Der Ruf der Verlorenen

Ein Blutmond naht. Die Spuren eines verschwundenen Rudels führen tief in den Wald – und in die Schatten der Vergangenheit. Kael und Fenris folgen ihnen… und begegnen mehr als nur Gefahr.

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Der Schnee war noch frisch, als wir aufbrachen.

Das Licht der Sonne streifte über die Baumwipfel, golden, kalt, fast gleichgültig. Aber unter unseren Füßen war die Spur noch warm – tief, schwer, schleifend.

Ich spürte es.

Ein Wandler war hier gewesen.

Einer, der verletzt war.

Oder… verändert.

Fenris lief voran, ihre Schultern leicht vorgebeugt, jede Bewegung lautlos.

Ihr Geruch war mir vertraut – wild, klar, nach Fell, Rauch und Frost.

Doch heute war da etwas Fremdes in ihrem Blick.

Nicht Angst.

Aber… Sorge.

> „Was denkst du?“, fragte ich leise.

Fenris antwortete nicht gleich.

Dann:

> „Ich hoffe, wir finden Überlebende.

Aber was, wenn sie… nicht mehr sie selbst sind?“

Ich verstand.

Nicht jeder, der das Blut in sich trägt, bleibt Mensch.

Nicht jeder Wolf kennt den Weg zurück.

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Nach Stunden: Wir fanden den ersten Körper.

Er lag halb unter Schnee, halb unter einem umgestürzten Baum. Die Haut war grau, das Gesicht halb verwachsen. Klauen statt Finger.

Und doch… war da etwas Menschliches geblieben.

Ein Amulett.

Mit dem Zeichen von Fenrir.

Zerbrochen.

Fenris kniete sich neben ihn.

Streichelt dem Toten über das verwachsene Gesicht.

> „Er war einmal wie du.“

„Wie ich.“

Ich wollte etwas sagen – Trost vielleicht.

Doch in diesem Moment… fiel Schnee von einem Ast über uns, lautlos.

Und eine Silhouette huschte hinter den Bäumen.

> „Nicht allein“, flüsterte ich.

„Wir sind nicht allein.“

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Die Jagd beginnt

Wir verließen den toten Bruder und folgten der Spur tiefer in die Wälder.

Der Tag wurde grau.

Fenris lief nicht mehr mit dem Blick nach vorn – sondern mit Zähnen gebleckt.

Ich spürte den Druck auf meinen Muskeln.

Mein Herz schlug schneller.

Und dann –

Ein Knurren.

Direkt hinter mir.

Ich wirbelte herum, riss meine Klinge aus dem Gürtel –

und stand vor einem Wesen, das einst menschlich gewesen sein musste.

Keine Worte.

Nur Hunger.

Und Blut im Blick.

Es sprang.

Ich fiel zurück – rollte ab –

spürte den Aufprall auf der Schulter – und dann war Fenris da.

Sie verwandelte sich im Sprung.

Fell überzog ihre Haut, Klauen schossen aus den Fingern, ihre Zähne blitzten –

und sie warf das Wesen zu Boden.

Ein heulender Schrei.

Dann Stille.

Fenris kniete über dem zuckenden Körper, ihr Atem ging schwer, Dampf stieg von ihrem Nacken auf.

Ich trat zu ihr.

Sah den Blick des Wesens.

Nicht feindselig.

Nicht mehr.

Nur… gebrochen.

> „Er war wach“, flüsterte Fenris.

„Wach und doch… verloren.“

Sie schloss ihm die Augen.

Und ihr Blick war voller Schmerz.

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Am Feuer

Später, als wir ein kleines Lager aufschlugen, saßen wir schweigend vor den Flammen.

Ich sah zu Fenris.

Sie wirkte müde. Nicht körperlich.

Seelisch.

> „Du kanntest ihn“, sagte ich.

Sie nickte.

„Sein Name war Eirik.

Er war mein Schüler.

Vor dir.“

Ich erstarrte.

> „Was… ist passiert?“

Fenris sah ins Feuer.

Und dann… sprach sie so offen wie nie zuvor:

> „Ich war zu streng.

Ich wollte ihn schützen – also machte ich ihn stark.

Doch ich gab ihm nie Nähe.

Nur Regeln.

Und irgendwann… riss etwas in ihm.“

> „Ich verlor ihn – nicht in einem Kampf.

Ich verlor ihn, weil er mich nie wirklich hatte.“

Ich sah sie an.

Und in ihrem Blick war Schuld.

Nicht göttlich.

Nicht stolz.

Nur… menschlich.

Ich legte meine Hand auf ihre.

> „Fenris…

Ich bin nicht Eirik.

Und du bist nicht mehr die, die du warst.“

Sie sah mich an – lange.

Dann legte sie ihren Kopf an meine Schulter.

Wie damals.

> „Bei dir…

habe ich keine Angst, dass du gehst.

Ich habe Angst,

dass ich dich verliere, weil ich es falsch mache.“

Ich lächelte schwach.

„Dann machen wir’s gemeinsam falsch.

Solange wir’s zusammen machen.“

Sie schnaubte leise.

Dann – legte sie sich näher an mich.

Und in dieser Nacht… schlief sie ein.

In meinen Armen.

Zum ersten Mal.

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Am nächsten Morgen

Fenris erwachte vor mir, doch blieb liegen.

Die Sonne durchbrach die Bäume in goldenen Streifen.

> „Kael“, sagte sie.

„Du bist nicht nur mein Partner im Kampf.

Nicht nur ein Schüler.

Nicht ein Fehler, den ich wiederholen will.“

> „Du bist mein Gleichgewicht.“

„Du wirst das, was ich nicht bin.

Und ich will wissen,

was wir werden,

wenn wir nicht kämpfen.“

Ich nickte.

Keine Worte nötig.

Nur das.

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Dann kam der Ruf.

Lysa kam angerannt, die Haare zerzaust, Blut am Hemd.

> „Zwei Wandler –

sie folgen einem fremden Ruf.

Sie sagen, der Blutmond redet mit ihnen.“

Fenris sprang auf.

Ich folgte ihr.

> „Dann ist es soweit“, sagte sie.

„Jetzt zeigen wir, ob wir ein Rudel sind –

oder nur eine Erinnerung.“