Kapitel 5 DIE BEERDIGUNG

SERAPHINAS SICHT

Wieder eine schlaflose Nacht.

Die Ironie war mir nicht entgangen – ich hatte seit Jahren kein Bett mehr mit Kieran geteilt, doch die ungewohnte Stille dieses neuen Hauses fühlte sich lauter an als jede Abwesenheit. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, tanzten die Geister dessen, was hätte sein können, hinter meinen Lidern.

Dreimal war ich den Flur hinuntergeschlichen, um nach Daniel zu sehen, nur um ihn friedlich unter seiner Star Wars-Bettdecke zusammengerollt vorzufinden, sein Atem tief und gleichmäßig. Dem Mond sei Dank für kleine Gnaden. Diesem bescheidenen Haus mochte zwar die imposante Sicherheit des Alpha-Herrenhauses fehlen, aber ich würde jeden Zentimeter mit genug Liebe füllen, um das auszugleichen.

Als die blassen Finger der Morgendämmerung endlich durch meine Verdunkelungsvorhänge drangen, legte sich ein bleiernes Gewicht in meinen Magen.

Heute würden wir meinen Vater beerdigen.

Ich zog mich langsam an, jede Bewegung von Furcht beschwert. Es war nicht die Trauer, die mich lähmte – unsere Beziehung war lange vor dem Stillstand seines Herzens gestorben. Nein, es war die Aussicht, den urteilenden Blicken meiner Familie zu begegnen, Kieran über einem Sarg gegenüberzustehen, während unsere Scheidungspapiere frische Tinte sammelten.

Ex-Ehemann. Der Begriff kratzte an meinen wunden Nerven.

Daniels Tür quietschte, als ich sie öffnete. Mein Atem stockte – da saß er, bereits in dem kleinen schwarzen Anzug, den wir zusammen ausgesucht hatten, seine kleinen Finger geschickt seine Nintendo Switch bedienend.

"Morgen, Mama." Er schenkte mir ein Lächeln, das seine Augen nicht ganz erreichte.

Tränen brannten in meinen Wimpern. Wo war mein Baby geblieben? Der Junge, der mich anstarrte, trug Kierans markanten Kiefer, seinen durchdringenden Blick. Eine lebende Erinnerung an alles, was ich verloren hatte – und alles, was ich gewonnen hatte.

"Sieh dich an," flüsterte ich und strich sein Revers glatt. "Ganz erwachsen."

Traurigkeit verdunkelte sein Gesicht, aber er nahm sich zusammen und legte die Spielkonsole beiseite. "Lass uns gehen," flüsterte er, die Schultern mit erzwungener Tapferkeit straffend.

Doch als die alte Steinkirche in Sicht kam, schwand Daniels Mut. Seine Knöchel wurden weiß um den Türgriff des Autos.

"Hey." Ich umfasste seine angespannte Schulter. "Sprich mit mir."

Als er sich umdrehte, zerschmetterten mich die ungeweinten Tränen in seinen Augen. "Wir konnten... wir konnten uns nicht verabschieden. Heißt das, Opa weiß nicht, dass wir ihn geliebt haben?"

Die Frage traf mich wie ein silberner Dolch zwischen den Rippen. Während die Abwesenheit meines Vaters für mich normal geworden war, hatte Daniel seinen liebsten Geschichtenerzähler, seinen heimlichen Kekslieferanten verloren.

Ich drückte meine Handfläche auf sein donnerndes Herz. "Opa ist genau hier, mein Liebling." Meine Stimme brach. "Und hier." Ich tippte sanft an seine Schläfe. "Solange wir uns an ihn erinnern, ist er nie wirklich fort."

Daniel atmete zitternd aus, etwas von der Anspannung verließ seinen kleinen Körper. "Okay."

"Bereit?"

Sein Nicken war all die Stärke, die ich brauchte. Gemeinsam stiegen wir aus dem Auto.

Die Kirchentüren verschluckten uns in ein Meer von Trauernden – Rudelmitglieder in ihrer feinsten schwarzen Kleidung, Verbündete aus benachbarten Gebieten und eine Handvoll menschlicher Geschäftspartner, die mit meinem Vater zu tun gehabt hatten. Die Luft summte mit geflüsterten Beileidsbekundungen und dem süßlichen Duft von Lilien.

Meine Familie saß wie Königshaus in der ersten Kirchenbank. Der Kopf meiner Mutter ruhte an Ethans Schulter, während Celeste—

Götter.

Selbst in Trauer sah meine Schwester aus, als wäre sie einem Modemagazin entstiegen. Sonnenlicht durch bunte Glasfenster vergoldete ihre perfekten blonden Wellen, ihr Designerkleid schmiegte sich an Kurven, die meine eigene Figur immer jungenhaft erscheinen ließen.

"Daniel, Liebling!" Die Arme meiner Mutter öffneten sich weit, als wir näher kamen – nicht für mich, nie für mich – sondern für den Enkel, der den Namen Blackthorne trug. Den Enkel, der zählte.

Ich beobachtete teilnahmslos, wie Daniel in ihre Umarmung eingehüllt wurde, seine kleine Gestalt verschwand in ihrer schwarzen Spitze. Das ließ nur einen freien Platz – eingeklemmt zwischen Celeste und dem Ende der Kirchenbank.

Die eisigen blauen Augen meiner Schwester musterten mich. Ein Jahrzehnt getrennt, doch ihr Hass hatte sich nicht verringert. Sie rückte weg, als ich mich setzte, die Seide ihres Kleides flüsterte gegen die Bank wie die Warnung einer Schlange.

In dem Versuch, meine Gedanken von der Familie abzulenken, die mich nicht wollte, ließ ich meinen Blick durch die Halle schweifen – und landete bei einer anderen Familie, die mich nicht wollte. Die Blackthornes besetzten die gegenüberliegende Seite des Ganges, Kierans breite Schultern zeichneten eine imposante Silhouette neben seinen Eltern.

Leona Blackthornes Lippen verzogen sich, als sie bemerkte, dass ich schaute. Wie meine Familie mich ablehnte, weigerten sich die Blackthornes, mich zu akzeptieren. Für sie war ich Kierans rechtmäßige Ehefrau, nicht seine Luna.

Seine Mutter, Leona, trug immer noch den Titel der Luna, auch nachdem der Alpha-Titel an Kieran übergegangen war. Jetzt betrachtete sie mich eisig. Ich bin sicher, sie war begeistert über die Scheidungsnachricht. Der Fleck auf ihrer Familie war endlich verschwunden.

Eine kleine, warme Hand schlüpfte in meine. Daniel hatte sich aus den Fängen meiner Mutter befreit und bildete nun eine lebende Barriere zwischen mir und Celeste. Seine Finger drückten meine – ein stilles Ich bin hier.

Ich drückte zurück und schöpfte Kraft aus diesem bemerkenswerten Kind, das nicht der Mutige hätte sein müssen. Die klagenden Akkorde der Orgel signalisierten den Beginn des Gottesdienstes. Nur noch ein paar Stunden. Ich konnte mich so lange zusammenreißen. Oder?

***

Ich musste Celeste Anerkennung zollen – ihr Timing war tadellos.

Sie wartete durch den gesamten Gottesdienst. Wartete durch die Zeremonie am Grab, als wir alle Hände voll Erde auf den Sarg unseres Vaters streuten. Wartete, bis die Menge sich zerstreute und nur noch Daniel und ich zusahen, wie die Totengräber ihre feierliche Arbeit begannen.

"Wie aufmerksam von dir, Hilfe bei den Beerdigungsvorbereitungen anzubieten." Ihre Stimme schnitt durch meine Trauer wie eine silberne Klinge.

Ich versteifte mich, drehte mich aber nicht um. "Ich habe es ernst gemeint." Der hohle Schmerz in meiner Brust vertiefte sich. Meine einzige SMS mit dem Hilfsangebot war unbeantwortet geblieben – das Schweigen meiner Mutter sprach Bände. Mit Celestes Rückkehr war ich noch überflüssiger.

Celestes Lachen war voller scharfer Kanten. "Als ob jemand irgendetwas von dir annehmen würde."

Der Wind trug ihr aufdringliches Jasminparfüm heran, als sie näher trat. "Zehn Jahre, Schwester," zischte sie. "Zehn Jahre hast du mit meinem Leben Haus gespielt. Aber ich hole mir zurück, was mir gehört – meine Familie, meine Position..." Ihr Atem wärmte mein Ohr. "Meinen Kieran."

Ich hätte fast am Grab meines Vaters zu lachen begonnen.

Die Absurdität – Celeste hatte sie alle immer besessen. Ihre Liebe, ihre Loyalität, Kierans Herz – nichts davon war jemals wirklich mein gewesen, um es zu verlieren.

"Willkommen zu Hause," murmelte ich zur frisch aufgeworfenen Erde. Heute ging es darum, meinen Vater zu ehren, nicht darum, Schlachten zu schlagen, die ich zum Verlieren bestimmt war.

Celeste gewann immer.

Das Knirschen von Kies kündigte ihren Abgang an. Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass sie direkt zu Kieran gegangen war – konnte mir perfekt vorstellen, wie Leonas Gesicht aufleuchten würde, wie Kierans Arme sich instinktiv öffnen würden. Als Daniel sich neben mir bewegte, fing ich die Bestätigung in meinem Augenwinkel auf: Celeste an Kierans Brust geschmiegt, als gehöre sie dorthin, über seine Schulter grinsend.

"Mama?" Daniels kleine Hand fand meine. Mein tapferer Junge, der Wache stand zwischen mir und der Welt. "Kann ich zu Großmutter gehen?"

Das Flehen in seinen Augen machte mich fertig. So sehr sie mich auch ablehnten, Daniel verdiente seine Familie. "Natürlich, Schatz." Mein Kuss verweilte in seinem Haar, als er davoneilte.

Von der anderen Seite des Feldes beobachtete ich, wie Christian Daniel mit großväterlicher Leichtigkeit hochhob, während Leona an seinem Anzug herumzupfte. Wenigstens liebten sie ihn – das einzig Gute, das aus dieser Scheinehe hervorgegangen war.

Jetzt allein, stand ich dem klaffenden Loch in der Erde gegenüber. Dem klaffenden Loch in meinem Leben.

"Auf Wiedersehen, Papa," flüsterte ich dem Wind zu, meine Tränen fielen nicht nur für den Vater, den ich verloren hatte, sondern für die Tochter, die er nie wirklich gesehen hatte.

Ich wandte mich vom Grab meines Vaters ab, meine Absätze sanken in die weiche Erde, als ich Zuflucht in meinem Auto suchte. Ich würde dort warten – allein, unsichtbar – bis diese elende Angelegenheit vorbei war.

Ich war auf halbem Weg vom Friedhof, als das Chaos ausbrach.

Eine Minute: ein düsterer Nachmittag, nur durchbrochen von gedämpftem Schluchzen. Die nächste: ein Albtraum aus Knurren und Schreien, als Abtrünnige wie Schatten mit Zähnen aus der Baumgrenze strömten.

Daniel.

Sein Name war ein Gebet auf meinen Lippen, als ich herumwirbelte und das Chaos überblickte. Der massive braune Wolf meines Bruders stand Wache über unserer Mutter, seine Fangzähne tropften karmesinrot. Auf der anderen Seite der Lichtung umkreiste Kierans mitternachtsschwarze Gestalt Celeste – natürlich.

Niemand schaute in meine Richtung. Niemand erinnerte sich an die wolflose Tochter, die defekte Gefährtin, das leichte Ziel.

Die Abtrünnigen bemerkten es.

Gelbe Augen fixierten mich, als ausgemergelte Gestalten näher schlichen, ihre Nasenflügel blähten sich beim Geruch meiner Angst.

"Daniel!" Mein Schrei zerriss die Kakophonie. Wo war er? Wer—

Ein zermalmendes Gewicht krachte in meinen Rücken, Krallen rissen über meine Haut. Ich schlug hart auf dem Boden auf, die Welt neigte sich, als ich rückwärts krabbelte. Über mir ragte ein ausgemergelter Abtrünniger-Wolf auf, ranziger Speichel bespritzte meine Wangen, als er knurrte.

Das war's. Nach allem würde ich auf den Knien im Dreck sterben.

Mein Blick huschte verzweifelt durch das Getümmel. Meine Schulter brannte, heiße, dicke Flüssigkeit rann meinen Rücken hinunter, aber alles, was zählte, war Daniel.

Bitte, flehte ich still welche Gottheit auch immer zuhörte an, lass mich ihn nur ein letztes Mal sehen—

Der Abtrünnige stürzte vor.

Kurz bevor er mir den Kopf abbiss, fing ein schwarzer Schemen ihn in der Luft ab, das widerliche Knirschen von Knochen hallte wider, als der angreifende Wolf beiseite geschleudert wurde.

Über mir aufragend, mit gesträubtem Nackenfell und entblößten Fängen, stand ein massiver schwarzer Wolf, den ich noch nie zuvor gesehen hatte.