Der Schwur im Blutmond

Der Blutmond stieg

wie eine Wunde am Himmel.

Nicht rund.

Nicht schön.

Er wirkte… zornig.

Wie ein Auge, das sieht, was niemand sehen soll.

Unser Rudel war versammelt.

Lysa, wieder bei Bewusstsein, aber schwach.

Raek, still, doch klarer denn je.

Jorren, schweigsam wie ein Fels, aber seine Augen wichen Fenris nie.

Und wir –

du und sie –

nicht mehr nur Gefährten,

sondern etwas unausgesprochen Tieferes.

In dieser Nacht sollte es geschehen:

Der Blutschwur.

Ein uraltes Ritual, das aus verstreuten Seelen ein echtes Rudel machte.

Nicht durch Worte.

Sondern durch Offenbarung.

> „Der Schwur bindet uns nicht an Macht“, sagte Fenris.

„Sondern an Wahrheit.

Wer lügt, wer versteckt,

wird vom Mond selbst entblößt.“

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Die Vorbereitung

Ein Kreis aus Asche wurde gezogen.

Nicht irgendeine Asche –

die von Ahnentüchern, verbrannten Runen, getrocknetem Wolfsblut.

Fenris bereitete ihn mit bloßen Händen, ihre Finger schwarz bis zu den Gelenken.

Keiner half.

Denn dies war ihre Pflicht als Alpha.

Du standest am Rand.

Beobachtetest.

Wartetest.

Doch in deinem Herzen pochte etwas anderes.

Nicht nur Nervosität.

Sondern eine Frage, die brannte wie die Glut im Kreis:

> Bin ich bereit, gesehen zu werden – wie ich wirklich bin?

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Ein Blick in die Flamme

Bevor das Ritual begann, trat Fenris zu dir.

Sie sagte nichts.

Sah dich nur an.

Dann reichte sie dir ein kleines, in Leder gewickeltes Bündel.

Du öffnetest es.

Darin: ein alter, gekrümmter Fangzahn.

Gelblich, rau, von Rissen durchzogen – aber mächtig.

> „Von ihm“, sagte sie.

„Von Fenrir selbst.

Ich trug ihn einst in Ketten um den Hals.

Jetzt geb ich ihn dir –

nicht als Symbol.

Als Schutz.“

Du fühltest das Gewicht in der Hand.

Und in deiner Brust.

Denn plötzlich wurde dir klar:

Du bist nicht mehr nur ein Findling.

Du bist Erbe.

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Das Ritual beginnt

Fenris trat in den Kreis.

Ihre Stimme hallte wie Trommeln auf Eis:

> „Ich bin Fenris, Tochter des alten Bluts.

Ich bin Wölfin, Frau, Wächterin, Zerrissene.

Ich zeige mich – mit allem, was ich bin.“

Und sie verwandelte sich.

Langsam.

Nicht mit Gewalt, sondern mit Würde.

Ihr Fell war silbern, durchzogen von schwachen Narben, ihr Blick golden.

Sie kniete im Kreis – halb Mensch, halb Wolf.

Ganz sie selbst.

Dann kamen die anderen.

Lysa – zögerlich.

Doch als sie den Kreis betrat, flackerte Licht um sie auf.

Und plötzlich sahen wir sie nicht als die Nervöse, die Verlorene –

sondern als eine Frau mit Herz aus Feuer.

Sie war kein Opfer.

Sie war eine Fackel.

Raek trat ein.

Und mit ihm kam Dunkelheit.

Nicht böse –

nur tief.

Alt.

In ihm schwang der Klang der Quelle mit.

Aber jetzt war er nicht mehr gefangen.

Er war… Wächter.

Jorren – der alte, zähe Mann.

Kein Wandel.

Aber aus seiner Brust trat Dampf.

Und ein Knochengerüst zeigte sich für einen Moment um ihn –

eine Vision des letzten Alphas, dem er einst diente.

Er war Erinnerung.

Dann du.

Kael.

Du tratst barfuß in die Asche.

Spürtest, wie sie in deine Haut brannte.

Der Zahn des Fenrir an deinem Hals.

Dein Herz ein Sturm.

> „Ich bin Kael.

Ich kam, weil ich leer war.

Ich blieb, weil ich fand.

Und ich will nicht mehr fliehen.

Ich will brüllen.“

Der Mond bebte.

Dann begann der Schwur.

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Der Schwur

Ihr erhobt die Hände.

Fenris sprach:

> „Ein Wolf ist kein Hund.

Kein Diener. Kein Gott.

Er ist, was er ist.

Und wir schwören,

nie weniger zu sein.“

Alle wiederholten es.

Der Wind heulte auf.

Die Asche wirbelte.

Und dann –

brach etwas.

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Die Lüge

Einer fiel zu Boden.

Schreiend.

Zitternd.

Jorren.

Aus seinem Mund schoss schwarzer Rauch.

Seine Augen weiteten sich.

Fenris schrie:

> „Zurück! Er hat… gelogen!“

Und dann kam es.

Nicht aus ihm.

Sondern durch ihn.

Ein Schatten, groß wie ein Elch, geformt aus Rauch und altem Schmerz, trat aus seinem Körper.

Etwas, das er getragen hatte –

lange, still,

wie eine Schuld.

> „Was… ist das?!“, keuchte Lysa.

> „Ein Biss, den er nie eingestanden hat“, flüsterte Fenris.

„Er wurde einst vom Mondwolf gebissen…

und nie gereinigt.“

> „Er hat uns vergiftet – mit Erinnerung.“

Jorren schrie.

Er war nicht mehr bei sich.

Fenris wollte zu ihm –

aber du hieltest sie zurück.

> „Wenn du gehst… fällt das Rudel.“

Sie sah dich an.

Und blieb.

Du tratst selbst in den Rauch.

Mit dem Zahn in der Faust.

Und sprachst den Namen, den du im Traum gehört hattest:

> „Thuraz.“

Der Schatten wand sich.

Hielt inne.

Dann zersprang er.

Wie Glas.

Jorren atmete aus.

Und starb.

Nicht schmerzhaft.

Nicht grausam.

Sondern… erleichtert.

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Nach dem Schwur

Stille.

Der Kreis war verwüstet.

Der Rauch verzogen.

Der Himmel war wieder klar.

Fenris trat zu dir.

Sie sagte nichts.

Aber du sahst es in ihren Augen:

> Du hattest die Führung übernommen –

nicht aus Ehrgeiz.

Sondern aus Not.

Und sie hatte dich gesehen.

Gänzlich.

Später, als ihr allein wart,

lagst du an ihrer Seite im Gras.

Ihre Hand in deiner.

Ihr Herz an deinem.

Sie flüsterte:

> „Ich bin Alpha.

Aber ich war nie ganz.

Du bist kein Zweiter.

Du bist…

der Gleichrang.

Alpha mit mir.

Oder gar nicht.“

Und du wusstest:

Ihr wart mehr als Rudel.

Mehr als Blut.

Ihr wart Entscheidung.