Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel, auf die aufgedunsene, pausbäckige Entschuldigung eines Mannes, der mich anstarrte, und atmete scharf aus.
Das war nicht der Zeitpunkt, um hier zu stehen und zu jammern.
Zuallererst musste ich verdammt nochmal aus diesem Ort verschwinden.
Dieser Club – die blinkenden Neonlichter, die schweißdurchtränkten Körper, die sich aneinander rieben, der überwältigende Gestank von Alkohol und Parfüm – war der schlimmstmögliche Ort, an dem ich mich gerade befinden konnte.
Ich brauchte Raum.
Ich brauchte Stille.
Ich musste nachdenken.
Aber zumindest gab es einen Lichtblick in all dem.
'Verdammt... Sollte ich dankbar sein, dass ich zu einem Charakter wurde, den ich kürzlich gespielt habe, und meine Erinnerung noch klar ist?'
So lächerlich es auch war, so absolut verdammt absurd sich diese ganze Situation anfühlte, ich hatte immer noch einen Vorteil – Wissen.
Glücklicherweise war dieses beschissene Eroge-Spiel aus irgendeinem gottverdammten Grund überraschend gut entwickelt.
Klar, die Charakterentwicklung war Müll.
Klar, Damien Elford war der erbärmlichste Protagonist, den die Menschheit je hervorgebracht hat.
Aber das Spiel selbst? Die Welt?
Sie war detailliert.
Sie hatte Hintergrundgeschichte.
Sie hatte eine Open-World-Umgebung.
Und weil ich jeden elenden Zentimeter davon durchgespielt hatte, wusste ich genau, was als Nächstes zu tun war.
Wie zum Beispiel –
'Der Fahrer dieses Typen sollte vor dem Club warten.'
Dieser Gedanke allein gab mir den nötigen Anstoß, mich zu bewegen.
Ich wandte mich vom Spiegel ab, wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn und richtete mich auf. Meine Beine waren noch immer unsicher, mein Körper fühlte sich noch immer fremd an, aber ich ignorierte es. Schritt für Schritt zwang ich mich wieder in Bewegung.
Als ich die Badezimmertür aufstieß und in den Hauptbereich des Clubs trat, schlug mir der schwere Bass der Musik wieder entgegen.
Ich musste es nur bis zum Ausgang schaffen.
Als ich mich durch die Menge navigierte, entdeckte ich ihn sofort – Kaine.
Der Bastard lungerte noch immer in der Nähe unseres Tisches herum, seine Augen durchsuchten den Raum, bis sie auf mich fielen.
Seine Augenbrauen runzelten sich leicht.
"Yo, Damien! Alles wieder gut?"
Er machte einen Schritt auf mich zu und musterte mich, als würde er meinen Zustand analysieren.
"Du sahst vorhin ziemlich wackelig aus, Mann. Dachte, du würdest gleich umkippen oder so einen Scheiß."
Ich verengte meine Augen.
Seine Stimme war leicht, beiläufig, die gleiche unbeschwerte Haltung wie zuvor. Aber darunter konnte ich etwas anderes spüren – Neugier.
Verdacht.
Er war immer noch irritiert von meinem Verhalten.
Er wusste, dass etwas anders war.
'Aber was zum Teufel soll's?'
Ich zwang mich zu atmen, straffte die Schultern und erwiderte seinen Blick.
"Mir geht's jetzt besser."
Die Worte kamen gleichmäßig, kontrolliert heraus. Ein direkter Gegensatz zu dem, wie ich mich tatsächlich fühlte – als ob meine gesamte Existenz kaum mit einem ausgefransten Faden zusammengehalten würde.
Aber ich hatte nicht vor, diesen Idioten das sehen zu lassen.
"Aber ich bin hier fertig. Keine Lust zu bleiben."
Kaine ließ ein kurzes Lachen hören und nickte, als ob er vollkommen verstehen würde.
"Ja, ich verstehe dich, Mann." Er kratzte sich am Hinterkopf. "Celia ist verdammt nochmal wie ein Hurrikan durchgefegt. Nach so einer Szene wäre ich auch wackelig."
Ich drehte mich scharf zu ihm um.
Mein Blick muss schlimmer gewesen sein als beabsichtigt, denn Kaine trat sofort einen Schritt zurück, sein lässiges Grinsen zuckte leicht.
Celia?
Im Moment war Celia eines meiner geringsten verdammten Probleme.
Ich war gerade verdammt nochmal gestorben.
Ich war gerade in einem fiktiven Körper aufgewacht.
Ich hatte gerade meine Eingeweide ausgekotzt, weil meine bloße Existenz darum kämpfte, sich zusammenzuhalten.
Und dieser Scheißkerl dachte, ich wäre erschüttert, weil irgendein reiches Mädchen einen Wutanfall bekommen hatte?
Erbärmlich.
Kaine hob seine Hände, spürte, dass etwas nicht stimmte. "Tut mir leid, Mann... Scheiße... Warum starrst du mich so an?"
Ich dachte nicht einmal nach.
Zögerte nicht.
Ich lehnte mich nur leicht vor, senkte meine Stimme und ließ jedes Quäntchen Irritation in meinen Ton einfließen.
"Halt die verdammte Klappe, Kaine."
Sein Gesichtsausdruck versteifte sich.
"O-Oder wa—"
"Oder ich reiße dir deine verdammte Zunge raus."
Für einen langen Moment starrte ich Kaine einfach nur an.
Mein Blut kochte.
Nicht auf die dramatische, Ich-bin-kurz-davor-einen-Mann-zu-töten Art. Nein, das war etwas Tieferes. Etwas Rohes. Eine köchelnde, unkontrollierbare Wut, die in mir brodelte, und ich wusste nicht einmal, ob ich sie zurückhalten konnte.
Denn was zum Teufel war das für eine Situation?
Was zum Teufel war das für ein Körper?
Was zum Teufel war das alles?!
Ich war wütend. Auf alles. Auf mich selbst. Auf diese Welt. Auf diesen schwachen Scheißkerl, in dem ich feststeckte. Auf die Absurdität von allem. Auf die Tatsache, dass ich gestorben war und jetzt mit diesem Unsinn umgehen musste, anstatt einfach – ich weiß nicht – tot zu sein?!
Und dieser Narr? Dieser Clown, der vor mir stand und so tat, als wäre ich ein herzgebrochener Idiot, der gerade verlassen wurde?
Erbärmlich.
Ich hielt mich kaum zusammen.
Wenn ich jetzt nicht weggehen würde, wusste ich nicht, was ich tun würde.
Kaine, zu seiner Ehre, verstand sofort.
Sein Körper versteifte sich, seine Hände fielen an seine Seiten, sein Adamsapfel hüpfte, als er schwer schluckte. Die Luft zwischen uns veränderte sich, und ich konnte den Wandel spüren – er sah mich nicht mehr als seinen Trinkbuddy.
Er sah etwas anderes.
Etwas, mit dem er nichts zu tun haben wollte.
"...Was zum Teufel?" murmelte er und blinzelte, als ob er versuchte, das zu verarbeiten. "Du hast den Verstand verloren, Mann."
Dann, ohne ein weiteres Wort, drehte er sich um und ging weg.
Einfach so.
Als wäre ich eine instabile Bombe, in deren Nähe er nicht sein wollte.
Gut.
Lass ihn verdammt nochmal gehen.
Ich brauchte ihn nicht.
Brauchte niemanden.
Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, drehte ich mich auf dem Absatz um und schritt zum Ausgang.
Kaine würde sowieso für mich bezahlen.
Als ich nach draußen trat, war das Erste, was mich traf, die Luft.
Kühl, frisch, knackig auf meiner erhitzten Haut. Sie strömte in meine Lungen wie ein verdammter Rettungsanker und klärte etwas von dem Nebel, der meinen Verstand umhüllte.
Und dann –
Die Stadt.
Sie breitete sich vor mir aus, erstreckte sich in die Ferne, Neonschilder flackerten in der Nacht, riesige Wolkenkratzer gesäumt mit massiven Werbetafeln, die alles von High-End-Luxusmarken bis zu schäbigen Fast-Food-Läden bewarben. Die Straßen waren voller Menschen, Autos sausten vorbei, das Summen einer modernen Metropole erfüllte die Luft.
Es war... vertraut.
Und doch nicht.
Etwas in mir erkannte diesen Ort, das Layout der Straßen, die imposante Skyline. Aber gleichzeitig fühlte es sich entfernt an, verschwommen an den Rändern, wie der Versuch, sich an einen Traum zu erinnern, an den man sich nur halb erinnert.
Erinnerungen.
Seine Erinnerungen.
Sie sickerten in mich ein, vermischten sich mit meinem eigenen Bewusstsein, formten meine Wahrnehmung, ohne dass ich es überhaupt bemerkte.
Ich kannte diese Stadt.
Nicht, weil ich schon einmal hier gewesen war.
Sondern weil Damien es war.
Ich presste meinen Kiefer zusammen und zwang mich, mich zu konzentrieren, zwang mich, ich selbst zu bleiben.
Und dann fielen meine Augen darauf.
Ein schlanker, schwarzer Luxuswagen, der am Bordstein parkte, das Chrom reflektierte die blinkenden Stadtlichter. In dem Moment, als ich einen Schritt nach vorne machte, öffnete sich die Fahrertür, und ein Mann stieg aus.
Gekleidet in eine knackige schwarze Uniform, bewegte er sich mit Präzision, seine Haltung gerade, sein Ausdruck ruhig, aber professionell.
Und in dem Moment, als sein Blick meinen traf, gab er ein kleines, respektvolles Nicken.
"Junger Meister."
Die Worte sendeten eine seltsame, beunruhigende Welle durch mich.
Nicht, weil ich es nicht erwartet hatte.
Sondern weil ich es tat.
Ich erinnerte mich daran.
Nicht aus meinem eigenen Leben.
Sondern aus dem Spiel.