Der Schwur im Schnee

Der Morgen kam langsam.

Schnee fiel lautlos auf das Dach der alten Hütte, in der wir unser erstes gemeinsames Lager bezogen hatten.

Es war die erste Nacht ohne Wunde, ohne Kampf, ohne Albtraum.

Und in dieser Stille… geschah das Unsichtbare:

Wir wurden ein Rudel.

Fenris trat nach draußen, barfuß, nur in Fell und Schatten gehüllt.

Ich folgte ihr.

Die anderen – Raek, der schweigsame Junge, Lysa mit dem nervösen Blick, und Jorren, der alte Verletzte – blieben zurück.

Wir standen im Kreis, zwischen Tannen, unter den tanzenden Schleiern des Nordlichts.

Fenris hob die Hand – nicht befehlend, sondern ehrend.

> „Ihr, die ihr Blut tragt.

Ihr, die ihr Angst kennt.

Ihr, die den Weg nicht gelernt habt – sondern ihn sucht:

Heute gebt ihr keine Treue.

Heute gebt ihr euch selbst.

Und ihr bekommt etwas zurück:

Einen Namen.

Eine Stimme.

Und ein Rudel.“

Sie deutete auf mich.

Nicht als Alpha.

Als etwas anderes.

> „Er war nicht der Erste, der erwachte.

Aber er war der Erste, der nicht zerbrach.

Der Erste, der nicht das Tier jagte – sondern es umarmte.

Das hier ist Kael Fenrirsson.

Und was ich in ihm sehe…

ist kein Schüler.

Es ist mein Spiegel.“

Ein Raunen ging durch die kleine Gruppe.

Und dann trat sie näher zu mir.

Ganz nah.

Bis unsere Stirnen sich fast berührten.

> „Du willst wissen, welchen Platz ich dir gebe?“

Ich nickte.

Ihre Stimme war weich. Und scharf wie ein Klingenrücken.

> „Ich bin Alpha.

Doch ich will kein Königreich.

Ich will ein Weg.

Und auf diesem Weg…

stehst du an meiner Seite.“

Ich spürte, wie die Worte in mir brannten – nicht wie Feuer.

Wie Wahrheit.

Sie zog ein Messer. Nicht zum Kampf.

Sondern zum Ritual.

Erst ritzte sie ihre Hand.

Dann reichte sie es mir.

Ich tat dasselbe.

Wir ließen unser Blut auf den gefrorenen Boden tropfen.

Der Schnee färbte sich silberrot.

> „Ein Schwur aus Blut – nicht, weil wir müssen.

Sondern weil wir es wollen.“

Alle anderen taten es nach.

Und aus sechs verlorenen Seelen wurde ein Rudel.

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Später, allein

Die Nacht wurde lang.

Fenris und ich blieben zurück, als die anderen schliefen.

Sie saß an einem Felsen, über den das Mondlicht strich wie ein Schleier.

Ich setzte mich neben sie.

Lange sagte keiner ein Wort.

„Es war richtig, sie aufzunehmen“, sagte ich leise.

Fenris nickte.

„Und doch… nicht leicht.“

Ich drehte mich zu ihr.

„Fenris…

was sind wir eigentlich?

Ich spüre dich in allem. Aber ich weiß nicht, wohin es führt.“

Sie sah mich an.

Und dann geschah etwas, das sie nie zuvor getan hatte:

Sie legte sich an mich.

Nicht als Jägerin.

Nicht als Lehrerin.

Als Frau.

Ihr Kopf an meiner Schulter.

Ihre Hand an meinem Herzen.

> „Ich weiß nicht, wohin es führt“, flüsterte sie.

„Aber ich will nicht mehr allein dorthin.“

Dann küsste sie mich.

Nicht wild.

Nicht fordernd.

Sondern… still.

Wie ein Versprechen.

Wie ein Anfang.

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Doch der Blutmond steigt…

Am nächsten Tag fanden wir Spuren.

Tiefe Furchen im Boden.

Verstreute Fellfetzen.

Und der Geruch von altem, kaltem Blut.

Ein Rudel.

Zerbrochen.

Oder verschlungen.

Fenris kniete nieder. Ihre Finger glitten über die Erde.

> „Es war einer von uns.

Kein Tier. Kein Mensch.

Aber etwas hat ihn verändert…

mehr, als es sollte.“

Ich spürte es auch.

In meinen Knochen.

In meinem Nacken.

Ein Ruf, der nicht mein eigener war.

> „Der Blutmond naht“, sagte Fenris.

„Und mit ihm… werden die Grenzen brechen.“