Frau trat näher. Ihre Augen waren gelb – aber unruhig.

„Seit Monaten spüren wir das Knurren im Schlaf.

Seit dem letzten Blutmond ist nichts mehr normal.“

Einer der Männer, der Jüngste, sprach kaum. Er saß am Boden, die Hände zittrig, das Fleisch an seinen Fingern halb vernarbt – von einem Kampf gegen sich selbst.

> „Ich dachte, ich werde verrückt.

Und dann kam der Traum.

Von einem Wolf, der in Ketten lag –

und weinte.“

Du wusstest es.

Fenrir.

Sein Blut in ihnen – aber ohne Leitung.

Ohne Halt.

Nur Angst.

Fenris legte dir die Hand auf die Schulter.

„Willst du sie lehren?

Oder dich von ihnen trennen?“

Du sahst in ihre Gesichter.

Und wusstest:

Dies war dein erstes Rudel.

Nicht stark.

Nicht diszipliniert.

Aber echt.

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Am Feuer in der Nacht

Ihr schlugt ein Lager auf. Fenris blieb zurück, während du mit den anderen sprachst, übtest, testetest.

Du warst nicht mehr Schüler.

Du warst der Erste, der den Weg mit Herz gegangen war.

Sie folgten dir – unsicher, aber mit Hoffnung.

In der Nacht saßst du mit Fenris allein am Feuer.

Du spürtest, wie sie schwieg.

Nicht aus Desinteresse – sondern weil etwas in ihr arbeitete.

> „Sag es“, meintest du.

„Du hältst dich zurück. Warum?“

Sie sah lange ins Feuer.

Dann, sehr leise:

> „Weil ich Angst habe.“

Du warst überrascht.

„Wovor?“

> „Davor…

dass du sie hast – ein Rudel.

Und mich nicht mehr brauchst.“

Du lachtest kurz, bitter.

„Oh Fenris…

du bist nicht mein Lehrer mehr.

Nicht nur mein Blut.

Du bist… mein Anker.

Und ich weiß, du hast mehr hinter dir, als du sagst.“

Dann hob sie langsam den Blick.

Und begann.

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Die Vergangenheit von Fenris – "Das Blut vor dir"

> „Ich wurde nicht geboren.

Ich wurde gejagt.

> Mein erstes Heulen war ein Schrei.

Ich war sieben Winter alt, als mein Dorf brannte.

Nicht von Feinden – von mir.

> Ich erwachte mit dem Geschmack von Asche im Mund,

und alle, die ich kannte, lagen still.“

Sie zitterte nicht, aber ihre Stimme wurde rauer.

> „Mein Vater war ein Wandler.

Aber niemand wusste es. Auch ich nicht.

Als sein Blut durch mich brach, war er schon tot.

> Ich streifte jahrelang.

Jeder, den ich traf, fürchtete mich.

Oder… begehrte mich für das, was ich war.“

> „Ich war in Rudeln.

Ich war in Ketten.

Ich war allein.

> Ich tötete. Nicht aus Hass.

Aus Schutz.

Aus Hunger.

> Ich hatte einen Gefährten.

Stark. Klug. Schnell.

Und er…

wurde zum Jäger.“

Du erstarrtest.

„Der, der uns verfolgte…?“

Fenris nickte.

> „Sein Name war Askar.

Er trank das Blut anderer.

Er glaubte, wenn er genug davon sammelt…

wird er unsterblich.“

> „Ich tötete ihn.

Ich begrub mein Herz mit ihm.“

Dann sah sie dich an.

> „Bis du kamst.

Und das, was still war in mir…

begann wieder zu heulen.“

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Du legtest deine Hand auf ihre.

Keine Worte.

Nur Nähe.

Keine Angst mehr.

Zwischen euch war kein "Lehrer" mehr.

Kein "Geretteter".

Nur zwei Seelen, gebunden durch Feuer, Blut und Entscheidung.